Jerzy Skolimowskis neuer Film „EO“ – die Welt aus der Perspektive eines Esels

Filmkritik "Eo" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Isabelle Huppert spielt zwar mit, aber in einer Minirolle. Eo, die Hauptrolle, übernimmt ein Esel, eigentlich sind es sechs, denn der Film entstand aus Liebe zum Tier und aus Jerzy Skolimowskis großer Verehrung für Robert Bressons Filmklassiker „Au hasard Balthazar“ (Zum Beispiel Balthasar, 1966). Beim diesjährigen Filmfestival in Cannes wurde „EO“ mit dem Jurypreis ausgezeichnet. Als Parabel über den steinigen Weg eines Esels, den Tieraktivisten von seiner geliebten Artistin trennen, um ihn in die Freiheit zu entlassen, die ihn in immer schwierigere Lebenssituationen bringt, passt der Film hervorragend in den aktivistischen Irrsinn unserer Tage…

Elfriede Jelinek „Die Sprache von der Leine lassen“

Filmkritik Elfriede Jelinek „Die Sprache von der Leine lassen“ präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Elfriede Jelinek gilt als Enfant terrible der österreichischen Literaturszene, immer kritisch, immer aufmüpfig, knallhart in komplexen Satzstrukturen, sich zu einem wuchtigen, kunstvoll rhythmisierten Sprachstrom verdichtend, der volle Konzentration erfordert. Ihre Texte sind  alles andere als leichte Kost. Doch gerade für den „musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen“, so die Jury, wurde ihr 2004 der Nobelpreis für Literatur zuerkannt. Über 50 Interviews und Filmsequenzen collagierte Regisseurin Claudia Müller zu einer außerordentlich gelungenen Hommage an die Wortkünstlerin. Der Titel „Die Sprache von der Leine lassen“ deutet bereits den Spagat zwischen Rätselhaftigkeit  und Alltäglichkeit an, der sich von der Kindheit bis zum Nobelpreis erstreckt. Nach der umstrittenen Preisverleihung hat sich Elfriede Jelinek vollkommen zurückgezogen, aber nach wie vor intensiv gearbeitet. Insofern zielt der Titel auch auf die medialen Kampagnen gegen sie. 18 Jahre früher gedreht, hätte der Film viel dazu beigetragen das Image dieser außerordentlich begabten Frau als bloße Nestbeschmutzerin zu korrigieren…

Michael Koch „Drei Winter“ – ein berührender Film aus den Schweizer Bergen

©72. Internationale Filmfestspiele, Armin Dierolf/hugofilm Nach diesem Film muss man zuerst einmal tief durchschnaufen. Er trifft mit jeder Szene mitten ins Wesentliche.

Weit oben in den Schweizer Bergen lebt Anna mit ihrer kleinen Tochter Julia, wo die Felsbrocken die Weide einschränken. Marco ist ihr neuer Freund. Aus dem Tal ist er gekommen, ein kräftiger Kerl den Nacken immer etwas hochgeschoben, den Blick gesenkt. Aber wenn Anna tanzt, beginnen seine Augen zärtlich zu leuchten und man versteht, warum Anna ihn mag. Doch das Schicksal hat einen anderen Plan. Sehr berührend zeichnet Michael Koch diese innige Beziehung, von der das Leben so viel fordert…

„Merkel – Macht der Freiheit“

Filmkritik "Merkel - die Macht der Freiheit" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Merkel glänzt nach vier Legislaturperioden zu den gegenwärtigen politischen Problemen mit Schweigen. Sie verweist auf ihre Biografie, die 2024 ihre Sicht auf die politische Landschaft offerieren wird. Im Vorfeld kommt ab 24. November der Film. „Merkel – Macht der Freiheit“ in die deutschen Kinos. Anhand einer geschickten Collage von Archivmaterial und Interview mit Journalisten und Politikern, Freunden und Kritikern entwickelt Regisseurin Eva Weber ein äußert sympathisches Porträt der einstigen, in diesem Film zuweilen sehr attraktiven Kanzlerin, mit der Aura eines Stars bereits auf dem Filmplakat…

„Werner Herzog – Radical Dreamer“ – ein exzellenter Dokumentarfilm über Deutschlands außerordentlichsten Filmemacher der letzten Jahrzehnte

Filmkritik "Werner Herzog-Radical Dreamer" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Mit weiten Blick auf die CDB von Los Angeles, die im Morgenlicht über der dunstigen Ebene erstrahlt, klanglich dunkel, geheimnisvoll untermalt, beginnt der Film über Werner Herzog wie großes Hollywoodkino und zeigt doch das Gegenteil, die dokumentarische Vita eines deutschen Filmemachers. In Deutschland sehr umstritten, dann ignoriert, in Paris und in den  USA gefeiert, blickt er auf an die 80 Spiel- und Dokumentarfilmproduktionen. „Cobra verde“, „Aguirre – der Zorn Gottes“, „Fitzcarraldo“, „Nosferatu“ wurden Kultfilme. „Jeder lebt seinen Film. Wir leben in Fantasiewelten“, so Werner Herzog. 
Dabei schreckt er vor nichts zurück, gab nicht auf und wagte, was nicht zu machen war, und es gelang ihm, selbst einen Dampfer mit archaischen Mitteln über einen Berg zu stemmen. 
„Werner Herzog – Radical Dreamer“ gibt Einblick in das Schaffen dieses charismatischen Filmemachers, dessen markante Stimme mit der charmanten bayerischen Tonfärbung in den USA sogar einer Simpson-Figur Leben einhauchte…

„Der Russe ist einer, der Birken liebt“

Filkmkritik "Der Russe ist einer, der Birken liebt" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Es geht nicht um den Russen, sondern um eine junge selbstständige jüdische Frau. Mascha reist von Frankfurt nach Israel, um das Leben auszuloten. Sie lässt sich auf Begegnungen unterschiedlichster Art ein, liebt einen Fußballspieler, der sich das Bein bricht und an der Entzündung der Operationswunde stirbt, geht auf die lesbischen Avancen einer jüdischen Soldatin ein, lässt sich in den Clubs von Tel Aviv treiben, trifft ihren russischen Ex-Liebhaber wieder. 
Vorlage für das Drehbuch ist Olga Grjasnowas gleichnamiger Debütroman „Der Russe ist einer, der Birken liebt“, 2012 als poetische Stimme einer neuen Generation begeistert rezipiert. Das Drehbuch reduziert die Handlung, was den Film zunächst sehr mysteriös und sprunghaft erscheinen lässt. Was weggelassen wird, spielt sich allein in Maschas (Aylin Tezel) Gesicht ab, auf das die Kamera ständig fokussiert. Was Mascha so sein lässt, wie sie ist, wird erst am Schluss deutlich…

Fatih Akin – „Rheingold“ – mythisch aufgewertete Gangsta-Biografie

Filmkritik "Rheingold" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Flucht, Armut, Boxtraining, Drogendeal, Goldraub und schließlich eine Musikkarriere als Gangsta-Rapper mit drei Alben auf Platz 1 der Charts – Xatars Leben ist wie ein Drehbuch, der ideale Stoff für Fatih Akin, einen der besten Regisseure Deutschlands, Xatars Autobiografie „Alles oder Nix“ die Basis für den Film. 
Durch die Authentizität seiner frühen preisgekrönten Filme „Kurz und Schmerzlos“ oder „Gegen die Wand“ wurde Fatih Akin berühmt. Seit zwei Jahren kreist er metaphorisch um Gold. Nach dem Übelkeit erzeugenden Film „Der Goldene Handschuh“ (siehe Kritik vom 11.02. 2019) über den Frauenmörder Fritz Honka in St. Pauli präsentiert er jetzt mit „Rheingold“ ein wesentlich glatteres, weniger verstörendes Porträt, das zwischen krimineller Energie und Heldentum chargiert, trotz grausamer Folter- und Schlägerszenen Clans und Polizei herrlich parodiert und in den zwischenmenschlichen Beziehungen unbesiegbarer Seelenverwandtschaften aufleuchten lässt…

„Liebe, D-Mark und Tod – Aşk, Mark ve Ölüm“ – ein sozial-dokumentarischer Musikfilm von Cem Kaya 

Filmkritik von „Liebe, D-Mark und Tod - Ask, Mark ve Ölüm“ präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

„Getrennt wurde ich von der Heimat…“ Wenn diese Lieder erklangen, fühlten alle Gastarbeiter die gleiche Sehnsucht. Yüksel Özkasap, die Nachtigall von Köln, traf genau den Nerv ihrer Landsmänner. Sie wurde ein Star, produzierte 315 Lieder und verkaufte 4,5 Millionen Singles. In Deutschland wurde nicht nur diese Sängerin, sondern die türkische Musik insgesamt ignoriert. Dabei wäre die Musik ein idealer Brückenschlag für menschliche Annäherung gewesen. Das versucht nun Cem Kaya in seinem Film „Liebe, D-Mark und Tod“ in der Nachverfolgung von 60 Jahren türkischer Musik…

Ruben Östlund – „Triangle of Sadness“ – satirische Robinsonade der Superreichen als Abgesang des Kapitalismus 

Filmkritik "Triangle of Sadness" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Mit der Goldenen Palme bei den Filmfestspielen 2022 in Cannes ausgezeichnet, fragt man sich jetzt, nachdem „Triangle of Sadness“ in den Kinos zu sehen ist, warum ausgerechnet dieser Film nominiert wurde. Konnte sich das erlesene Publikum in Cannes über die eigene Spiegelung amüsieren oder gab es keinen besseren Film, wurde gemutmaßt. Doch was anfangs so arg trivial daherkommt, entpuppt sich in der Gesamtkonzeption als gekonnt satirische, durchaus sehenswerte Untergangsmetapher des Kapitalismus.
Ruben Östlund musste nicht allzu viel erfinden. Superreichtum gebiert genügend Grotesken, die sich filmisch effektvoll umsetzen lassen. „Was auf diesen Luxusbooten passiert, ist wirklich absolut verrückt“, erklärte er in einem Interview mit der TAZ. Sein Talent liegt darin diese Anekdoten in ganz ruhigen Filmsequenzen explodieren zu lassen und in alltäglichen Situationen und nebensächlichen Details ein ungewöhnlich skurriles Potential zu entdecken…

München – Verleihung des „Werner-Herzog-Filmpreis 2022“ im Filmmuseum

"Werner-Herzog-Filmpreis 2022" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Zum sechsten Mal wurde am Freitag, 14. Oktober, der Werner-Herzog-2022 verliehen. Dazu war Filmemacher Werner Herzog, der dieses Jahr seinen 80. Geburtstag feiert und eine Autobiografie veröffentlicht“ (siehe Buchbesprechung vm 19.September) eigens aus den USA angereist. Geehrt wurde der iranische Regisseur Asghar Farhadi für seinen neuen Film „A Hero, die verlorene Ehre des Herrn Soltani“ (siehe Kritik vom 5. April 2022). Asghar Farhadi wurde live dazu geschaltet. 
Warum von Werner Herzog gerade dieser Film ausgewählt wurde, erklärte er während der Preisübergabe im Filmmuseum…

„Wir könnten genauso gut tot sein“ – ein Thriller über die Angst

Filmkritik „Wir könnten alle schon tot sein“ präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de.

Voller Angst, wie verfolgt, hasten ein Mann und eine Frau, dazwischen der kleine Sohn durch den Wald. Sie wollen eine Wohngenehmigung auf der anderen Seite dieser Welt. Demütig, auf den Knien bittet der Mann um Fürsprache bei der jungen, militärisch wirkenden Sicherheitsbeauftragten. Doch das verrät Unsicherheit. Der Antrag wird abgelehnt. 
Thrillermäßig folgt nun die Kamera fast ausschließlich dieser Sicherheitsbeauftragten, aus deren Perspektive sich die Psychosen der Hausgemeinschaft immer mehr offerieren. Es entsteht eine düster dystrophe Parabel, die durch die ruhige Kameraführung eine außerordentliche bedrückende Kraft entwickelt. Der erste Langzeitfilm der deutsch-russischen Regisseurin Natalia Sinelnikovas, aufgeführt auf der Berlinale 2022, entwickelt sich zu einem Thriller über die Entwicklung von  Angst in abgeschotteten, zu engen Systemen, egal welches ideologische System zugrunde liegt…

„Igor Levit – No Fear“ – ein dokumentarisches Porträt von Regina Schilling

Filmkritik "Ivor Levit - No Fear" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Der Flügel wird die Treppen hochgeschleppt. Igor Levit sieht besorgt aus. „Im nächsten Leben spiele ich Querflöte“. Prägnante Kürze und unverblümte Ehrlichkeit zeichnen Igor Levit aus. Durch seine Hauskonzerte während der Lockdowns gelangte er ins Bewusstsein eines breiten Publikums. Mit seinen Konzerten setzte er für viele und auch für sich selbst ein Zeichen der Hoffnung. 
Jetzt zeigt der Film „Igor Levit – No Fear“ ein überaus subtiles und offenes Porträt dieses Pianisten. Weit weg vom üblichen Starrummel beleuchtet Regina Schilling (Drehbuch, Regie) sehr nahe und persönlich, was Igor Levit im Innersten bewegt…

François Ozon „Peter von Kant“

"Peter von Kant" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Die 72. Berlinale rückt Rainer Werner Fassbinder mit dem Eröffnungsfilm „Peter von Kant“ ins Zentrum der Internationalen Filmfestspiele Berlin. Seine großartigen Filme sind in Deutschland in der Versenkung verschwunden, werden aber in Frankreich noch sehr geschätzt. 1972 drehte Fassbinder „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“, eine Auseinandersetzung über Liebe mit der Einsicht „Man muss lernen zu lieben, ohne zu fordern“.
Regisseur François Ozon macht aus Petra Peter und weitet den Film so zu einem Porträt Fassbinders. In der Ästhetik der 70er Jahre, in intensiven, schwülen Farben und Songs gelingt ein subtiles Kammerspiel, das Außenwirkung und Innenleben, Liebe und Macht, Abhängigkeit und Freiheit in allen menschlichen Beziehungen der Geschichte nachspürt, die Wechselhaftigkeit und Sensibilität Fassbinders offenlegt und sein vergebliches Suchen nach Liebe bis in Rausch, Aggression und Zusammenbruch nachzeichnet. Es entfaltet sich ein weichgezeichnetes, ästhetisch gestyltes Fassbinder-Porträt des ehemaligen Enfant Terrible des deutschen Films zwischen der Ernsthaftigkeit eines Kammerspiels und Hollywood-Glamour…

Florian Heinzen-Ziob – „Dancing Pina“ – eine Hommage an Pina Bauschs Tanzstil und wie er sich weiterentwickelt 

Pina Bausch (1940-2009) gehört zu den großen ErneuerInnen des modernen Tanzes. Wim Wenders filmte 2011 ein Epos über ihre Arbeit. Ihre Tanzkompagnie, die sie Anfang der 1970er Jahre in Wuppertal gründete, war nicht auf ein optisches Einheitsmaß zurechtgestutzt. Es kam nicht auf eine gewisse Größe und Körperlichkeit an, sondern auf die Persönlichkeit der TänzerInnen. „Die Bewegungen müssen sprechen.“ Florian Heinzen-Ziob zeigt diese Botschaft in wunderbaren Filmsequenzen simultan während der Proben in Afrika und in der Dresdner Semperoper, wie Pina Bauschs Tanzstil weiterentwickelt wird…

Pina Bausch (1940-2009) gehört zu den großen ErneuerInnen des modernen Tanzes. Wim Wenders filmte 2011 ein Epos über ihre Arbeit. Ihre Tanzkompanie, die sie Anfang der 1970er Jahre in Wuppertal gründete, war nicht auf ein optisches Einheitsmaß zurechtgestutzt. Es kam nicht auf eine gewisse Größe und Körperlichkeit an, sondern auf die Persönlichkeit der TänzerInnen. „Die Bewegungen müssen sprechen.“ Florian Heinzen-Ziob zeigt diese Botschaft in wunderbaren Filmsequenzen simultan während der Proben in Afrika und in der Dresdner Semperoper, wie Pina Bauschs Tanzstil weiterentwickelt wird…

Film – Girl Gang

Filmkritik "Girl Gang" präsentiert von ww.schabel-kultur-blog.de

„Es war einmal eine Zeit, da lebte ein Mädchen am Rande einer großen Stadt. Die Eltern schenkten ihr einen kleinen schwarzen Spiegel, in dem sie alle anderen Mädchen auf der Welt sehen konnte.“ Mit diesem Beginn kreist der Film „Girl Gang“ um die 12-jährige Leonie als Instagram-Ministar. Mit Hilfe ihrer Eltern schafft sie mit 14 Jahren den Durchbruch als Influencerin mit 1,5 Millionen Followern.
Wie steinig dieser Weg ist, zeigt Susanne Regina Meures (Drehbuch, Regie, Kamera) in einer sehr schlichten Geschichte, die durch eingeblendete Befragungsergebnisse, reale Orte, Markenprodukte und deren Managementstrategien in kurzen Sequenzen dokumentarischen Charakter gewinnt, um Licht und Schatten in diesem neuen Traumjob als Influencerin aufzuzeigen…