„Anne-Sophie Mutter“ – Dokumentationsfilm von Sigrid Faltin

Filmkritik "Anne Sophie Mutter Vivace" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

„Das Beste, was Deutschland hat“… „Sie ist einfach ein Genie“…“eine Weltklasse Violinistin“. Anne-Sophie Mutters Renommee ist nicht zu überbieten. Ihr 60. Geburtstag ist Anlass für einen Dokumentarfilm, keine einfache Aufgabe, da Anne-Sophie Mutter nicht gern über Privates spricht. Filmemacherin Sigrid Faltin entschied sich für ein Porträt über Archivaufnahmen und Gesprächsrunden. Dafür wünschte sich Anne-Sophie Mutter nicht nur ihre Musikerfreude wie den Komponisten Jörg Widmann, den Pianisten und Dirigenten Daniel Barenboim, ihren langjährigen Begleiter auf dem Klavier Lambrecht Orkis und den Filmkomponisten John Williams (u.a. „Star Wars“), sondern auch Tennisstar Roger Federer und den New Yorker Magier Steve Cohen.

Der Film zeigt durch die Archivaufnahmen, wie Anne-Sophie Mutter sich entwickelt hat, durch die Gespräche, wie sie wirken will, fröhlich, kommunikativ, weltreisend, durch und durch von der Musik beseelt und gleichzeitig bodenständig, naturverbunden und jugendlich sportlich. „Ich bin, wenn überhaupt, eine fröhliche Legende“ nach ihrer eigenen Vermarktungsstrategie…

Reiner Holzemer – „Lars Eidinger – Sein oder nicht sein“ – ein fulminantes Schauspielerporträt

Filmkritik "Lars Eidinger Sein oder nicht sein" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Als Exhibitionist wird er oft auf der Bühne wahrgenommen. Woher kommt die eruptive Energie Lars Eidingers? Genau dieser Frage geht er in seinem Filmporträt nach. Er zeigt an einigen Best-of-Rollen auf der Bühne und in Filmen, vor allem als Jedermann in Salzburg, Hamlet und Richard III. an der Schaubühne, warum er so ein besessener Darsteller ist. Seine Gratwanderung zwischen bejubelt und missverstanden inszeniert er, wie wäre es anders zu erwarten, mit großartiger Theatralik durch den sachlichen Blick des Dokumentarfilmers Reiner Holzemer…

Christian Petzold  – „Roter Himmel“ – eine Filmmetapher über Liebe und Romantik

Filmkritik "Roter Himmel" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

„Die Arbeit lässt es nicht zu“, ist Leons Standardformel, um sich selbst auszuschließen. Während die anderen in der Ostsee baden, auf das Meer blicken, sitzt er im Garten und schreibt an seinem zweiten Roman. Ganz langsam kristallisiert sich heraus, wer in Christian Petzolds Sommergeschichte „Roter Himmel“ die anderen sind. Das Waldfeuer flammt auf. Stärker ist die Liebe…

Todd Fields „Tár“ – ein vielschichtiges, faszinierendes Psychogramm über Musik und Cancel Culture

Ein kurzer WhatsApp-Talk über Liebe als Vorspann, zu Filmbeginn tablettengestützte Konzentration vor dem Auftritt und ein langes fachliches Interview mit der Stardirigentin Lydia Tár vor großem Auditorium, das sind die Eckpunkte des Films. Aus der Ruhe entwickelt Todd Field 21 Jahre nach seinem Durchbruch mit „In The Bedroom“ und „Little Children“ seinen dritten Film „Tár“ als ein vielschichtiges, fiktives Psychogramm über Musik und Klang, Karriere und Cancel Culture, mit faszinierender Authentizität von Cate Blanchette als Lydia Tár gespielt…

Berlinale- Sektion Encounters – „The Klezmer-Project“ weitet den eigenen Projektgedanken

Filmkritik "The Klezmer-Projekt" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Die Sektion Encounters will Gegenwart aus der Vergangenheit verstehen und visioniert in die Zukunft. In diesen Kontext passt das „The Klezmer-Project“ zumindest teilweise, denn die Vision fehlt. Klezmermusik entstand in den Stetls, den jüdischen Stadtvierteln im osteuropäischen Bessarabien, heute Teil der Ukraine und Moldaus, als Tanzmusik überbordender Lebensfreude bei Hochzeiten.
Als der frustrierte Hochzeitsfilmer Leandro Koch bei einer jüdischen Hochzeit in Argentinien die Klezmer-Klarinettistin Paloma Schachmann kennenlernt, infiziert sie ihn mit ihrem Interesse für Klezmermusik. Die Recherchen für ihr „Klezmer-Projekt“ gestalten sich schwierig. Es gibt nur ein paar alte Fotos, wenig Informationen im Verwandten- und Bekanntenkreis. Schließlich ermöglicht ein Auftrag für das Österreichische Fernsehen die Reise nach Osteuropa…

Berlinale – Sektion Wettbewerb – João Canijos „Mal Viver“ enttäuscht

Filmkritik "Mal Viver" Berlinale präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Eine Frau reinigt einen Swimmingpool, eine andere blickt anteilnahmslos, wirkt völlig emotionslos, als wäre sie in einer psychiatrischen Klinik zur Behandlung. Doch sie führt mit ihrer Schwester, der Mutter und zwei angestellten Frauen das Hotel. Als ihre Tochter zurückkehrt, werden die menschlichen Spannungen unerträglich. Warum führen sie allesamt dieses „Mal viver“?…

Berlinale – Sektion Wettbewerb – Nicolas Philiberts Dokumentation „Sur L´Adamant“

Filmkritik "Sur L`Adamant" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

„Die menschliche Bombe bist du / wenn du dir nehmen lässt, was dich antreibt“, ist der Refrain, den ein alter, zahnloser Typ in einem Pariser Café singt. Die anderen lachen und klatschen. Das Café ist im Adamant, eine Tagesklinik für psychisch kranke Menschen. Von außen wirkt sie wie ein schwimmendes Kongresszentrum. Die Lamellenfenster lassen Licht in die Innenräume fluten. Genau das passiert mit den Menschen in Nicolas Philiberts Dokumentation „Sur L’Adamant“…

Berlinale Special – Robert Schwentkes „Seneca – The Creation of Earthquakes“ als brutale Groteske

Filmkritik "Seneca" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Robert Schwentkes Blick auf den römischen Philosophen Seneca ist eine extrem groteske Parabel, um die unendliche Brutalität und den Irrsinn der Mächtigen darzustellen. Schon in seiner Zeit war Seneca umstritten, der als Stoiker und Dramatiker zwar die Milde lehrte, als Berater Neros zu den reichsten und mächtigsten Männern seiner Zeit avancierte und zunehmend anders handelte als er philosophierte.
Wie ein schräges Laienspielspektakel mit billig antiken Versatzstücken und pathetischem Duktus inszeniert Robert Schwentke „Seneca“ als Parabel für den Beginn des globalen Erdbebens. Immer greller und grausamer wird das Spiel, das erst bei Senecas Selbstmordversuchen  offeriert, wohin es zielt. Senecas Gedankenstrom ist scheinbar nicht totzukriegen, aber seine philosophische Botschaft ist ohne Wirkung, die kosmische Apokalypse die Konsequenz der Egomanie der Mächtigen…

Berlinale – Sektion Wettbewerb – „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“

Filmkritik "Irgendwann werden wir uns alles erzählen", Berlinale, präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Weiter Horizont über gigantischen Weizenfeldern, doch die Zeit der Kolchosen ist vorbei. Die Grenzen sind geöffnet. Das hätte sich Maria niemals vorstellen können, einfach so mit ihrem Freund Johannes in den Osten zu fahren, noch weniger, dass ein Blick in Henners Augen ihr Leben in eine explosive Leidenschaft verändern würde. Das klingt romantisch und ist auch als großes Liebesepos angelegt. 

Aus der Perspektive der 19-jährigen Maria erzählt Emily Atef nach Daniela Kriens Roman „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ die Geschichte von der magischen Anziehungskraft zweier Menschen eingebettet in die Zeit der Grenzöffnung, als zwei extrem unterschiedliche Staatssysteme fusionieren. Auf beiden Ebenen bleibt ein Teil ganz unerwartet auf der Strecke…

Berlin – Sektion Berlin Special – Lars Kraume „Der vermessene Mensch“ erhellt die Gräuel deutscher Kolonialgeschichte

Entferne Begriff: Filmkritik "Der vermessene Mensch" präsentiert von ww.schabel-kultur-blog.de

Blutrote gerade Linien strukturieren die Leinwand, fügen sich zu einem unregelmäßigen Gitternetz. Was zunächst wie eine Landkarte erscheint, stellt sich als Schädel heraus. Bei einer Völkerschau begann 1898 in Berlin die Vermessung afrikanischer Köpfe, um die Entwickungsunterschiede zwischen Weißen und Schwarzen evolutionär zu begründen, die deutsche Kolonialherrschaft in Afrika und später die Rassentheorie der Nationalsozialisten zu legitimieren.
Mit seinem eindrucksvollen Historiendrama „Der vermessene Mensch“ liefert Lars Kraume einen beeindruckenden Beitrag zur Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte…

Berlinale – Sektion Wettbewerb – Magarethe von Trottas „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ – klug konzipiert, exzellent gespielt

Filmkritik "Ingeborg Bachmann - Reise in die Wüste" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Ein analoges Telefon klingelt penetrant. Eine Frau tastet sich in einem dunklen Gang vorwärts, nimmt den Hörer, vernimmt verstört ein höhnisches Lachen am anderen Ende. Schnitt. Ingeborg Bachmann wacht in der Klinik aus diesem Alptraum auf. Ausgerechnet sie, die immer in Freiheit leben und lieben wollte, stürzte das Verlassenwerden in den Abgrund.
Sehr subtil und vielschichtig umkreist Regisseurin Margarethe von Trottas neuer Film die 4-jährige Beziehung zwischen dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch und Ingeborg Bachmann, „Deutschlands einzig ernst zu nehmende Dichterin der Nachkriegszeit“. Margaretha von Trottas raffiniert verschlungenes Konzept auf zwei Zeitebenen spiegelt sich bereits im Titel „Ingeborg Bachman – Reise in die Wüste“… 

Berlinale – Sektion Wettbewerb – Matt Johnsons  „BlackBerry“

filmkriitk "BlackBerry" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Wer erinnert sich noch an BlackBerry-Zeiten? Das erste Mobiltelefon mit dem wenig werbewirksamen Namen Research in Motion (RIM) eines kanadischen Herstellers, mit dem man E-Mails über eine Hardware-Tastatur unterwegs schnell versenden konnte, ist inzwischen museal. 
Matt Johnson lässt in seinem Film „BlackBerry“ die chaotische Entwicklung des ersten Mobiltelefons Anfang der 2000er Jahre nochmals aufleben. Basis ist das journalistisch recherchierte, preisgekrönte Sachbuch „Losing the Signal: The Untold Story Behind the Extraordinary Rise and Spectacular Fall of BlackBerry“ (2015). Es ist zweifelsohne eine große Story, aber mäßig ohne jegliche filmische Finesse verfilmt…

Berlinale – Sektion Wettbewerb – „The Survival of Kindness“ – „Das Überleben der Freundlichkeit“- eine mythische Reise zum Menschsein 

Filmkritik "The Survival of Kindness" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Tote, wohin man schaut. Aus der Vogelperspektive erkennt man ein verschneites Dorf. Von der Kamera noch höher gefilmt entpuppt es sich als Riesentorte. Ein abgeschnittenes Stück zeigt die dunkle Teigmasse zwischen weißer Glasur, rundherum die Gäste mit Gasmasken, eine berührende Metapher für koloniale Diskriminierung schon im Vorspann…

Berlinale – Sektion Berlin Special – „She Came To Me“ enttäuscht als Eröffnungsfilm

Filmkritik Berlinale "Sch Came to Me" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Was tun, wenn eine Kapitänin nicht nur Schiffe abschleppt, sondern Männer, dann auch noch einen hochdotierten, aber extrem kleinwüchsigen Komponisten in einer Schaffenskrise. Der diesjährige Eröffnungsfilm der 73. Berlinale ist kein Wettbewerbsfilm, sondern aus der Section „Berlinale special“. Die Botschaft ist trotz Solidaritätskundgebungen mit der Ukraine eindeutig. Die Unterhaltung soll nicht zu kurz kommen, ebenso der Glamour durch eine hochkarätige Besetzung. Die bizarre Gratwanderung zwischen Klischee und Kitsch, Satire und Slapstickszenen bleibt, wenn auch exzellent von den DarstellerInnen gespielt, ziemlich flach, unpointiert und provoziert nur gelegentlich zu einem Schmunzeln…