„Was du gerade wohl machst?“, fragt sich die junge Eva, sehr verliebt in Dieter. „Es könnte so schön werden!“, visioniert sie. Bei den Dreharbeiten ist das Paar Simons schon 69 Jahre zusammen, lebt in einem außerordentlich schön gelegenen Haus mitten im Wald und blickt zurück auf das gemeinsame Leben, von Dokumentarfilmerin Pia-Luisa Lenz in ruhigen Bildern vorwiegend aus der Perspektive Evas eingefangen. Die Beziehung hat sich verändert im letzten gemeinsamen Lebensjahr…
Kino
Justine Triet „Anatomie eines Falls“ – Ist Wahrheit ergründbar?

Eine extrem laute karibische Soundschleife nervt. Die junge Studentin weiß die Zeichen zu deuten und verabschiedet sich von der Schriftstellerin, die sie eigentlich interviewen wollte und die ihr so wohlwollend gegenüber sitzt. Deren Mann Samuel scheint das nicht zu gefallen. Einen Tag später liegt er tot im Schnee. Vom Dachfenster stürzte er drei Stockwerke in die Tiefe. Schädeltrauma. Doch die Lage des Körpers passt nicht zur Wunde. Die Anatomie dieses Falls gibt Rätsel auf. Unfall, Selbstmord oder Tod durch Fremdeinwirkung? Sandra, die Ehefrau des Toten, eine bekannte Schriftstellerin, wird des Mordes angeklagt. Für den 11-jährigen Sohn Daniel bricht eine Welt zusammen.
Justine Triet präsentiert mit „Anatomie eines Falls“ einen komplexen, sehr spannenden Gerichtsfilm, der bei dem diesjährigen Filmfestival in Cannes nicht zuletzt durch Sandra Hüller, die in der Hauptrolle der angeklagten Schriftstellerin für Furore sorgte, mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde…
Paloma Zapata – „La Singla“ – eine einzigartige Flamencotänzerin

Ein Dutzend Palmeros, La Singla tanzt wild, ernst, schüttelt sich die Haare aus dem Gesicht. Ihr Blick ist traurig, wütend. Sie tanzt entrückt, hat den Rhythmus in sich. Ihr ganzer Körper scheint aufzuschreien gegen das Unrecht, das ihr das Leben bereitet.
Wer sich mit Flamenco beschäftigt, kennt La Singla. Ihr Foto in der schwarzen Bluse mit weißen Punkten und offenen Haaren ist legendär. Durch ihre temperamentvolle Art zu tanzen, revolutionierte sie schon mit 17 Jahren den Flamenco. Sie erfindet die Alegría neu, tanzt die Martinete mit eruptiver Wucht. Obwohl La Singla taubstumm war, wurde sie in den 1960er Jahren ein Weltstar. Noch keine 30 Jahre alt verschwand sie plötzlich wie vom Erdboden verschluckt.
Paloma Zapata, selbst eine Flamenco-Aficionada recherchierte 50 Jahre nach ihrem Verschwinden nach dem Warum und präsentiert jetzt einen subtilen Film, in dem sie die Karriere La Singlas, aber auch ihren leidvollen, traurigen Weg dahinter nachzeichnet…
Berlin – „23. Filmfest FrauenWelten“ als Hommage an starke Frauen im Kino der KulturBrauerei

Annie hat Angst. Sie will kein drittes Kind mehr. Über eine Untergrundorganisation kann sie in Frankreich 1974 illegal abtreiben. Vom Einsatz der Frauen für Frauen ist sie so begeistert, dass sie mitzuarbeiten beginnt. Ihr Leben bekommt einen neuen Sinn durch die Vision einer antipatriarchalischen und solidarischen Gesellschaftsentwicklung, die heute, fast 50 Jahre später in vielen Ländern der Welt immer noch nicht angekommen ist oder wie in den USA neu diskutiert wird. „Angry Annie“ von Blandine Lenoir rückt als Auftaktfilm beim „23. Filmfest FrauenWelten“ das Mitspracherecht der Frauen in den Mittelpunkt.
Bis zum 1. November werden im Kino der KulturBrauerei mehr als 30 internationale Filme zu den Schwerpunktthemen „Glaube, Liebe, Selbstbestimmung“, „Stärke finden, Stärke teilen“ und „Stell dich nicht so an – steh auf gegen sexualisierte Gewalt“ gezeigt…
Magarethe von Trottas „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ – klug konzipiert, exzellent gespielt

Ein analoges Telefon klingelt penetrant. Eine Frau tastet sich in einem dunklen Gang vorwärts, nimmt den Hörer, vernimmt verstört ein höhnisches Lachen am anderen Ende. Schnitt. Ingeborg Bachmann wacht in der Klinik aus diesem Alptraum auf. Ausgerechnet sie, die immer in Freiheit leben und lieben wollte, stürzte das Verlassenwerden in den Abgrund.
Sehr subtil und vielschichtig umkreist Regisseurin Margarethe von Trottas neuer Film die 4-jährige Beziehung zwischen dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch und Ingeborg Bachmann, „Deutschlands einzig ernst zu nehmende Dichterin der Nachkriegszeit“. Margaretha von Trottas raffiniert verschlungenes Konzept auf zwei Zeitebenen spiegelt sich bereits im Titel „Ingeborg Bachman – Reise in die Wüste“…
Lila Avilés – „Tótem“ – von der Kraft der Familie

„Wir lieben dich alle!“ Welch ein Bekenntnis, welch eine Freude das Fest rundherum für das Geburtstagskind Tona, einen jungen, todkranken Vater, Ehemann, Sohn, Bruder, Neffe, mitten unter vielen Freunden. Nach dieser lebensfrohen Party findet er den Weg in eine andere Welt…
Wim Wenders – „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ – Porträt eines Besessenen

Weiße Brautkleider, Hüllen ohne weibliche Körper im Wald schwebend, statt mit Köpfen mit Geäst und bizarren Dinglichkeiten gefüllt. Welch ein sinnliches Bild der Unschuld angesichts der grausigen Erinnerung an die Schrecken des Nationalsozialismus.
Das Verschweigen und Verdrängen dieser Zeit erlebten Wim Wenders und Anselm Kiefer, beide 1945 geboren als Nachkriegskinder. Sie entwickelten sich zu außergewöhnlichen Persönlichkeiten mit einzigartigen, künstlerisch sehr kontroversen Handschriften, doch beide verbindet der Drang nach dem Existenziellen. Bei Wim Wenders ist es bei aller Unbill der Lebensumstände die Poesie, bei Anselm Kiefer die brachiale Gewalt über Zeitenwenden hinweg. In Wim Wenders neuem Film „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ trifft beides knallhart aufeinander, überaus plastisch mit einer 3D-Kamera in Szene gesetzt. „Die Menschen wollen sich nicht erinnern. Sie suchen das Leichte. Deshalb ist dieser Film so leicht“, konstatiert Anselm Kiefer, aber eben auch sehr tiefgründig, weit mehr als ein Dokumentarfilm, eine Hommage an Poesie und Mythos als Antwort auf alle existentiellen Fragen, woher wir kommen, wohin wir gehen entlang einigen markanten Lebenssituationen Anselm Kiefers, der heute in Frankreich lebt…
„Music for Black Pigeons“

Jazz ist sehr komplex und vielschichtig, international ein Sound um unterschiedlichste Gefühle auszudrücken, ein Kosmos hochbegabter MusikerInnen. Jahrzehnte lang hatten die Regisseure Andreas Koefoed und Jørgen Leth durch die Freundschaft mit dem dänischen Jazzgitarristen Jakob Bro die Gelegenheit verschiedene Jazz-Sessions mitfilmen zu können. Es ist absoluter Wohlfühljazz…
Stephen Frears – „The Lost King“

Eine wahrhaft skurrile Geschichte – Phillippa, eine 43-jährige Frau entdeckt über eine Shakespeare-Vorstellung ihre Leidenschaft für König Richard III. Sie liest alle historischen Bücher über ihn, widerlegt nicht nur teilweise Shakespeares Bösewicht-Interpretation, sondern setzt auch noch Ausgrabungen durch, bei denen die sterblichen Überreste Richard III. gefunden werden. Was zunächst nicht zuletzt durch den trockenen britischen Humor wie eine Comedy erscheint, hat Phillippa Langley tatsächlich erlebt. Es ist kaum zu glauben…
Jialing Zhangs Dokumentalfilm „Total Trust“ – Wie China seine Bürger observiert

Schon der Vorspann ist an Gigantonomie nicht zu übertreffen. Eine Mega-Skyline mit funkelnder Parole. „Nur das kommunistische System kann schaffen, was China gelungen ist“, in derart kurzer Zeit zur zweiten Weltmacht aufzusteigen. Was sich wie ein Werbefilm offeriert, enthüllt sich als überaus interessante Dokumentation, wie China seine Menschen observiert und damit jeglichen Widerstand unterdrückt. „Total Trust“ lässt hinter die Kulissen einer observierenden Großmacht blicken. Wenn das die Gegenwart ist, wie sieht dann unsere Zukunft aus?…
Aki Kaurismäki – „Fallende Blätter“

Ansa arbeitet in einem Supermarkt. Wegen einer abgelaufenen Packung, die sie mit nach Hause nimmt, verliert sie ihren Job. Jetzt karrt sie in einer alten Industrieanlage Sand hin und her. Holappa wird als Metallarbeiter entlassen, weil er trinkt. Am Bau verdient er noch weniger, Grund noch mehr zu trinken und zu rauchen. Zwei Loser begegnen sich. Die Blicke, die sie tauschen, sprechen für sich, aber Ansa nimmt keinen Säufer und er nimmt keine Befehle entgegen. Das Scheitern scheint vorprogrammiert zu sein. Aber Kaurismäkis Kunst in lakonischer Satire die Poesie des Augenblicks aufleuchten zu lassen, ist in „Fallende Blätter“ wieder umwerfend…
Tomasz Wasilewski – „Die Verlorenen“ – Liebe als Gefängnis

Sie lieben sich. Als sich die Tür öffnet, steht das Wasser an der Türschwelle. Eine bedrohlich traumatische Atmosphäre entfaltet sich, die diese dialogkarge Liebesbeziehung immer rätselhafter verdichtet. Erst im letzten Satz wird plötzlich alles klar…
Mary Harron „Dalíland“

Dalí als charmanter Gast in einer amerikanischen Talkshow 1952. Schnitt. Dalí im Rollstuhl mit schweren Brandverletzungen nach einem Brand in seinem Haus in Südspanien 1974. Zwischen diesen Eckpunkten zeigt Mary Harron in ihrem neuen Film „Dalíland“ das Leben dieses umstrittenen Künstlers. James, ein junger Kunststudent, der sein Studium abgebrochen hat, beobachtet als Assistent eines Galeristen zunächst voyeuristisch Dalís exzentrisches Umfeld und taucht schließlich ganz in die schillernde Welt inszenierter Selbstherrlichkeit ein, die allmählich dem Ruin zusteuert. „Daliland“ ist ein Film voller Klischees, in denen ganz bewusst die Erstarrung in den selbst geschaffenen Ikonenstatus parodiert und der große Schwindel mit kopierten Kunstwerken, Dutzenden von unterschiedlichen Signaturen offeriert wird…
Dominik Graf „Jeder schreibt für sich allein“

In einer Zeit, in der in Europa eine Demokratie nach anderen nach rechts rückt, kommt Dominik Grafs Film gerade recht. Entlang von Anatol Regniers Buch „Jeder schreibt für sich allein“ präsentiert er über zahlreiche Interviews, zitierte Originaltexte und historisches Filmmaterial ein fast 3-stündiges dokumentarisches Essay, wie bekannte Schriftsteller, die von 1933 – 1945 nicht emigrierten, den Nationalsozialismus erlebten und sich veränderten, wie stark die Überzeugungskraft der Nationalsozialisten war und wie schwer mit dem abrupten Aufwachen die Bewältigung der einhergehenden Identitätskrise…
Ridley Scott „Thelma & Louise“ – immer noch ein Kultfilm

Und immer noch hat es besonderen Charme, wenn zwei Frauen sich der männlichen Dominanz widersetzen. 1991 wurde Ridley Scotts Roadmovie „Thelma & Louise“ teilweise von den männlichen Kritikern verrissen. Kein Wunder, denn zum ersten Mal waren zwei starke Frauen am Steuer. Jetzt ist der Film wieder in diversen Kinos zu sehen…