Landshut – „Oleanna“ in den Kammerspielen

Folienvexierspiegel auf der Bühne, dazwischen flimmern auf Monitoren verführerische Frauen, begehrt von den Blicken der Männer. Carlotta Salamon spiegelt in David Mamets Stück „Oleanna“ nicht nur die selbstverständliche Rollenerwartung des Mannes an die Frau, sondern auch deren gesellschaftliche Verankerung durch mediale Berieselung und gleichzeitig die sedimentierten Rollenklischees im Denken der Zuschauer, die ein spannender Theaterabend erwartet…

Landshut – Tom Waits Theatermusical „Black Rider“ im Landestheater Niederbayern

Musicalkritik "Black Rider" im Landestheater Niederbayern präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Wie inszeniert man ein Kultstück, bei dem sich jede Szene im Gehirn der Fans festgehakt hat? Bei „The Rocky Horror Picture Show“(2016)  blieb das Landestheater Niederbayern ganz bei der ursprünglichen Version. Regisseur Johannes Reitmeier, von 1996 bis 2002 Intendant in Landshut, hat den Mut und die Phantasie, „Black Rider“ ganz konträr zu Robert Wilsons charismatisch reduzierter Welturaufführung (1990) zu präsentieren…

Berlin – Annie Ernaux’ „Das Ereignis“ im Berliner Ensemble

Annie Ernaux "Das Ereignis" im Berliner Ensemble präsentiert von www.schabel-kultur-blog.

Silbern funkelt die Bühne, vergraut zum Alltag, in dem die Wahrheitssuche durch ein monologisierendes Selbstbekenntnis beginnt. Drei Schauspielerinnen zeigen aus verschiedenen Altersperspektiven die Problematik von Annie Ernaux‘ illegaler Abtreibung in den 1960er Jahren. Weiß gekleidet symbolisieren sie die Unschuld. Unter der Regie von Laura Linnenbaum gelingt ein spannender, achtsamer wie turbulenter Theaterabend…

Landshut – Nick Hornbys „NippleJesus“ in den Kammerspielen Landshut

„Von weitem wunderschön, richtig hässlich ganz in der Nähe“, kommentiert der Saalwärter Dave das Werk einer jungen Künstlerin. In einem abgetrennten Raum hängt Jesus am Kreuz mit schmerzverzerrtem Gesicht. Das beeindruckt sogar Dave, der mit Religion nicht viel am Hut hat. Doch als er näher tritt, sieht er, dass der ganze Körper von Jesus aus kleinen Quadraten mit aufgedruckten „Busennippeln“ besteht, große und kleine, weiße und schwarze, ausgeschnitten aus Pornoheften. Soll das Kunst sein? Ist Nick Hornbys „NippleJesus“ tatsächlich anstößig?…

München – „Die Freiheit einer Frau“ – Felicitas Bruckers spannende Inszenierung nach dem Roman von Édouard Louis in den Kammerspielen

Édouard Louis "Die Freiheit der Frau" in den Münchner Kammerspielen präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Aus einer Person werden drei. Im fliegenden Wechsel spielen drei SchauspielerInnen Édouard Louis’ Erinnerungen an sein Leben in proletarischen Verhältnissen, gleichzeitig die frustrierte Mutter, die sich fünf Kinder von zwei groben, trunksüchtigen Männern machen ließ, und den Édouard Louis‘ Vater, dessen Arbeitsunfall die Familie von der Armut ins Elend stürzt. Die kurz darauf erlassenen staatlichen Renten- und Medikamentenkürzungen weiten die häusliche Problematik auf die Klassendiskrimierung der französischen Politik, die arbeitsunfähige Menschen als Taugenichtse degradiert und in den Tod treibt.
Die Dramatisierung autofiktionaler Romane auf der Bühne ist zur Zeit en vogue und wurde durch die Nobelpreisverleihung an Annie Ernaux befeuert. Viele Zuschauer reagieren begeistert, weil es sich in den Thematiken wiederfinden. Dass „Die Freiheit einer Frau“ in den Kammerspielen so funkt, liegt an Felicitas Bruckers spannendem Regiekonzept…

Berlin – „Champions Poetry Slam“ in der Philharmonie

Champions Slam in der Berliner Philharmonie präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Der Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie war ausverkauft. 1000 vorwiegend junge Gäste, darunter ganze Schulklassen ließen sich von Moderator Ortwin Bader-Iskraut schnell auf Hochfrequenz-Applaus animieren, was beim Champions Poetry Slam 2023 für showmäßige Applaushysterie sorgte, denn das Reglement schreibt einen respektvollen Umgang des Publikums mit den KünstlerInnen vor, mit viel Applaus ohne Buhs. Die Teilnehmer das zeitliche Limit von maximal 10 Minuten einhalten und ihre Texte ohne Kostüme und Requisiten, ohne Musik und Gesang vortragen. 

Landshut – Brechts „Leben des Galilei“ im Landestheater Niederbayern

Theaterkritik Brechts "Leben des Galilei" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Ein Hingucker vom ersten Moment an ist Wolfgang Maria Bauers und Aylin Kaips Inszenierung von Bertolt Brechts Schauspiel „Leben des Galilei“. Aylin Kaips gigantische Ringstrukturen vor projiziertem Sternenhimmel schaffen eine faszinierende Bühnenatmosphäre. Hochkant gestellt spiegeln sie das alte Ptolemäische Weltbild des Aristoteles, waagrecht zerlegt, eingepfercht darin die Menschen die Enge des Denkens, übereinander geschichtet die Dominanz hierarchischer Macht. Schemenhaft treten die Figuren aus dem Kosmos und gewinnen unter Bauers präziser Personenregie schnell eine markante Plastizität. In langen wallenden, morbid zerknitterten Gewändern, die uralten Eminenzen bleich geschminkt mit überspitzten Mitras wirken sie zuweilen wie Untote, die uns wieder heimsuchen. Brechts „Galilei“ hat nichts von seiner Aktualität verloren… 

Berlin – Lion Feuchtwangers Roman „Exil“ als exzellente Theaterversion am Berliner Ensemble

Lion Feuchtwangers Roman "Exil" auf der Bühne des Berliner Ensembles präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Der Eiffelturm als gigantisch fragile Stuhlinstallation signalisiert die aufkeimende Hoffnung der Exilanten in den 1930er Jahren in Paris. Darunter ist auch der Komponist und Musikprofessor Sepp Trautweim mit Frau und Sohn. Er hält sich mit Kommentaren bei den „Pariser Nachrichten“, der einzigen nazi-kritischen Zeitung, über Wasser. Daraus ergeben sich weitere Kontakte und Problemfelder. 
Lion Feuchtwanger selbst Emigrant und russlandfreundlich kreist in seinem umfassenden Roman „Exil“, dem dritten Teil seiner „Wartesaal-Trilogie“ (1937-39), um die Frage, was der Einzelne als kleines Zahnrad im Getriebe der großen Zeitmaschine der Aushöhlung der Bürgerrechte unternehmen kann. Luk Perceval gelingt eine faszinierende Umsetzung auf der Bühne als vielstimmiges Puzzle paralleler Lebenswege…

Berlin – Virginia Woolfs „Orlando“ in der Schaubühne

Theaterkritik "Orlando" in der Schaubühne präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Orlando, der schöne Jüngling in filmischer Großaufnahme. Schnell erkennt er seine männlichen Qualitäten, liebt nicht nur in der Königin Bett, schwankt ständig zwischen Euphorie und Depression, Party und Rückzug, verwandelt sich zur Frau, erlebt den Wandel vom aristokratischen 18. Jahrhundert ins bürgerliche 19. Jahrhundert, heiratet, entflieht dem ehelichen Trott, bekommt einen Sohn und genießt die neue Freiheit, als der erwachsen ist.

Virginia Woolfs fiktive Autobiografie „Orlando“ ist inzwischen ein Bühnenklassiker. Mit Tilda Swinton (1992) gelang eine fulminante Verfilmung. Die Schaubühne verbindet alle drei Genres. 
Die Bühne verwandelt sich in ein Filmset mit Maske, Schlaf-, Schreib- und Esszimmer, darüber eine große Leinwand und im gläsernen Tonstudio  die Vorleserin…

Berlin – Annie Ernaux’ „Erinnerungen eines Mädchens“ in der Schaubühne

Theaterkritik "Erinnerungen eines Mädchens" an der Berliner Schaubühne präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Endlich ohne den strengen Blick der Mutter sich einmal ausleben. 17 Jahre ist die Protagonistin, alias Annie Ernaux alt und unendlich neugierig auf das Leben. Getrieben von der Gier nach der ersten Liebe versteht sie erst viel später danach, wie sie vom Leiter des Ferienlagers sexuell missbraucht wurde. Für ihn war sie nur ein kurzfristiges Amüsement, für sie wurde er „ein Roman lebenslang in den Kopf geschrieben“.
Das “Festival International Neue Dramatik“ an der Berliner Schaubühne brachte im Sommer 2022 Annie Ernaux’ „Erinnerungen eines Mädchens“ in die Schaubühne, einen Monolog, den die Autorin erst im Alter von 76 Jahren veröffentlichte. Das Publikum war begeistert und ist es immer noch…

Landshut – Serhij Zhadans „Waffenstillstand im Donnas“ als deutsche Erstaufführung in einer spannenden, hoch emotionalen Inszenierung von Markus Bartl & Philipp Kiefer

Serhij Zhadan "Waffenstillstand im Donbass" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Die kleine, blaue Küchenlampe mit Wolken ist das einzige Relikt aus glücklichen Tagen. Was sie beleuchtet, ist dramatisch. Der „Waffenstillstand im Donbass“, 2014 politisch beschlossen, während der kriegerischen Inbesitznahme von Serhij Zhadan geschrieben, zeigt Menschen am Rande des Abgrunds. Man kann weder jemanden in Ruhe begraben noch in Ruhe ein Kind auf die Welt bringen. Es gibt keine Regeln, keine Worte mehr, auf die man sich verlassen kann. Alles ist in Auflösung, auch die Kirche. Alles brennt.
In ungewöhnlich dramaturgischer Dichte erzählt Serhij Zhadan vom Untergang seiner Heimat. Der Waffenstillstand kann die Wunden nicht heilen. Alle sind auf ihre Weise traumatisiert. Der Krieg ist das Monster, das die Menschen verändert…

Landshut – Interview zu Serhij Zhadans „Waffenstillstand im Donbass“ als deutsche Erstaufführung

Serhij Zhadan "Waffenstillstand im Donbass" , Interview mit Regisseur Markus Bartl und Ausstatter Phililipp Kiefer präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Vor zwei Jahren wurden Markus Bartl und Philipp Kiefer über eine Lesung in Regensburg auf Serhij Zhadans Text „Waffenstillstand im Donbass“ aufmerksam. Die Idee, dieses erste Theaterstück des ukrainischen Autors auf die Bühne zu bringen, ließ sie nicht mehr los. Ein Sonderfond des Bayerischen Staates für ukrainische Kulturprojekte machte die deutsche Erstinszenierung in Landshut möglich. Da die Organisation des Spielplans im Landestheater längst abgeschlossen war, wurde die Alte Kaserne zum Bühnenort, was vortrefflich zum Sujet passt. Zwischen den Proben hatte ich die Gelegenheit Regisseur Markus Bartl und Bühnenbildner Philipp Kiefer zu interviewen…  

Würzburg – „Anatevka“ im Mainfranken Theater

Musical "Anatevak" am Mainfranken Theater Würzburg präsentiert von www.schabel-kultur-blog.dea

Mit dem Song „Wenn ich einmal reich wär…“ eroberte das Broadway-Musical „Anatevka“ die Welt. Es prägte den Blick auf die russisch-jüdische Volksseele. Die Uraufführung 1964 unter dem Originaltitel „Fiddler on the Roof“ in Anspielung auf Marc Chagalls gleichnamiges Gemälde mitten im Kalten Krieg, drei Jahre nach dem Bau der Mauer wurde umjubelt und im Folgejahr mit neun Tony Awards ausgezeichnet. Jetzt präsentiert das Mainfranken Theater Würzburg eine neue „Anatevka“-Version…