Weihrauch in der Nase, Wassersprudeln im Ohr, ein romantisierendes exotisches Bühnenbild für das Auge bereitete Amanda Piña vor zwei Altären rechts und links auf der Bühne mit einem moderierenden Verehrungsritual die Hommage auf fünf indigene TänzerInnen aus der Zeit des europäischen Exotismus. Im Wechsel von Erklärungen und Tanzeinlagen präsentierte das Berliner Musikfestival „Tanz im August“ final eine moderierte Lehreinheit über die „braune Geschichte des europäischen Tanzes“ und die damit verbundene Aneignungskultur. Das Ergebnis ist eine liebenswürdige, wenn auch langatmige Hommage an fünf vergessene TänzerInnen…
Tanz
Berlin – „Mont Ventoux“ vom Tanzkollektiv Kor’sia im Rahmen des Festivals „Tanz im August“
Als Reise nach einem Menschenbild deklariert machte „Mont Ventoux“ im Rahmen des Festivals „Tanz im August“ neugierig. Doch zwei Tage nach der faszinierenden Tanzperformance „Mycelium“ konnte die Choreografie von „Mont Ventoux“, womit das spanische Tanzkollektiv Kor’sia von einem Festival zum anderen quer durch Europa reist, in Berlin nicht wirklich überzeugen…
Berlin – Christos Papadopoulos’ „Mycelium“ getanzt vom Ballet de l’Opéra de Lyon – ein absolutes Novum beim Tanzfestival
Ein Tänzer scheint durch kleine Ausstellschritte fast über die Bühne zu schweben, ein zweiter, dritter, weitere folgen. Bis zu 19 TänzerInnen sind auf der Bühne. Im ständigen Hin und Her, nahtloser Verdichtung und Auflösung bildet sich eine Schwarmenergie als Metapher für ein Mycel, dem komplexen Gewebe eines Pilzes oder Bakeriums, das sich final in Fisch- und Vogelschwärme verwandelt. Grandios setzt Christos Papadopoulos seine Faszination für Naturvorgänge in seiner neuesten Arbeit „Mycelium“ um. Getanzt vom Ballett de l’Opera de Lyon war diese Deutschlandpremiere in Kooperation mit dem Dresdener Gastspielhaus Hellerau der Höhepunkt des diesjährigen Festivals „Tanz im August“…
Berlin – Meditationsperformance „Dream“ von Alessandro Sciarroni in der St. Elisabeth Kirche
In einer leeren Kirche, nur ein Klavier mittendrin, mit rundherum acht PerformerInnen, die BesucherInnen am Rand, mitunter dazwischen präsentierte der international bekannte Künstler Alessandro Sciarroni sein Projekt „Dream“. 2019 wurde er in Venedig für sein Lebenswerk im Tanz mit dem „Goldenen Löwen“ ausgezeichnet.
„Dream“ konzipierte er als 5-stündige Reflexion über „eine Menschheit, die sich bewusst für ihr Aussterben entscheidet“…
Berlin – „Tanz im August“ – Amala Dianors neue Choreographie „Dub“ im Haus der Berliner Festspiele
Von der Bühne ziehen die Nebel über den Zuschauerraum. In der Ferne leuchten in linearen Strukturen eine Tür mit Treppen und einer Rampe auf drei Seiten als effektvolle Podeste für die TänzerInnen und Electro-Produzent Awir Leon, der live für den musikalischen Background sorgt. Dub, Kurzform für „double“, eine kopierte, collagierte Musikproduktionsweise, wie sie in den 1960er und 1970er Jahren in Jamaika entwickelt wurde, avancierte schnell zu einem Special Label, da sie nicht konserviert und damit auch nicht kopierbar war. Genauso konzipierte Amala Dianor ihre neue Choreographie „Dub“ über die Fusion verschiedener Urban Dancer…
München – „Sphären.02 | Preljocaj“ – zeitgenössische Ballette bei den Opernfestspielen
Die Schwerkraft erkunden, das Parfüm der Rose entdecken, gegen die Kälte tanzen, mit extravaganten zeitgenössischen Choreografien überraschte das neue Ballettformat „Sphären“ bei den Münchner Opernfestspielen. Noch nicht bekannte künstlerische Handschriften will es entdecken. In der zweiten Auflage kuratierte Angelin Prejocaj das Programm und wählte zu seiner eigenen Choreografie „Un trait d´union“, Èmilie Lalandes „Le spectre de la rose“ und Eduard Hues „Skinny Hearts“. Auf der Bühne, von einigen Requisiten abgesehen, leer und dunkel, leuchten die Körper umso mehr, entwickelt sich die Magie physischer Kraft und Schwerelosigkeit als Ausdruck psychischer Prozesse jeweils in 25 Minuten intensiven Tanzens…
Berlin – Verdis „Messa da Requiem“ – Christian Spucks wuchtiger Tanzabend wieder im Programm des Berliner Staatsballetts
Nur selten steht die gigantische, euphorisch bejubelte Choreografie von Verdis „Messa da Requiem“ auf dem Programm. 2016 sorgte Christian Spuck als Intendant in Zürich mir seiner synergetischen Interpretation für Aufsehen. Im letzten Jahr wählte er diese Choreografie in einer überarbeiteten Fassung als Einstand seiner Berliner Intendanz als Zeichen für innovative Wege. Für die gekonnte Symbiose von wuchtigen Tanzsequenzen, mächtigem Chor mit vier stimmgewaltigen Solisten und fulminantem Orchester gab es auch bei der 9. Aufführung Standing Ovations…
München – „Duato/Skeels/Eyal“ – moderner Tanz in faszinierenden Facetten
Zwischen Drogentod, dystopischer Genesis und entgrenzendem Tanzritual präsentiert das Staatsballett München ein mitreißendes Programm zu Beginn der diesjährigen Ballettwoche. Der Tanz als Ritual der Erkenntniserweiterung bildet die gemeinsame Basis dieser wegweisenden Choreografien, die modern abstrahiert getanzt doch an uralte Tanzrituale anbinden, in denen sich über aktuelle Themen die Sehnsucht nach Entgrenzung offeriert und gleichzeitig die Tradition des Erzählballetts in immer abstrakteren Metaphern weitergeführt wird…
Berlin – „Club Amour“ und „Café Müller“ – Weiterentwicklung von Pina Bauschs Tanzstil beim Tanzfestival der Berliner Festspiele
Jeder für sich, zwei Tänzer und eine Tänzerin springen, fallen, verdrehen und verrenken sich nackt bis auf ein T-Shirt, auf drei kleinen quadratischen Plattformen eines Gerüstturms, das Publikum ganz nah im Kreis herum sitzend oder stehend. Die Tanzsprache ist deutlich erkennbar in der Tradition von Pina Bausch, aber nicht nur wegen der Nacktheit in der Körperarbeit, sondern auch in der Konzeption weiterentwickelt…
Berlin – „William Forsythe“ – tosender Applaus für das Berliner Staatsballett und Choreografie-Legende William Forsythe
TänzerInnen verwandeln sich in Vogelwesen, außer Rand und Band geratene Arbeitsmaschinen oder in stereotype Schönheitsobjekte. Sie begeistern das Publikum bei jedem Stück von William Forsythes dreiteiligem Tanzabend. Er selbst war drei Wochen in Berlin präsent, um die komplexen Stücke mit dem Berliner Staatsballett einzustudieren und die Premiere zu feiern. Es ist auch ein rauschender Erfolg für den neuen Intendanten Christian Spuck, der nach seiner eigenen traditionellen Erzählchoreografie „Bovary“ William Forsythe, einem der innovativsten Tanzerneuerer, nach Berlin holte. Oft auf Spitze getanzt, das klassische Bewegungsrepertoire immer wieder kurz präsent entwickelte er ein zauberhaftes Tanzvokabular, das nun über drei seiner wegweisenden Stücke, inzwischen Klassiker der modernen Tanzszene, vom Berliner Staatsballett in der Deutschen Oper zu sehen ist…
Berlin – „2 Chapters Love“ getanzt vom Berliner Staatsballett begeistert das Publikum
Eine Lady (Polina Semionova) stöckelt auf Highheels den Bühnenrand entlang, platziert sich erotisch, gestikuliert ironisch zu „Don´t Cry Baby“ und beißt genussvoll in die Melonenstücke, die ihr ein Herr (Matthew Knight) reicht, ohne sich in irgendeiner Weise für ihn zu interessieren. Mit diesem pantomimischen Aperitif beginnt Sol León ihre Choreografie „Stars like Moths“. Nach der Pause entführt Sharon Eyal mit „2 Chapters Love“ in kultisch ekstatische Welten. Gleichwohl um Facetten der Liebe kreisend ergeben sich zwei ganz konträre choreografische Handschriften…
München – „Peer Gynt“ als spannendes Erzählballett im Gärtnerplatztheater
„Er war niemals er selbst“, resümiert der Knopfgießer, sprich der Tod am Ende von Ibsens dramatischen Gedicht „Peer Gynt“. Vom Ende her entwickelt Choreograf Karl Alfred Schreiner die berühmte Geschichte eines jungen Lügenbolds und Taugenichts, der hinauszieht in die Welt, um sich selbst zu suchen. Jetzt soll er dem Tod beweisen, was er aus seinem Leben gemacht hat. Die Bilanz ist negativ, Eigen- und Außenwahrnehmung stimmen so gar nicht überein. „Lüge, alles Lüge!“ konterkariert der Tod immer wieder Gynts Erzählungen, die das Ballettensemble des Gärtnersplatztheaters sehr schwungvoll vertanzt und vom künstlerischen Team sehr spannend umgesetzt werden. Karl Alfred Schreiners „Peer Gynt“ entwickelt Erzählballett zu einer gelungenen Symbiose von Bildmagie, Tanz und gesprochenem Wort, wobei dramaturgisch nicht immer der Tanz im Mittelpunkt steht und das „Sündenregister“ Gynts zur Abenteuerreise avanciert…
Berlin – „Chicago“ – schmissiges Broadwaymusical in der Komischen Oper
Extrem sexy schon die erste Szene klatscht und pfeift das Publikum begeistert. Eine Lady in Silber glitzert vor 6500 goldenen Varietélampen der Bühne, umtanzt von einem Dutzend nackter Beine, die Körper in Dessous hinter den roten, erotisch vibrierenden Federfächern nur sekundenweise zu sehen. Mit „Chicago“ (1975), Musik von John Kander, Buch von Fred Ebb und Bob Fosse, inszeniert von Barrie Kosky bindet die Komische Oper in Berlin an die Amüsierkunst der 1920er Jahre an und lässt das Interimsquartier des Schillertheaters ganz vergessen. Die explosive Stimmung der ersten Szene ist kaum zu toppen, im Vaudeville-Stil als Nummernrevue mit geschickt integrierten Handlungsszenen konzipiert hält die Stimmung über drei Stunden lang an. „Broadway made in Berlin“ by Barrie Kosky funktioniert ein ums andere Mal bestens…
Niederlande – „Flamenco Biennale 2023“ – neueste Entwicklungen
Zu einem ganz besonderen Ereignis hat sich die Flamenco Biennale in den Niederlanden etabliert. Die neunte Ausgabe präsentiert sich wie 2021 als Diptychon. Nach dem Erfolg von Teil 1 im Januar und Februar dieses Jahres reist die internationale Flamenco-Avantgarde vom 12. bis 17. Dezember 2023 und vom 24. bis 29. Januar 2024 durch acht Städte in den Niederlanden. Drei Generationen Tanzrebellen, Andrés Marín, Rocío Molina und Manuel Liñán, hinterfragen in ihren neuesten Kreationen die Flamenco-Codes…
Berlin – Christian Spuck erobert mit seiner neuen Choreografie „Madame Bovary“ das Publikum in der Deutschen Oper
Jubel für die 79 TänzerInnen! Jubel für das künstlerische Team! „Madame Bovary“ erobert das Berliner Publikum. Christian Spuck, der neue Intendant des Berliner Staatsballetts, stärkt die Hoffnungen, dass klassisches Ballett mit modernen Entwicklungen fusioniert. Er macht mit seiner ersten Choreografie „Madame Bovary“ nach Gustave Flauberts Skandalroman 1856 das traditionelle Erzählballett wieder attraktiv, indem er es choreografisch, tänzerisch und durch eine exzellente Musikauswahl gekonnt innoviert, im literarischen Meisterwerk des Realismus auf die romantischen Sehnsüchte einer Frau fokussiert, die an den Männern scheitert, ein Thema, das zeitlos aktuell ist…