Kae Tempest „Verbundensein“

Buchkritik von Kae Tempest "Verbundensein" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Wie erkennt man seinen Selbstwert in der Welt, die vor allem auf Gewinn aus ist? Im Sinne einer kreativen Verbundenheit ist Kae Tempests Antwort. Kreativ ist für die bekannte Autorin, Lyrikerin und Rapperin, die sich binär fühlt, alles, was überrascht, erstaunt, nicht nur in der Kunst, sondern genauso im täglichen Tun. Die Verbundenheit ergibt sich aus der Verortung mit anderen Menschen, wo man gerade steht, egal welche Verhältnisse gerade herrschen. In dem 138-seitigen Essay „Verbundensein“, strukturiert nach den sechs symbolisch ausgeleuchteten Situationen eines Konzerts, spürt Kae Tempest statt propagierter Selbstoptimierung den Situationen kreativer Verbundenheit nach und trifft damit genau in die Mitte eines erfüllten Lebens. Ohne vertiefende Sinnfrage bleibt das Leben eine Folge von Pflichten orientiert am Mainstream aufoktroyierter üblicher Statussymbole…

Sébastien Jondeau „Ça va, cher Karl? Erinnerungen an Karl Lagerfeld“

Buchrezension Sébastien Jondeaus "Ça va, cher Karl?" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

1999 freut sich der Möbeltransporteur Sébastien Jondeau über das überaus großzügige Trinkgeld Karl Lagerfelds. Wenig später wagt der Jugendliche aus der Pariser Banlieue um einen Job anzufragen. Sein Traum erfüllt Als Chauffeur, Organisator, Bodyguard lernt Sébastien Jondeau die Welt des Glamours und Luxus kennen. 1919 stirbt Karl Lagerfeld an Krebs. Sébastien Jondeau war der letzte, der ihm die Hand gegeben hat. 20 Jahre „Ziemlich beste Freunde“ wurden jäh beendet. Die Fotografien in der Hand erinnert sich Sébastian Jondeau an diese Ausnahmejahre mit Karl Lagerfeld, einer Zeit, in der sich in ganz anderen Welten zu leben begann, ohne seine alten zu vergessen. Der tägliche Guten-Morgen-Gruß „Ça va, cher Karl?“ wurde Sébastien Jondeau zum Symbol einer lebenslangen, sehr tief verankerten Freundschaft …

Peter Handkes „Zwiegespräch“

Buchrezension Handke "Zwiegespräch" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Von Juni 2021 bis Januar 2022 kreist Peter Handke in wechselnden Perspektiven um ein Zwiegespräch zweier „besonderer Narren“. Der eine erinnert sich an seinen Theaterbesuch, weniger an das Stück als an das Rundherum des Spielorts eines Kindertheaterhauses, der andere an seinen Großvater, einen Spieler. 
In diesem rhetorischen Spiel wird der Großvater zum provokanten Akteur und gleichzeitig zur Marionette, der andere zum Traumhausjäger quer durch das Land… 

Falko Liecke „Brennpunkt Deutschland – Armut, Gewalt, Verwahrlosung – Neukölln ist erst der Anfang“ 

Buchrezension "Brennpunkt Deutschland" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Den Berliner Bezirk Neukölln kennt Falko Liecke wie seine Westentasche. Seit 2009 arbeitet er in diversen Funktionen in diesem sozialen Brennpunkt, als Mikrokosmos mit 330000 Menschen ein komplexes, extrem schwieriges System. Neukölln ist in seiner Widersprüchlichkeit und Vielfalt, seinen sozialen, kulturellen und politischen Spannungen ein Spiegel unseres Landes. „Neukölln ist erst der Anfang“ bezüglich „Armut, Gewalt, Verwahrlosung“. Die Untertitel lesen sich als bedrohliche Prophezeiung für Berlin als „Brennpunkt Deutschland“. 
Was wird aus Neukölln? Diese Frage treibt Liecke um. Er winkt nicht entnervt ab, sondern ist süchtig nach Erfolgen, auch wenn sie nur in ganz kleinen Schritten erfolgen. Wie ein Krimi liest sich sein Buch. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, schreibt Klartext, lässt mitunter emotional Dampf ab, wobei er sich immer wieder selbstbewusst als mutigen Kämpfer für die gute Sache stilisiert. Was man ihm nicht verübeln kann, denn viel zu lange wurden die Probleme in Neukölln ignoriert oder beschwichtigt…

Ulrich Greiner – „Dienstboten – Von den Butlern bis zu den Engeln“ 

Buchrezension von "Dienstboten" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Diener sind Ausdruck der gesellschaftlichen Verhältnisse. Am Hofe Ludwig XIV. arbeiteten 4000 Dienstboten. Im Viktorianischen Zeitalter gab es in England mehr Dienstboten als Industriearbeiter. Bis zum Ersten Weltkrieg musste, wer angesehen sein wollte, einen Diener haben, auch wenn er ihn gar nicht beschäftigen konnte. Danach verschob sich vieles. Wie hat sich das Berufsbild des Dieners verändert? 

Ulrich Greiner, versierter Feuilletonredakteur, recherchierte sorgfältig über Diener und Herren. In seinem Essayband „Dienstboten – Von den Butlern bis zu den Engeln“ kreist er in 15 Kapiteln um das Thema und eröffnet interessante und amüsante Aspekte, von der Hängeschlafkoje in der Küche bis zum Butler für Herzensangelegenheiten…

Samira El Ouassil, Friedemann Karig „Erzählende Affen. Mythen, Lügen, Utopien – wie Geschichten unser Leben bestimmen“ 

Buchrezension "Erzählende Affen" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Von Kindesbeinen bis ins hohe Alter begleiten die Menschen in allen Kulturen Geschichten. Sie erklären uns die Welt, unsere Existenz, bestimmen unser Denken und Handeln. Samira Ouassil und Friedemann Karig, beide publizieren online und in Printmedien, zeigen in ihrem ersten gemeinsamen Buch das Spektrum der „Erzählenden Affen“, sprich Menschen, deren Geschichten sich nach immer gleichen Mustern zusammensetzen. Sie beweisen, dass unsere Heldengeschichten entlang der Gewalt die Maßlosigkeit der Mächtigen darstellen. Damit sich die Welt ändert, brauchen wir neue Geschichten. Wer „Erzählende Affen“ liest, wird diesen Transformationsprozess beim Denken erleben und heutigen Narrativen wesentlich kritischer gegenüberstehen…

Hans Kollhoff  „Architekten. Ein Metier baut ab“

Endlich einmal ein Buch, das die Misere der modernen Architektur sehr gut darstellt. Hans Kollhoff benennt den Etikettenschwindel klar, argumentiert überzeugend und entlarvt die gegenwärtig forcierte Bauweise als reine Nachhaltigkeit der Profitmaximierung ohne jegliche bauliche Nachhaltigkeit. Was jetzt gebaut wird, ist in 20 Jahren wieder abrissreif. Statt Lebensqualität zu schaffen bietet moderne Architektur nichts weiter als rüden Funktionalismus. „Ein Metier baut ab“…

Michel Houellebecq  „Vernichten“

Buchkritik Houellebecqs "Vernichten" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Ein Hinrichtungsvideo des Wirtschaftsministers Bruno Juge sorgt für Irritationen, zumal es keine Animation zu sein scheint, sondern eine Tötung durch die Guillotine live. Doch was wie ein Thriller beginnt, endet in Michel Houellebecqs neuem Roman „Vernichten“ als  Auseinandersetzung mit dem Alter und – reichlich klischeehaft – als rosarote Ode an die Liebe. Michel Houellebecq kratzt an Klischees, formuliert wie immer die Schwächen der französischen Gesellschaft und Politik und erklärt, das ist neu,  Sex als Ausdruck zutiefst empfundener Liebe. Aufgepeppt mit Alpträumen, die das real Erlebte bizarr abwandeln, und einer Mixtur unterschiedlichster Philosophiesplitter kommt „Vernichten“ über eine belanglose Unterhaltungslektüre nicht hinaus, obwohl die Grundkonstellation durchaus interessant ist…

Hans Blossey „Mallorca von oben. Die schönsten Luftbilder der Insel“

Buchkritik "Mallorca von oben" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Mallorca ist eines der wichtigsten Reiseziele der Deutschen. Als Ballermann-Partyzone und Rentnerüberwinterungsinsel hat Mallorca ein zwiespältiges Image. Man assoziiert Massentourismus von der negativsten Art. Doch die Massen kamen nicht von ungefähr. Wie schön die Insel ist, zeigen die Schräg- und Senkrechtaufnahmen Hans Blosseys. Nicht aus dem Cockpit des eigenen Fliegers, sondern vom Rücksitz einer gecharterten Piper PA-18 fotografierte er „Mallorca von oben – Die schönsten Luftbilder der Insel“. Er entdeckt die landschaftlichen Schönheiten abseits des Fremdenverkehrs, kulturelle Kleinode wie die Klosterberge Randa und Petra. In Zeiten der Pandemie lässt er selbst normalerweise stark frequentierte Strände und Innenstädte als Orte der Ruhe und Entspannung erleben…

Siegfried Kohlhammer „Piraten. Vom Seeräuber zum Sozialrevolutionär“

Buchrezension von Kohlhammer "Piraten" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Schon kleine Kinder zeigen im Fasching ihre Liebe zu Piraten. Als Robin Hood der Armen, Symbol eines freien Lebens sind Piraten in der Literatur und in Filmen immer noch sympathisch gezeichnet, wie die Erfolge der Störtebeker-Festspiele und der „Fluch der Karibik“ beweisen.
Siegfried Kohlhammer räumt mit dem edlen Mythos der Piraten auf. Piraterie war von Anfang an nichts anderes als gutorganisiertes Verbrechen. Seeräuber fingen nicht Fische, sondern Menschen und verbreiteten Schrecken auf dem Meer und an der Küste. Anhand von Quellen beweist Siegfried Kohlhammer, sachlich, aber trotzdem sehr spannend geschrieben, dass die These von der Entwicklung vom Seeräuber zum Sozialrevolutionär eine Romantisierung ist, die so nicht stimmt…

Mariana Mazzucato „Wie kommt der Wert in die Welt? Von Schöpfern und Abschöpfern“

Mazzucato "Wie kommt der Wert in die Welt" präsentiert von schabel-kultur-blog.de

Wertschöpfung oder nur Wertabschöpfung? Apple argumentiert Werte für die Gesellschaft geschaffen zu haben und darum keine Steuern bezahlen zu müssen. Das ist ein Paradebeispiel für reines Abschöpfen, denn die Innovationen von Apple waren nur über die Förderung durch Steuergelder möglich. 
Die Schere zwischen echten Innovationen für die Allgemeinheit und Renditen in die eigene private Tasche geht auseinander. Wie und warum das immer krasser wird, recherchiert Mariana Mazzucato in ihrem neuen Buch „Wie kommt der Wert in die Welt?“ Der Raubtierkapitalismus belohnt „Rent-Seeker“, Menschen, die zusätzliche Bezüge absahnen und dadurch Investitionen in Innovationen verhindern…

Markus K. Brunnermeier „Die resiliente Gesellschaft. Wie wir künftige Krisen besser meistern können.“ 

Brunnenmeiers Buch "Die resiliente Gesellschaft" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Gerade die Pandemie zeigt, dass die Gesellschaft derzeit überfordert ist, auf Krisen adäquat zu reagieren. So wie in der Elektrizität die Parallelschaltung die Serienschaltung ablöste und damit flächendeckend für eine Versorgung mit Licht ermöglicht wurde, muss man auch sozialpolitische Modelle entwickeln, Krisen effektiv begegnen zu können.
Genau darum geht es in Markus K. Brunnermeiers Buch „Die resiliente Gesellschaft. Wie wir künftige Krisen besser meistern können.“ Gleich zu Beginn bringt Brunnermeier einen anschaulichen Vergleich mit der Natur. Nicht wie eine Eiche soll die Gesellschaft sein, sondern wie Schilfrohr. Die Eiche bricht beim Sturm, das Schilfrohr nicht, was bedeuten soll, „ich beuge mich, aber ich breche nicht.“ Brunnermeier will Panik durch tragfähige Modelle ersetzen, statt Schockstarre flexibles Reagieren, robust, alias resilient, so das derzeitige Trendwort, auf Krisen reagieren …

Gottfried Schenk „West-Berlin. Kiez & Subkultur Hood & Subculture 1975 – 1990 

Buchrezension "West-Berlin" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

„Was trinken wir?“ Für Cinzano und Schultheiß-Bier wird auf den Brandmauern Berlins geworben. Das Amüsement gehörte zu Berlin wie der politische Widerstand. West-Berlin die freie, wenn auch eingesperrte Insel mitten in der DDR, dazu ist ein neuer Bildband erschienen. 
Gottfried Schenk fotografierte nicht die Berliner Vorzeigebauten. In seinen Schwarz-Weiß- und Farbfotografien leuchtet das Lebensgefühl zwischen 1975 und 1990 wieder auf, die Kraft der Rebellion gegen das Establishment, gegen die Bauprojekte der Neuen Heimat und das Geschick, ohne etwas zu haben, feiern zu können. Protestfahnen und Wandsprüche geben seinen dokumentarischen Fotografien eine besondere Authentizität, in der auch eine Portion morbider Nostalgie mitschwingt…

Barack Obama, Bruce Springsteen „Renegades: Born In The USA. Träume – Mythen -Musik“ – Dialog zweier Außenseiter

Buchrezension "Renegades.Born to the USA" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Geboren im Land der Hoffnung ist die Prämisse von Barack Obamas neuem Buch. Es beruht auf der „unwahrscheinlichen Freundschaft“ mit dem 12 Jahre älteren Rocksänger Bruce Springteen. Die groß aufgemachte Foto-Text-Publikation entstand in Folge eines Podcasts der beiden US-Idole. Der inhaltliche Bogen spannt sich von der „Story Amerikas“, „Amacing Grace“ und „American Skin“ zum „allmächtigen Dollar“. „Mit Geistern ringen“ beide bezüglich der Männlichkeitsklischees. Sie  bekennen sich zur „Furchtlosen Liebe“, Familie über alles, und hoffen auf „The Rising“ von Amerika.
Im lässigen, privaten Gesprächston hinterfragen sie mit großer Offenheit und Empathie, mit Humor und Überzeugung, wie die Kluft zwischen Amerikas Idealen und der Realität entstehen konnte…

Werner Bartens – „Lob der langen Liebe. Wie sie gelingt und warum sie unersetzbar ist“ 

Buchrezension von Bartens "Das Lob der langen Liebe" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

40 Prozent der Menschen leben in den Großstädten als Singles. Immer öfter lassen sich auch alte Ehepaare scheiden, wenn die Kinder selbstständig sind und die Antwort auf die Generalinventur von verkrusteten Eheritualen nur noch die Scheidung sein kann. 
Werner Bartens dagegen vertritt das „Lob der langen Liebe“. Er argumentiert in eingängigen Bildern angefangen von den griechischen Sagen bis zum 400-m-Lauf der Liebe, der sich mit den Jahren in einen 400-m-Hürdenlauf verwandelt…