„Candelaria“ – Kubanische Liebesgeschichte mit berührender Authentizität 

schabel-kultur-blog.de präsentiert Filmkritik "Candelaria" Kuba

Victor Hugo verschachert Zigarren, Candelaria verdient als Sängerin in einer Bar etwas dazu. Es reicht trotzdem nicht. Victor Hugo verkauft seine Armbanduhr, ein Erbstück, damit beide  wieder einmal richtig essen  können, denn entweder „Man stirbt aus Nostalgie oder man verhungert.“  Als der Zufall ihnen eine Sony-Camcorder in die Hände spielt, er sie beim Ausziehen heimlich filmt, flammt die Liebe neu auf. Ungeahnte Offerten ergeben sich, als der Camcorder  gestohlen wird und in die Hände des Capitano der Hehlerei fällt. Er stellt durch Sexvideos  viel bessere Zuverdienste und damit regelmäßiges Essen in Aussicht.

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©DCM

Feinfühlig, mit Tiefgang wird hier ein heikles Tabuthema zur Metapher der Leichtigkeit des Seins. Im kleinen voyeuristischen HD-Format aus der Hand gefilmt, entwickelt  das Alter eine schlichte Schönheit. Die Haut ist faltig, aber die Augen strahlen. Die Körper haben ihre Blessuren, aber im ausgeliehenen Kleid sieht Candelaria immer noch verführerisch aus. Beide  spielen mit ironischen Augenzwinkern  das große Abenddinner als Entree für ein Liebesabenteuer zwischen Gentleman und Diva und erleben es  im selben Moment mit berührenden Authentizität. Ihre helle Hand in seiner dunklen symbolisiert das multikulturelle Miteinander in Kuba. Die kleinen Küken in ihren Schuhen werden zur Metapher für die neu empfundene Liebe, die sich flaumig leicht anfühlt.

Gleichzeitig gibt Jhonny Hendrix Hinestrozas, Drehbuchautor und Regisseur, der Geschichte Raum die politische Kontroll- und Unterdrückungsmechanismen einzubinden, und zwar so, dass die Menschen noch sympathischer erscheinen und das System mit seinen populistischen Nachrichten über die Leistungen des Sozialismus  humorvoll zur „Märchenstunde“ degradiert wird.  Viel zu nah ist der Tod durch Verhungern infolge „unfreiwilliger Diäten“, als dass irgendwer die verkündeten Parolen ernst nehmen könnte. Die Küken bleiben unangetastet und behütet, bekommen die letzten Krümel, auch wenn diese private Tierhaltung gegen das Gesetz der Eigenversorgung verstößt.  Die Hehlerei blüht und wer ein Boot hat, so wie Viktor Hugos bester Freund, peilt Florida an. Nicht das System, sondern die Jungs vom Malecon versorgen ihre Familien.

An Originalschauplätzen gedreht wird Havanna-Atmosphäre in jedem Detail spürbar, die verblassenden Farben der morbiden Häuser, die ruinösen Wege,  die uralten Ventilatoren und Waschmaschinen, der raue Charme des Malecon und natürlich die Musik. Sobald eine Melodie hörbar wird, funkeln die Augen, schwingen die Hüften der beiden Alten. Je schräger der Ton, desto berührender. Das ist kubanisches Leben pur mit viel Liebe füreinander und Durchhaltevermögen, aber ohne Happy-End. Das Leben ist und bleibt bis zum Schluss  „ein einziges Martyrium“.

Michaela Schabel