Berliner Tanzfestival – Wayne McGregors „Autobiography“

schabel-kultur-blog.de präsentiert Tanzkritik Wayneik vom Tanzfestival Berlin "Waayne McGregor

Im Rhythmus harter Techno-Beats wirbeln vier Tänzerinnen und sechs Tänzer in immer neuen Pad des deux und Soli über die Bühne. Kraftvoll, hyperdynamisch, expressiv, existentiell und hochvirtuos tanzen sie, was die Menschen bewegt und antreibt, die sexuelle Energie im Zentrum als Lockruf für menschliche Beziehungen, narzistischer Selbstdarstellung, kämpferischer Zweisamkeit und rituellen Kollektivismus. Jeder Musikakzent wird tänzerisch sichtbar, in präzisen Armen, hohen Beinen, extremen Streckungen und  Überdehnungen, eckigen Wenden und  kraftvollen Drehungen,  mehr aggressiven als hingebungsvollen Annäherungen.

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©Andrey Uspenski

Umso mehr fallen die wenigen behutsamen Gesten im bizarr kämpferischen Mit- und Gegeneinander auf, die Hand an der Wange, über den Kopf streichend den Körper vis-a-vis sanft drehend.

Die Kostüme größtenteils auf schwarze Hosen (Aitor Throup) reduziert bleibt der Fokus auf der lichtmodellierten Muskulatur der Körper und deren sinnlicher Kraft, die sich schon in der anfänglich, leicht vernebelter Atmosphäre klar herauskristallisiert. Gendergrenzen verwischen.  Geschlechtsspezifische Bewegungsformen sind irrelevant. Der Mensch ist das Thema.

Geometrische Lichtinstallationen mit Gegenlichteffekten (Lucy Carter)  und sonoren Elektrobeats (Jlin) verorten „Autobiographie“  in urban hippelige Überreizung,

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©Andrey Uspenski

Gleichzeitig lassen  Trommeln und Vogelgezwitscher schwarzafrikanische Rituale als Befreiungsmomente und als Metapher  authentischer Lebensweise  in tropischer Natur aufleuchten. Dann entwickeln die Tänzer  die Leichtigkeit des Seins, flattern wie Vögel, ein fröhliches Kreisen, Umkreisen, Sich-finden, intensiviert durch die witzigen Rüschen an den kurzen Hosen der Frauen.

Umso härter und entfremdender wirkt das Leben im technologisierten Getriebe, bei hämmernden Technopartys. Narzistisch präsentieren die Tänzer in ihre exaltierten Soli physische Individualität als Ausdruck gesellschaftlichen Konkurrenzdenkens. Vereinsamung wird in den Lichttunneln fühlbar. Senken sich die Decken überspannenden Lichtkörper als spitze Lichtpyramiden, liliputisieren die Tänzer zu Ameisen. Nur noch zum Krabbeln bleibt Raum und man denkt zurück an die erste Sequenz, in der sich ein Tänzer mit afrikanischen Wurzeln kraftvoll erhebt und sich in seinen Bewegungen das ganze Leid der Sklavenbefreiung spiegelt, eine Szene, die sich in rotes Licht getaucht noch einmal wiederholt, als sei die Befreiung nur ein Traum gewesen und die Menschheitsgeschichte kehre zu diesem Elend durch die technologische Versklavung zurück.

Diese Szene wäre ein guter Schlusspunkt. Aber Wayne McGregor lässt  die Szenenfolge durch einen Algorithmus bei jeder Aufführung in eine neue rein zufällige Reihenfolge bringen. Wie im Leben, verändert sich ständig alles. Es gibt keine reine Wiederholung und in dieser „Autobiography“ noch keinen Endpunkt.

Tänzerisch und bühnentechnisch ist „Autobiography“ zweifelsohne der Höhepunkt der ersten Tanzwoche des diesjährigen Berliner Festivals „Tanz im August“.

Michaela Schabel