Berlinale – Andreas Dresens Film „In Liebe, Eure Hilde“ – Mut zum Widerstand

Filmkritik "Liebe Grüße, Eure Hilde" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Hilde, schwanger, wird abgeholt, nicht in die Klinik, sondern zum Verhör. Man wirft ihr Spionage vor. Es gibt kein Entrinnen weder für sie noch für ihren Freund und die ganze Clique, die unter Anleitung eines sowjetischen Spions mit Russland kooperierten. Auf der Basis der NS-Widerstandskämpferin Hilde Coppi gelingt Regisseur Andreas Dresen ein berührendes Porträt über jugendliche Zivilcourage und Liebe …

Berlinale – Meryam Joobeur „Mé el Aïn“ (Wem gehöre ich?) – ein Drama mit mythologischer Tragik – bärenstark

Filmkritik "Who I Belong To" präesentiert von www.schabel-kultur-blog.de.

Der Blick auf einen windzersausten alten, teilweise morschen Baum in dürrer Landschaft lässt instinktiv an ein Drama denken. Umso mehr überrascht die erste Szene. Eltern und Sohn einer Hirtenfamilie im nördlichen Tunesien scherzen fröhlich im Bett, machen sich fein für eine Hochzeitseinladung. Die zwei größeren Söhne wollen nachkommen, stattdessen verschwinden sie. Jeder im Ort weiß, was das bedeutet, IS, Gehirnwäsche und Ausbildung zum Todeskommando in Syrien.
Die Idee zu diesem Film entstand nach der tunesischen Revolution in Folge von Meryam Joobeurs Kurzfilm „Brotherhood“, der ebenfalls die Vater-Sohn-Beziehung thematisiert. Zusammen mit Kameramann Vincent Gonneville arbeitete sie fünf Jahre an dem Film „Wem gehöre ich?“, castete Laien und ProfischauspielerInnen und schuf ein Familiendrama in drei Kapiteln mit mythologischen Zügen, das um die menschlichen Beziehungen kreist, in denen bedingungslose Liebe, abgrundtiefer Hass und grenzenloses Leid aufeinanderprallen. Die drei Jungen stammen tatsächlich von einer tunesischen Hirtenfamilie ab. Mit ihren sommersprossigen Gesichtern und roten Haaren entsprechen sie so gar nicht dem arabischen Klischee, wodurch sich das Geschehen weitet. Was hier passiert, kann überall passieren…

Berlinale – Margherita Vicarios „Gloria“ ein mitreißender, unterhaltsamer Historienfilm 

Filmkritik "Gloria" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de.

Jemand singt und plötzlich beginnen alle im Rhythmus mitzuschwingen. Die Arbeitsgeräusche, das Wäscheglätten, Bodenschrubben, Gemüseschneiden und Fleischklopfen werden zur Perkussion und nehmen den Zuschauer sehr beschwingt mit auf eine unterhaltsame Reise in die Vergangenheit. Margherita Vicarios, Schauspielerin und Musikerin gelingt mit ihrem Debütfilm „Gloria“ ein mitreißender Historienfilm voller Ästhetik trotz der ärmlichen Verhältnisse, getragen von Musik aus zwei Welten, die miteinander fusionieren und alle Begrenzungen sprengen…

Berlinale – Abderrahmane Sissako „Black Tea“ – ein multikultureller Märchenfilm

© Olivier Marceny / Cinéfrance Studios / Archipel 35 / Dune Vision

Dicht gedrängt sind die Hochzeitspaare, die an diesem heißen Tag in Côte d’Ivory heiraten wollen. Aya, eine wunderschöne Braut, verweigert das Ja. Zu sehr hat sie der Seitensprung ihres Bräutigams verletzt. Sie wandert nach China aus, wo zwei Welten aufeinandertreffen. Abderrahmane Sissako macht daraus einen atmosphärischen Film aus der dezenten Distanz der Beobachtung, der harmonisch um ein kulturelles Miteinander kreist, die selbstbewusst extrovertierte Lebensweise der Afrikaner mit der höflich introvertierten Art der Asiaten kontrastiert, wobei die subtile Zubereitung des Tees zur Parabel des gesellschaftlichen Miteinanders wird…

Berlinale – Veronika Franz‘ und Severin Fialas „Des Teufels Bad“ als historischer Horrorfilm

Filmkritik "Des Teufels Bad" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Eine Frau tötet ihr Kind, eine andere bekommt kein Kind, weil ihrem Mann die sexuelle Potenz fehlt. Was die beiden Frauenschicksale vereint, greift über die Problematik der Mutterschaft hinaus. Veronika Franz’ und Severin Fialas Film „Des Teufels Bad“ eröffnet einen Blick in die grausame Vergangenheit des 18. Jahrhunderts. 33 Jahre vor Kants kategorischem Imperativ „Habe den Mu,t dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“, ticken die Uhren noch ganz anders. Die Kirche macht gläubige Frauen durch die Absolution bei Selbstanklage zu Mörderinnen. Die Schicksale in „Des Teufels Bad“ sind keine fiktiven Geschichten, sondern beruhen auf einem deutschen und österreichischen Gerichtsprotokoll…

Berlinale – Nelson Carlos De Los Santos Arias „Pepe“ – ein Nilpferd als Symbol für unsere Welt

Filmkritik "Pepe" auf der Berlinale präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Eine dunkle, verzerrte Stimme beginnt zu erzählen. Die Leinwand bleibt dunkelgrau. Sind hier Menschen verschüttet? Mitnichten. Nilpferde wurden im Auftrag eines reichen Ranchers gefangen, in die Dominikanische Republik exportiert und Nachfahre Pepe als einziges Nilpferd auf dem amerikanischen Kontinent getötet.
Nelson Carlos De Los Santos Arias verwandelt die historische belegte Geschichte eines Nilpferds als in eine mehr oder weniger geglückte Parabel von Versklavung, Freiheit, Diktatur und Mord. Pepe, bereits in die ewigen Jagdgründe eingegangen, erinnert sich seines Lebens, eine durchaus originelle Idee…

Berlinale – Matthias Glasners Film vom „Sterben“ als Soziogramm unserer Zeit

Filmkritik "Sterben" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Beide Eltern sind krank und kommen alleine nicht zurecht. Gleichzeitig erlebt Sohn Tom die Entbindung einer Frau, die ihm sehr nahe steht. Die Schwester Ellen interessiert das alles nicht. Sie rebelliert durch rauschhafte Exzesse gegen die Enge kleinbürgerlichen Lebens. 
Zwischen Tod, Liebe, Siechtum und Exstase navigiert Matthias Glasner neuer Film „Sterben“ auf dem schmalen Grat der Authentizität. Es ist für ihn ein sehr persönlicher Film, in dem er die Erfahrungen verarbeitete, als beide Eltern starben und seine Tochter geboren wurde. Den nüchtern analytischen Blick auf den Alltag erweitert er durch die metaphorische Ebene der Musik…

 Berlinale – Mati Diops Film „Dahomey“ – eine fiktive Dokumentation über Raubkunst 

Filmkritik "Dahomey" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Die Nacht ist dunkel und opak. Tausende fühlen sich entwurzelt und ausgebeutet. Als Nr. 26 kehrt er zurück in seine Heimat. Er ist kein Mensch, sondern eine Skulptur, genauer ein ehemaliger König von Dahomey, einstiges Königreich im Süden des heutigen Benin. Im Rahmen einer fiktiven Dokumentation konzipierte Regisseurin Mati Diop die Restitution von kolonialer Raubkunst. Es gelingt eine ungewöhnliche Reise aus zwei Perspektiven, die das Gespür für diese aktuelle Problematik weitet, wobei Verborgenes sichtbar wird…

 Berlinale – „My Favorite Cake“ (Mein Lieblingskuchen) berührt – Prädikat sehr sehenswert 

Filmkritik "My Favourite Cake" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Und immer wieder sind es die Filme über alte Menschen, aber auch die Filme aus dem Iran, die besonders berühren und in ganz einfachen alltäglichen Geschichten das ganze gesellschaftliche Drama des Menschen erzählen.
In „My Favorite Cake“ treffen beide Aspekte zusammen. Die Dreharbeiten begannen kurz vor der „Woman Life, Freedom Movement“ im Iran. Vor diesem Hintergrund ist der an sich alltägliche Film über die Einsamkeit des Alters hochpolitisch zu sehen, schon allein dadurch, dass eine Frau im Mittelpunkt steht. Durch ihr mutiges Auftreten und sehr umsichtiges Vorgehen ist die Bedrohung durch die Sittenpolizei und die politischen Repressalien ständig präsent. Humorvoll, mit großer Empathie, sehr poetisch gelingt Maryam Moghaddam und  Behtash Sanaeeha mit „My Favorite Cake“ ein latent politischer, trotzdem herzerfrischender Film…

Ein Kosmos von Filmen

Filmkritik "Little Things Like These" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Ganz gegen die Gewohnheiten der letzten Jahren beginnt die 74. Berlinale fern glamouröser Besetzungen und unterhaltsamer Sujets mit einem sehr nachdenklichen Film. „Little Things Like These“, eine irische, belgische, englische Koproduktion, ist ein Spielfilm auf der dokumentarischen Basis der Skandale über die Magdalenenheime für gefallene Mädchen in Irland. Anstatt Zuflucht zu finden wurden Mädchen und Frauen auf das Schlimmste malträtiert und misshandelt. 

Berlin – 74. Berlinale – ein Kosmos von Filmen, in denen sich unser Leben spiegelt

Berlinale 2024, die Wettbewerbsfilme, präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Dreieinhalb Wochen vor Festivalbeginn wurde heute das Programm der 74. Berlinale veröffentlicht. Es ist ein „Kosmos“ von Filmen, so Carlo Chatrian, künstlerischer Leiter. Er vergleicht das Festivalprogramm „mit einem Baum, der in der Vergangenheit wurzelt und seine Äste in die Zukunft streckt.“ Dem Festivalpublikum will er Geschichten präsentieren, die ihn und sein Team in den zurückliegenden Monaten zum Nachdenken gebracht und inspiriert haben. In einer Zeit, in der die Bilderflut so groß wie nie zuvor ist, bekommen nachhaltige Bilder umso größere Bedeutung. Gute Filmsequenzen  graben sich in unser Gedächtnis, provozieren zum Dialog und lassen Zukunft ahnen. Auffällig ist 2024 die große Anzahl von breit angelegten Koproduktionen. Kein Film wurde aus politischen Gründen abgelehnt. Das Filmprogramm ist für Carlo Chatrian ein Angebot. Die Bewertung liegt beim Betrachter….

Berlin – 74. Internationale Filmfestspiele Berlin  –  Edgar Reitz mit der „Berlinale Kamera“ 

91 Jahre alt wird der deutsche Regisseur und Autor Edgar Reitz, einer der einflussreichsten Filmemacher seiner Generation, mit der „Berlinale Kamera“ geehrt. Diese Auszeichnung geht seit 1986 an Persönlichkeiten und Institutionen, die sich um das Filmschaffen besonders verdient gemacht haben und mit denen sich das Festival verbunden fühlt. Die Berlinale Kamera besteht aus 128 Einzelteilen und ist einer realen Filmkamera nachempfunden. Hergestellt wird sie von dem Düsseldorfer Goldschmiedekünstler Georg Hornemann…

Tina Satters Debütfilm „Reality“ über die US-Whistleblowerin Reality Winner

Filmkritik "Reality" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

In einem US-amerikanischen Großraumbüro laufen ständig Meldungen ein. Schnitt. Eine junge Frau sieht sich vor ihrem Haus plötzlich mit zwei FBI-Agenten konfrontiert. Sie haben einen Hausdurchsuchungsbefehl, stellen ganz allgemeine Fragen, doch man merkt am Gesicht der Frau, dass etwas in der Luft liegt. Das Gespräch zieht sich, immer mehr Sicherheitskräfte kommen dazu. Was steckt dahinter?…

Erich Toledinos und Olivier Nakaches amüsante Filmkomödie „Black Friday for Future“

Filmkritik "Black Friday for Future" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Es ist einfach grandios, wie das Regisseur-Duo, Erich Toledino und Olivier Nakache, angefangen von „Ziemlich beste Freunde“ (2011) oder „Das Leben ist ein Fest“ (2017) nun gleich zwei hochaktuelle Themen voller Charme und Witz in „Black Friday for Future“ verhandelt. Nach dem Schwelgen in Freundschaft und Luxus stehen nun mit „Une année difficile“, so der französische Titel, Konsumorgie und Klimawandel im Zentrum ihrer neuen Komödie. Sie beginnt grotesk und endet märchenhaft, ist Amüsement mit Tiefgang, voll witziger Überraschungen vom ersten bis zum letzten Moment…

Simon Verhoevens „Girl You Know It’s True“ – die Wahrheiten hinter der größten Fakeband von „Milli Vanilli“

Filmkritik "Milli Vanilli" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Es ist wahr und längst, seit 1990, bewiesen. Das weltweit gefeierte Discopop-Duo „Milli Vanilli“ war von Anfang an ein Fake. Die beiden gut aussehenden Tänzer mit afrikanischen Wurzeln wollten singen, wurden aber vom Hitproduzenten Frank Farian nur wegen ihrer Optik engagiert. Ihr Rastalocken-Look und ihre sexy Ausstrahlung kam bei den weißen Frauen bestens an. Über Farians Songs wie „Girl You Know It’s True“ und „Girl I’m Gonna Miss You“ wurden sie weltweit berühmt. In einer gekonnten Collage aus Konzert-Livemitschnitten und nachgespielten Szenen porträtiert Simon Verhoeven sehr umsichtig und mit viel Sympathie für alle Beteiligten die Story einer frappierenden Karriere und den freien Fall in die Unbedeutsamkeit…