Berlin – Mozarts „Le nozze di figaro“ – ausgesprochen flott inszeniert an der Komischen Oper 

Opernkritik Mozarts "El nozze di figaro" im der Komischen Oper Berlin präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Komische Oper Berlin, Foto: Monika Rittershaus

Serebrennikovs Ziel ist es „die Oper neu zu definieren und sie in das moderne Leben zu integrieren“. Im Gegensatz zu Mozart, der auf Grund der politischen Lage seiner die sozialkritischen Verhältnisse vernachlässigte und sich auf die Liebesbeziehungen konzentrierte, fokussiert Serebrennikov auf die ungleichen Machtverhältnisse, aber nicht dogmatisch, sondern spielerisch durch viel Esprit, Humor und Satire, weil gerade das Lachen Autorität untergräbt. 

Das ausgewogene Verhältnis der beiden Spielebenen in „Cosi fan tutte“ verschiebt sich. Die Dienerschaft hat sich mit niedrigen, fensterlosen Räumen im Keller zu begnügen, während die Herrschaft darüber in gestyltem Ambiente mit Faible für Kunst agiert, wodurch ständig das gesellschaftliche Ungleichgewicht im Bewusstsein mitschwingt, das im Detail leitmotivisch karikiert wird. Gleich zu Beginn spuckt eine alte Haushälterin auf die Hemden des gnädigen Herrn, die sie bügelt. Unten herrscht emotionale Wärme, oben distanzierte, desinfizierte Coolness. Der Clou ist, dass Serebrennikov die  langen Da-capo-Arien der Machtrepräsentanten, die  letztendlich nur um ihre Liebesangelegenheiten kreisen, durch die dazu erfundene Figur des „Schergen der Mach“ sozialkritisch karikiert. In expressiver Stummfilmoptik ist Schauspieler Nikita Kukushkin dem Grafen ständig zu Diensten, springt und verbiegt sich akrobatisch, apportiert wie ein Hund, wodurch die Inszenierung eine ungewöhnliche Spannung und Dynanmik entwickelt und Machtverhältnisse torpediert. Beides wird durch die Duplizierung Cerubinos noch intensiviert. Taubstumm bleibt Georgy Kudrenko nur die Sprache seines Körpers, um die Inkarnation des Eros zu vermitteln. Das gelingt ihm großartig über Gebärdensprache und  körperliche Expression. Mit Susan Zarrabi als stimmlich und schauspielerisch bezaubernde Cerubina ergibt sich ein weiteres sehr authentisches Liebespaar. Aber vorerst gilt „Capitalism kills love“ in großen Leuchtbuchstaben nicht zu übersehen.

Opernkritik Mozarts "El nozze di figaro" im der Komischen Oper Berlin präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Komische Oper Berlin, Foto: Monika Rittershaus

Die silbernen Kunstobjekte werden immer zahlreicher und größer, verblenden die Sinne, worauf ein Laufband nachdrücklich verweist, und über große Spiegelscherben wird auf der Metaebene die Authentizität der Figuren im Intrigenkomplott hinterfragt. Geht es um Liebe, wie die Musik vorgibt, oder um Geld, wenn über Projektionen flüssiges Gold zu fließen beginnt? In heutiger Zeit wäre weniger Revolution als Amoklauf zumindest denkbar, als kurzer Alptraum angedeutet, denn die Paare finden sich in Da-Pontes reichlich aufgesetztem Libretto auch in dieser Inszenierung wie gehabt. 

Zuviel Optik? Mitnichten. Serebrennikovs durchgängige Bewegungsdynamik funktioniert so gut, weil sie im Rhythmus von Mozarts Musik mitschwingt, und die dirigiert James Gaffigan von Anfang an sehr flott und schwungvoll, mit warmem, subtilem Farbklang und einer wunderbar ausbalancierten Klangharmonie. Das Orchester umschmeichelt regelrecht die Arien, das Cembalo ganz dezent die Parlandos. Gleichzeitig werden die Klassenunterschiede und die einzelnen Charaktere deutlich herausgearbeitet. Hubert Zapiór macht die Autorität des Grafen hörbar und durch sein kapriziöses Verhalten anfechtbar. Nadja Mchantaf vergoldet durch ihren Sopran das Leid der Gräfin und wird zur Sympathieträgerin, die unkompliziert auf gleicher Augenhöhe mit Susanna kommuniziert. Diese bekommt durch Penny Sofroniadou eine herrlich dynamische, beherzte, sehr wandlungsfähige Aura und avanciert zum Publikumsliebling. Tommaso Barea setzt durch seinen durchdringenden Bariton klare Akzente. Man würde ihn gern noch länger und öfter hören. Jede Arie verzaubert, ob solistisch oder gemeinsam. Das berühmte Tutti am Ende nach dem zweiten Akt klingt derart furios, dass das Publikum schon in der ersten Pause völlig euphorisiert wirkt. Entsprechend  begeistert und anhaltend ist der Schlussapplaus.

Künstlerisches Team: James Caffigan (Musikalische Leitung), Kirill Serebrennikov (Inszenierung, Bühnenbild, Kostüme), Olga Pavluk (Co-Bühnenbild), Tatyana Dolmatovskaya (Co-Kostümbild), Julia Jordà Stoppelhaar, Daniil Orlov, Evgeny Kulagin (Choreografie), Olaf Friese (Dramaturgie) Rye Shagalov

Mit: Hubert Zapiór (Graf Almaviva), Nadja Mchantal (Gräfin Alamaviva), Penny Sofrobuadou (Susanna), Tommaso Bares (Figaro), Susan Zarrabi (Cherubina), Karolina Gumos (Marcellina), Tijl Faveyts  (Bartolo), Johannes Dunz (Basilio), Peter Lobert (Antonio) Georgy Kudrenko (Cherobino), Nikita Kukushkin (der Scherge des Grafen), Nikita Elenev (der junge Mann), Susanne Bredehöft (die alte Frau)