Bayreuth – Mozarts „La Clemenza di Tito“ in einer ausgesprochen spannenden Version bei den Gluck-Festspielen

Opernkritik "La Calisto" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Gluck-Festspiele, Foto: Mauro Silva

In nur 50 Tagen mitten in seiner „Zauberflöte“ komponierte Mozart „La Clemenza di Tito“. Den Auftrag für die Krönung Leopolds II. eine Festoper zu schreiben, konnte er kaum ablehnen. Das Libretto stammt auch bei Mozart von Pietro Metastasio (1734). Mozarts Schüler Franz Xaver Süßmayr schrieb die Rezitative. Mozarts letzte Oper ließ die inzwischen schon etwas aus der Mode gekommene Opera seria noch einmal aufleuchten. Der Inhalt war durch das Libretto bekannt. Seria-typisch geht es um Liebe, Intrige Rache am römischen Hof mit dem Ziel dem Herrscher wegen seiner Humanität zu huldigen. Titus, Kaiser von Rom, verzeiht den AttentäterInnen. 

Michael Hofstetter macht im direkten Vergleich zu Gluck die neuen kompositorischen Elemente bei Mozart deutlich, um dessen Bedeutung für die nachfolgenden Komponisten ins Bewusstseins des Publikums zu bringen. Stringent kürzte Mozart die Oper von drei auf zwei Akte, um eine Intrige weniger, nur zwei statt drei Arien pro Hauptfigur, nur eine pro Nebenrolle. Dafür fügte er, wie eine Reihe von Ensemblestücken und Chor ein, schuf damit, nicht zuletzt beeinflusst vom Operngeschmack Italiens, große Tableaus, ersetzte die Vereinzelung der Arien durch ein Miteinander der SängerInnen und intensivierte deren Dialog mit dem Orchester, das zu Mozarts Zeiten bereits ein wesentlich vielfältigeres Klangspektrum als zu Glucks Zeiten aufzuweisen hatte.  

Wie schon bei Gluck lotet Michael Hofstteter die Mozarts Dynamik extrem Tempi extrem aus. Die Ouvertüre überrascht durch das rasante Wechselspiel der einzelnen Instrumentalgruppen mit auftrumpfenden Trommeln, während an der großen Festtafel auf der Bühne noch Ruhe herrscht. Vitellias Erscheinen vertreibt die höfische Gesellschaft und verdeutlicht damit ihre gesellschaftliche Isolation. 

Regisseur ROCC kreiert durch Farbsymbolik, Lichteffekte und Bewegungsstrukturen expressiv reduzierte, moderne Szenen, die das barocke Bühnenbild vergessen lassen. Ein weißes Tischtuch vor schwarzem Hintergrund bringt die Geschichte von Schuld und Humanität auf den Punkt. Ein Halbkreis aus sechs Kegelskulpturen genügt, um durch entsprechende Lichtregie Palastdekor in Brandfackeln und schließlich in Ruinenassoziationen zu verwandeln. In den kreisenden Bewegungen der SängerInnen offeriert sich die psychotische Unruhe nicht nachlassender Intrigen. In den Kleidern spiegelt sich Vitellias sozialer Absturz von der Goldrobe als visionierte Kaiserin zur Femme fatale im wallend roten Abendkleid, dessen angesengter Saum sie als Attentäterin, mehr noch als malträtierte Büßerin nahe am Wahnsinn entlarvt. 

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©Gluck-Festspiele, Foto: Mauro Silva

Francesca Lombardi Mazzulli gibt sängerisch, aber auch optisch und schauspielerisch eine fulminante Vitellia ab. Durch ihren kraftvoll durchdringenden Sopran, ihre weibliche Ausstrahlung und ROCCs präzise Personenregie überzeugen alle Seelenzustände dieser Figur, selbst ihr moralischer Wandel um 180 Grad und Sestos Hörigkeit. Mit Vero Miller als Sesto und Barbora Polášková de Nunes-Combraia als Annio weitet sich das sängerische Kraftfeld in menschliche Wahrhaftigkeit und Akiho Tsujii, die kurzfristig für die Rolle Servilias einsprang, setzt weitere klangschöne Akzente, so dass jede Figur in ihrer emotionalen Dramatik hörbar wird. Bariton Jakub Hliněnský lässt als Publio durch satte Tiefe aufhorchen. Der Chor verstärkt klangrein Schreckens- und Huldigungsszenen und wenn es im Orchestergraben und in den Tutti noch so tobt, bilden Gesang und Musik trotzdem einen ausbalancierten Spannungsbogen. 

Den Konterpart zu diesen emotional hochdramatischen Partien, die sich im ersten Akt überaus spannend verdichten, bildet Titus im zweiten Akt. Im Rahmen der Huldigungsoper komponierte Mozart für ihn ein Andante als Ausdruck eines aufgeklärten Herrschers, der sich zurücknimmt, was Khanyiso Gwenxane durchaus zu verkörpern wusste. Doch in Anbetracht seiner inneren Verzweiflung und Enttäuschung wäre etwas mehr Stimmmarkanz und majestätische Strahlkraft durchaus adäquat gewesen.

Künstlerisches Team: Michael Hofstetter (Musikalische Leitung), ROCC (Regie, Bühne), Belinda Radulović (Kostüme, Kai Fischer (Licht), Jakub Zicha (Choreinstudierung)

Mit: Khanyiso Gwenxane (Titus), Vero Miller (Sesto), Francesca Lombardi Mazzulli (Vitellia), Akiho Tsujii (Servilia), Jakub Hliněnský (Publio), Barbora Polášková de Nunes-Combraia (Annio)