München – „Borderline“ – eine Dokufiktion im Marstall Theater 

Theaterkritik "Borderline" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Residenztheater München, Hez Kim 

Die Bruchlinien der Gesellschaft interessieren Regisseur Kyungsung Lee, die einschneidenden Erfahrungen durch kaum überwindbare Grenzen. Kiungsung Lee, 1983 in Basel geboren, jetzt Professor an der Theaterakademie Sungkyunkwan-Universität in Seoul, Gründer und Leiter der Theatergruppe VaQi kennt die Problematik aus seiner eigenen Vita, ebenso Schauspieler Florian Jahr, der 1983 in Ostberlin auf die Welt kam und als Kind den Fall der Mauer erlebte. 

Vor diesem Hintergrund ergibt sich eine ambitionierte Hinterfragung, inwiefern Deutschlands Wiedervereinigung ein Vorbild für Korea sein könnte, auch wenn sich Situationen deutlich unterscheiden. In die DDR konnte man zumindest per Visum einreisen, wusste man über die Medien voneinander. Nord- und Südkorea trennt tatsächlich ein unüberbrückbarer eiserner Vorhang, der zur völligen Entfremdung der Nord- und Südkoreaner führte. Auf der Basis dieser These entwickelte Kyungsung Lee sein multimedial performatives Stück.

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©Residenztheater München, Judith Buz

Zwischen Projektionsfläche und Iglu bleibt ein Korridor frei für die Moderation Florian Jahrs. Rechts und links ist Platz für das Publikum. Schicksale von Nord-Korea-Flüchtlingen werden eingeblendet, die den Weg in eine neue Existenz geschafft haben. Man befragt sie nach ihren Zielen und Problemen. Die Euphorie eines besseren Lebens ist längst verflogen. Wirklich glücklich scheint keiner in der Fremde, in der sie nicht heimisch werden, obwohl oder gerade weil sie ihre Herkunft vertuschen. Sie müssen immer das Beste geben, um überleben zu können und fühlen sich doch nicht dazugehörig. 

Ein Video spannt den Bogen über Korea und Berlin in das grenzenlose Europa, genauer ins niederbayerische Wegscheid, wo nur noch ein Bach die Grenze von einst markiert, die 2017 durch die Flüchtlingsströme plötzlich wieder als enormer Schock erlebbar wurde.

Trotz dieser beeindruckenden Konzeption zündet der Live-Stream im Gegensatz zum kurzen Werbespot „Tagebuch eines geschlossenen Theaters“ nicht wirklich. Es fehlt die Aura des Theaters. Die untertitelten Interviews als Videos im Video, zuweilen gedoubelt durch Großaufnahme und Zoom wirken im Live-Stream zu statisch und langatmig, 

Florian Jahr übernimmt als smarter Moderator den westlichen Part. Schmunzelnd erinnert er sich an einstige Ausgrenzungen durch Sprache, Kleidung und Erziehungsstil, an das fröhliche „Grenzhüpfen“ über alte Grenzmarkierungen hinweg. In einem Quarantäne-Video erlebt er die Grenzen des eigenen Ego in Zeiten der Pandemie und findet in Sequenzen, die man vom „Superspreader“ kennt, subtile Schattierungen, die an die schlichte Ernsthaftigkeit der südkoreanischen KollegInnen anbinden.  „Borderline“ oszilliert zwischen den Welten, wenn Menschen am Grenzzaun spazierend ihre nationale Identität verändern oder Steine mit eingravierten Namen verstorbener Flüchtlinge aus Nordkorea zu einer meditativen Installation in einem deutschen Theater aufgeschichtet werden. 

So authentisch wirkt die Dokufiktion, dass man erstaunt ist, als die Schauspieler ihre Rollen ablegen, über die Kontakte zu den dargestellten Flüchtlingen sprechen und die Grenzthematik auf das Rollenverhalten des Einzelnen erweitern. Florian Jahr hellt mit seiner positiven Integrationsgeschichte die Dokufiktion final auf. Symbolisch grenzhüpfend auf der Bühne, den Straßen Seouls, selbst durch den Grenzzaun allein, zu zweit, in der Gruppe endet das Stück als kraftvolle Metapher, wie Integration gelingen kann. 

Der Jubel des Publikums zeigt, dass die Botschaft bei der Premiere im Juni  angekommen ist. 

Hinter der Bühne

Inszenierung: Kyungsung Lee, Bühne: SeungRyul, Shin Sounddesign: Haesoo Eshu Jung, Video: Hez Kim, Licht: KyuYeon Hwang, Uwe Grünewald, Dramaturgie: Jürgen Berger, Künstlerische Produktionsleitung: HeeJin Lee, Technische Leitung in Korea Yo Chan Kim

Auf der Bühne 

SoHyun Bae, Florian Jahr, SungIc Jang, KyungMin Na, BumJin Woo