Landshut – Brechts „Leben des Galilei“ im Landestheater Niederbayern

Theaterkritik Brechts "Leben des Galilei" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Schlussapplaus©Landestheater Niederbayern, Foto: Michaela Schabel

Das argumentative Lehrstück in der Berliner Fassung von 1955/56 zählt zu Brechts zentralen Werken, an dem er 20 Jahre arbeitete, um das Verhältnis von Wissenschaft und Verantwortung, Verständnis und Macht zu hinterfragen. „Muss der Mensch tatsächlich alles verstehen? Wenn es nach den Mächtigen geht, nicht.“ Ein anderes Statement Brechts, 1938 im dänischen Exil als Reaktion auf die nationalsozialistische Propaganda formuliert, wird zum Leitmotiv. „Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.“ 

Regisseur Wolfgang Maria Bauer macht aus Brechts Lehrstück eine Inszenierung zwischen ausgestellter Groteske und monumentaler Tragödie. Statt der typischen Brechtschen Songs erlaubt subtile Akkordeonmusik (Daniel Zacher) eine unerwartete Emotionalisierung, ohne zu sentimentalisieren, sondern das Geschehen durch die Musik zusätzlich zu hinterfragen. Der Chor, entindivualisiert durch Masken, verkörpert die Dummheit der Masse, der das Verständnis für die Wahrheit vollkommen fehlt. Jede Figur ist optimal besetzt, so dass die SchauspielerInnen ihre speziellen Fähigkeiten sehr geschickt einbringen können, ohne dass die Inszenierung in individuelle Soli zerfällt, sich vielmehr der Sog inquisitionaler Macht verdichtet, vor der die Wahrheit einknickt. 

Ganz gelassen beginnt das Spiel. Galilei rasiert sich, denkt laut nach, ist mit sich unzufrieden, mit 66 Jahren noch nichts erreicht zu haben und diskutiert mit seinem Famulus Andrea Sarti. Der Oberkörper nackt, die Stimme etwas heller offeriert sich Galilei in der Landshuter Inszenierung als Frau, von Antonia Reidel sehr souverän gespielt, als Symbol des gegenwärtigen Paradigmenwandels und Verweis, dass wichtige Entscheidungen unabhängig vom biologischen Geschlecht erfolgen.

Galilei will eine größere Apanage, um weniger unterrichten und mehr forschen zu können, dass sich die Sonne um die Erde dreht, was er seinem Schüler mit einfachsten Experimenten sehr plastisch, mit witziger Wirkung vor Augen führt. Mit dem neuen Fernrohr aus den Niederlanden kann er Beweise für das Weltbild von Nikolaus Kopernikus erbringen. Trotz der Warnung vor der geballt konservativ klerikalen Macht um den erst 9-jährigen Herrscher geht Galilei nach Florenz, weil er an die „sanfte Vernunft und ihre Wirkung auf den Menschen“ glaubt, ein Irrtum, wie sich herausstellt. Der Hof ist skurril. Cosmo de Medici kurvt irre in einem dreirädrigen Gefährt herum. Die greisenhaften Kardinäle regieren im Hintergrund, palavern debil schrill in drögen Dialekten und verharren in marmorner Statik als Ausdruck ihres Denkens. Mathematiker und Philosoph verweigern den Blick durch das Fernrohr und damit jede vernünftige Argumentation. Der Disput mit Galilei wird durch die Armbewegungen optisch zum Degenkampf. Doch trotz seiner Wendigkeit findet Galilei kein Gehör. Wer nicht spurt, wird Opfer der Inquisition, markant inszeniert. Ein Klatscher genügt und einer nach dem anderen fällt tot um, eine Szene die Gänsehaut erzeugt. Als der Papst stirbt, übernimmt Kardinal Barberini die Nachfolge. Es darf nicht sein, dass die Erde ihren Mittelpunkt verliert und die Kirche ihre Macht.

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©Landestheater Niederbayern, Foto: Peter Litvai

Galilei wird nach Rom zitiert und mit der Folter konfrontiert. Die Schreie hinter einem roten Vorhang genügen, gehen nicht nur ihm durch Mark und Bein. Galilei schwört seiner Lehre ab. Er darf zwar weiterforschen, doch jede geschriebene Seite wird konfisziert. Ist damit Galilei, wie er selbst sagt, ein Verbrecher, weil er die Wahrheit nicht unter die Menschen bringt? Mitnichten. Eine heimliche Abschrift findet durch den Famulus den Weg in die Welt. „Die Erde dreht sich doch“. Eine gigantische Sternschnuppe leuchtet als Brechts bzw. Bauers Botschaft auf. Dem Volksglauben nach darf man sich dann etwas wünschen. Mehr Vernunft?! Die Gegenwart ist weit davon entfernt. 

Künstlerisches Team: Wolfgang Maria Bauer (Regie), Aylin Kaip (Ausstattung), Daniel Zacher (Musikalische Einstudierung & Akkordeon), Christina Dusch (Masken), Peter Oberdorf (Dramaturgie) 

Es spielen: Antonia Reidel (Galileo Galilei), Stefan Merten (Andrea Sarti), Julian Ricker (Kurator, Mönch, Chor), Ella Schulz (Virginia, Galileis Tochter), Reinhard Peer (Cosmo de Medici, Gelehrter Chor), Stefan Sieh (Philosoph, Astronom, Chor), Paul Behrens (Mathematiker, dicker Prälat, Chor), Jochen Decker (Kardinal, Inquisitor, Chor), Joachim Vollrath (Kardinal Barberini, Chor), Olaf Schürmann (Kardinal Bellarmin, Chor) Mona Oswald, Karlheinz Heinrich, Heinrich Wannisch (Schergen)