München – „Die Freiheit einer Frau“ – Felicitas Bruckers spannende Inszenierung nach dem Roman von Édouard Louis in den Kammerspielen

Édouard Louis "Die Freiheit der Frau" in den Münchner Kammerspielen präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Münchner Kammerspiele, Armin Smailovic

Gemeinsam mit den Schauspielern Katharina Bach, Thomas Schmauser und Edmund Telgenkämper entwickelte sie eine spannende Textcollage. Ganz bewusst verzichtete sie auf eine große Bühnenausstattung. Eine weiße Wand mit einer Reihe von Bier- und Wasserflalschen davor an der Bühnenrampe bringt das Schauspiel ganz nahe ans Publikum, fordert dadurch extreme Spielintensität und fokussiert voll auf den Text, der durch den ständigen Rollenwechsel, die unterschiedlichen Stimmen und Bewegungsmuster eine große Dynamik aufbaut. Erinnerungen, die sich eingegraben haben, werden leitmotivisch wiederholt, Kernsätze plakativ projiziert. Trotz der meist identischen Kleidung, Jeans und weißes T-Shirt genügen, weiß der Zuschauer immer ganz genau, wer wen spielt. Durch simultanes Bewegungsspiel gelingen ironische Distanzierungen. Mikrophone steigern die einhämmernde Eindringlichkeit des Elends. Musik und Licht ermöglichen Glücksmomente befreienden Abtanzens, umso deprimierender ist der Aufprall in der Wirklichkeit. 

Édouard Louis "Die Freiheit der Frau" in den Münchner Kammerspielen präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Münchner, Kammerspiele Armin Smailovic

Kann man die Klassenzugehörigkeit überwinden? War nicht der zweite Mann der Mutter, Édouard Louis’ Vater das Abziehbild des ersten? Genauso wie Annie Ernaux in ihren „Erinnerungen eines Mädchens“ (2018) sucht Édouard Louis in „Die Freiheit einer Frau“ (2021) nach den Ausschlusskriterien und Möglichkeiten der Veränderung. Wegen seiner Sprache, der Verhaltensmuster in der Familie, des häuslichen Geschreis und der Unordnung verliert Édouard Louis seine Freundin. Sie kann das einfach nicht mehr aushalten. 

Nur der Ausstieg aus Sozialisationsmustern ermöglicht den Einstieg in ein neues Leben. Die Mutter verlässt den Mann, wagt den Sprung nach Paris, wo sie einen anderen Mann kennenlernt und zur „richtigen Pariserin“ wird. Felicitas Brucker wandelt die Sozialwohnung via Video in eine Penthouse mit Panoramablick über Paris bis zum Meer, zum Horizont mit überdimensionierten Möwen. Damit spannt sie in der letzten Sequenz den Bogen vom modernen Aschenputtel-Klischee zur poetischen Metamorphose einer Frau in Freiheit, der regelrecht die Flügel wachsen. Eine kluge Antwort auf die Frage, was Metamorphose eigentlich ausmacht. 

Parallel zu „Die Freiheit einer Frau“ zeigen die Münchner Kammerspiele eine Inszenierung von Henrik Ibsens „Nora“, eine interessante Gegenüberstellung zweier um Freiheit ringender Frauenporträts. Wer die Eintrittskarte von „Die Freiheit einer Frau“ an der Kasse vorzeigt, zahlt für „Nora“ nur die Hälfte des Eintrittspreises. 

Künstlerisches Team: Felicitas Brucker (Regie), Viva Schudt (Bühne & Kostüme), Markus Steinkellner (Musik), Christian Schweig (Lichtdesign), Florian Seufert (Video) Tobias Schuster (Dramaturgie) 

Es spielen Katharina Bach, Thomas Schmauser, Edmund Telgenkämper