Landshut – Victor Hugos „Der Glöckner von Notre Dame“ bei den Burgenfestspielen des Landestheater Niederbayern

Theaterkritik "Der Glöckner von Notre Dame" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Peter Litvai/Landestheater Niederbayern

Eine projizierte Hand bringt Victor Hugo schreibend ins Spiel, verankert die Inszenierung des „Glöckner von Notre Dame“ in der spätromantischen Zeit seines Entstehens.

In der Landshuter Inszenierung steht nicht wie üblich Quasimodo, der verwachsene hässliche Glöckner im Mittelpunkt. Regisseur Markus Bartl wählte von den fast ein Dutzend Dramatisierungen die Fassung von Matthias Hahn. Dessen Erzähler (Jochen Decker), Sprachrohr Victor Hugos oder des  Dichters Pierre Gringoires, greift immer wieder in das Geschehen ein, erklärt und kommentiert, treibt die Handlung voran und schafft so gleichzeitig Distanzen zu der zunehmenden Emotionalität.

Regisseur Markus Bartl fokussiert auf Esmeralda, die Zigeunerin, die die Männer verhext und deshalb als Hexe verbrannt wird. In der Vierecksgeschichte, Esmeralda vom Erzdekan begehrt, von Quasimodo liebevoll beschützt und vom Hauptmann schändlich betrogen, offeriert sich Victor Hugos kritisches Gesellschaftsgemälde in stürmischen Wendezeiten, in dem die Vertreter von Klerus und Status eine denkbar schlechte Rolle spielen.

In großen Lettern ist „Anankh“, das griechische Wort für Schicksal,  wie ein Fluch präsent. Die Kirche dominiert das Leben. Jeder hadert für sich  mit seinem Los und letztendlich ist jeder dem Untergang preisgegeben. Der Erzdekan ersticht aus Eifersucht den Liebsten Esmeraldas und veranlasst, dass sie wegen Mordes hingerichtet wird. Er wird von Quasimodo ermordet.

Unter der Regie von Markus Bartl gelingt eine  spannende hintergründige Inszenierung, in der jedes Detail exakt passt. Das Ensemble agiert voller Spiellust in originellen Kostümen  (Philipp Kiefer) und faszinierend authentischen Masken (Christian S. Kurtenbach) in 30 Rollen.

Fröhlich burlesk versetzt das Spiel der Gaukler sofort in vergangene Zeiten, mittendrin die schöne verführerische Esmeralda. Feuerschlucker, Jongleure und Tänzerin lassen  das Elend des Alltags kurz vergessen. Doch die Zahl der Bettler ist groß, der Kampf um das Überleben schwierig. Jeder Fröhlichkeit folgt das Entsetzen der Realität.

Von Anfang an schimmert das Unheil in den subtilen Lichtstimmungen (Lichtdesign Uwe Niesig) und in den präzis ausgearbeiteten Szenen durch, wenn sich Esmeraldas rotes Kleid lila färbt, sobald der Erzdekan in ihre Nähe kommt,  und der pulsierende Rhythmus der Musik (Jürgen Heilmüller) die Spannung hörbar macht.

Immer intensiver verdichten Regisseur Markus Bartl und Ausstatter Philipp Kiefer die Szenen im Spannungsfeld zwischen distanzierter Erzählung, marktschreierischem Auf und Ab und surrealen Momenten, in denen  die Perfidität der Kirche und des Hauptmanns eskaliert. Voyeuristisch lüstern blicken Erzdekan (Reinhard Peer) und Inquisitor (Alexander Nadler)  aus den Fenstern hinunter auf Esmeralda, die mit Ella Schulz klein und zart im spanischen Rüschenkostüm verführerisch schön im Nu die Herzen der Männer und des Publikums erobert. Kess tanzt sie, trotz aller Sinnlichkeit aufrecht und stolz.

Wenn alle vor Angst erstarren, wagt sie die gütige Geste. Sie rettet den Dieb vom Galgen, gibt Quasimodo am Pranger Wasser. Doch für sie selbst gibt es nicht einmal im Freistaat der Kirche Rettung.Der Macht des Klerus entrinnt niemand und der Hauptmann (Julian Ricker)  spielt fleißig mit im Intrigenkabinett. Begier nicht Liebe ist es, was ihn antreibt. Berührende Szenen gelingen. Emotionalität wallt auf, wenn der Dieb ausgepeitscht wird, Esmeralda im Büßerhemd auf den Tod wartet, Quasimodo  (David Lindermeier) mit  Esmeralda im Arm die  Treppen hinauf eilt, der Erzdekan  hinterher die Rettung verhindert.  Esmeralda muss sterben, selbst als  ihre standesgemäße Geburt entdeckt wird und das Volk ihre Freiheit fordert.

Theaterkritik "Der Glöckner von Notre Dame" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Peter Litvai/Landestheater Niederbayern

Wenn Notre Dame brennt, über ein Zeitungszitat stellt Markus Bartl den aktuellen Bezug her, dann obliegt zumindest im übertragenen Sinn auch die Kirche selbst dem Verderb. Das ist gelungene Interpretation dieses berühmten Romans und Unterhaltung voller Esprit!

Michaela Schabel