Berlin – Festspielwoche „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ als gesungenes Psychogramm eine Uraufführung in der Komischen Oper

Opernkritik "M-Eine Stadt sucht einen Mörder" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Monika Rittershaus

Optische und musikalische Effekte ergeben ein neues Genre. Weder Oper noch Musical, noch Hörspiel  oder Oratorium passen als Etikett, treffenderes Label wäre  ein „musikalisches Psychogramm“. Moritz Eggert kombiniert leitmotivische Melodien, symphonische Monumentalität mit filmmusikalischer Dramatik, lyrische Arien mit dissonantem Krach und Synthesizermusik akzentuiert mit Berlinerisch, womit die Handlung bewusst in den 80er Jahren verankert, als sich in Berlin eine neue Dynamik entwickelte. Dazu inszeniert Barrie Kosky mit Klaus Grünberg (Bühne, Licht), Katrin Kath (Kostüme) und Tobias Barthel (Masken) ein magisches Traumspiel auf drei Ebenen und kafkaesk verfremdenden Figurenkonstellationen.

Auf erhöhtem Gleissystem schieben in Endlosschleife schmucklose Reihenhäuser, nüchterne Polizeigebäude, Fluchten von Fluchttüren vorbei. Je nach Licht schimmern sie gemütlich vertraut, nüchtern kalt. Riesengroß erscheint in den kleinen Türen der Mörder, zumal alle Erwachsenen von Kindern gespielt werden. Verborgen hinter Masken mit alten Gesichtern spiegelen sie die simple Denkweise kollektiver Ängste mit ihren Beschuldigungen, Denunziationen, ihrer Kultur des Wegschauens, die Polizei in ihrer Unfähigkeit und Machtlosigkeit, selbst die Kleinkriminellen in ihrer Sorge wegen des Massenmörders zu stark kontrolliert zu werden.

Ständig wechseln die Größenverhältnisse. Aufrecht wie ein Riese, der alle in Angst und Schrecken versetzt, wirkt der Massenmörder gebückt, auf Knien klein, der Täter als Opfer. Auf der Bühne ist Raum für das reale Spiel hüpfender Kinder, das sich mit traumatischen Szenen verwischt, wenn aus dem Untergrund die Spießbürger eindringen.

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Das scheint fast zu kippen zugunsten des Mörders, als wäre er nur Opfer. Doch mit dem „Bi-Ba-Butzemann“  verdichtet Scott Hendricks das Spiel durch spastisches Gezappel immer eindringlicher zum Psychogramm eines Psychoten, unter dessen sympathischer Alltäglichkeit der Schrecken lauert. Er singt wie ein Kind, spielt wie ein Kind, doch die Innenansichten zeigen ihn lüstern, schreiend, kreischend, tobend, erstaunlich textverständlich für einen US-amerikanischen Sänger. Der goldene Luftballon lässt das letzte Opfer assoziieren, viele andere Luftballone noch viel mehr Opfer. Ist er Lustmörder oder wird er dazu getrieben? Die Frage bleibt offen, brandet immer wieder,

Unter der musikalischen Leitung von Ainãr Rubikis wird das musikalische Experiment ein Klanggemälde mit ständigen wechselnden Stimmungen neben dem jazzig und poppig erweiterten Orchester der Komischen Oper übernehmen Stimmen aus dem Off, unter anderem Sopranistin Alma Sadé und Tenor Tansel Akzeybek als „Voice over“ die Rezitative. Spannend bauen sich akustisch extrem kontrastreiche Emotionen auf, die nicht wie üblich frontal, sondern durch Lautsprecher ähnlich einem Surround-Sound im Kino das Publikum umhüllen. Das Experiment funkt. Nicht nur bei der Festspielwoche der Komischen Oper applaudiert das Publikum begeistert. Bedauerlich ist, dass moderne Produktionen noch immer keine Chance haben  ins Repertoire der nächsten Saison aufgenommen zu werden.