Berliner Theatertreffen – Maxim Gorkis „Kinder der Sonne“ – eine gelungene, überaus empathische Inszenierung des Schauspielhauses Bochum

Theaterkritik "KInder der Sonne" Theater Bochum präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de.

©Schauspielhaus Bochum, Matthias Horn

In klassisch russischer Manier sind alle Menschen auf ihre Art etwas psychopathisch exaltiert. Es sind extreme Persönlichkeiten quer durch alle Gesellschaftsschichten und alle sind auf der Suche nach emotionaler Zuwendung. Sie stoßen in der Arztpraxis, einst herrschaftliche, doch inzwischen schon stark heruntergewirtschaftete Räumlichkeiten, aufeinander. Wohn- und Esszimmer offen zum Entree mit einer Treppe nach oben und vielen Türen baut Raimund Orfeo Voigt ein boulevardeskes Ambiente, dass ein schnelles Rein und Raus, Hinauf und Hinunter ermöglicht, das der slowenischen Regisseurin Mateja Koležnik ein rasantes Timing der unterschiedlichen Beziehungskonstellationen ermöglicht, dessen Nacheinander die Zuschauer simultan erleben. Doch Gorkis knallhart gezeichnete Figuren provozieren in dieser Inszenierung nicht zum Lachen. Ausgezeichnet gelungen in jeder Rolle gespielt zeigen sie die Sehnsüchte und Ängste der Menschen.

Die Frauen verzaubern. Die Männer begehren. Tierarzt Tschepurnoi liebt die kranke Lisa. Die reiche Witwe Melanija, die sich immer an Männer verkauft hatte, verehrt den Doktor und erhofft sich von ihm eine Seelenreinigung. Doch der ist nur an seinen Forschungen über das Wachstum im Protoplasma interessiert. Er sieht, wie das Leben wächst, visioniert wie durch die Leistung des Verstandes aus den Menschen eine Menschheit wird. „Wir sind Kinder der Sonne, wir werden die Zweifel zerstören“ ist sein Credo. Doch er merkt gar nicht, wie er privat versagt, indem er seine Ehefrau Jelena völlig vernachlässigt, in die wiederum der Filmemacher extrem verliebt ist. Das Lieben und Abgelehntwerden setzt sich auf der Dienstbotenebene fort. Und das Erscheinen des gewalttätigen Igors und des profitgeilen Vermieters sorgt jedes Mal für Turbulenzen. 

Das klingt fast trivial, verdichtet sich aber unter der präzisen Personenregie zu einem mitreißenden Kammerspiel, das keiner modernistischen Mäzchen bedarf. Nur die Filmkamera verdeutlicht die lächerliche Bedeutsamkeit eines Menschen für wenige Momente.

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©Schauspielhaus Bochum, Matthias Horn

Während dieses Szenario wie ein Perpetuum mobile um die Liebe kreist, beginnt draußen der Klassenkampf zu toben. Die Ärzte hätten bewusst das Gerücht der Cholera in die Welt gesetzt, um sich zu bereichern. Durch die sich nähernden skandierten Parolen der aufbegehrenden Masse und das im Hintergrund lodernde Feuer wird dieses Gorki-Stück plötzlich hoch aktuell „Ärzte, bring dich um, wir lassen uns nicht vergiften.“ 

Künstlerisches Team: Mateja Koležnik (Regie), Raimund Orfeo Voigt (Bühne), Ana Savic-Gecan (Kostüme), Lukas Tobiassen (Soundtrack), Jordi Zoet (Klanggestaltung), Bernd Felder (Lichtregie), Angela Obst (Dramaturgie)

Mit: Guy Clemens, Anne Rietmeijer, Anna Blomeier, Victor IJdens, Dominik Dos-Reis, Jele Brückner, Konstantin Bühler, Michael Lippold, Karin Moog, Alexander Wertmann, Amelie Willberg, Emily Lück.

Maxim Gorkis „Die Kinder der Sonne“ ist auch im Medienarchiv von 3sat zu sehen.