Berlin – Wajdi Mouawads „Vögel“ im Berliner Ensemble

Theaterkritik "Vögel" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Berliner Ensemble

Eitan, ein junger deutsch-jüdischer Genwissenschaftler, verliebt sich in die arabisch-US-amerikanische Wahida. Sein Vater David ist gegen eine Heirat mit einer Nichtjüdin. Das Liebespaar reist nach Israel, um die jüdischen Spuren nachzuverfolgen und gerät in einen Terroranschlag. Eitan wird schwer verletzt. Als die Eltern und Großeltern an das Krankenbett kommen, enthüllt sich die Wahrheit seiner Herkunft. Sein Vater wurde 1967 als arabisches Findelkind von den jüdischen Großeltern großgezogen. Gleichzeitig findet Wahida ihre arabischen Wurzeln. 

Der Plot lässt an Shakespeares „Romeo und Julia“, Sophokles „Ödipus“, vor allem an Lessings „Nathan der Weise“ denken und entwickelt durch die SchauspielerInnen unter der Regie von Robert Schuster eine ganz eigene Sprachmagie. In Hebräisch, Jüdisch, Deutsch und Englisch prallen die unterschiedlichen kulturellen Denkweisen sehr authentisch und unvereinbar aufeinander und kulminieren in den eingespielten Dokumentarszenen des Terrors. Die große Projektionsfläche gibt Raum für Live-Einspielungen. Vor dem Krankenbett installiert wirken sie wie Fieberträume, in denen Explosionen Menschen in feuerrot blutige Farbwolken verwandeln. 

Zerhackt ist auch das Stück. Statt chronologischer Kontinuität kristallisieren sich die Figuren auf der rotierenden Bühne in einer Collage von Erinnerungsbruchstücken zusammen, immer wieder unterbrochen von den Ereignissen des Terrors und von Wahidas visualisierter Dissertation, in der sie die Bekehrung des arabischen Helden Al-Hasan Al Wazzan zum Christentum im 16. Jahrhundert als Lüge enttarnt. Der wiederum erscheint halluzinativ wie ein Messias auf der Bühne. So wird das Stück auf verschiedenen Ebenen eine mitreißende Parabel, explosiv und subtil.   Man kann nicht vergeben, nur weiterkämpfen ist die traurige Botschaft. Doch die Vision von amphibischen Vögeln ist zumindest im Privatleben greifbar nah, auch wenn oder gerade weil der Vogel aus einem blutigen Ei schlüpft.

Mit großem Feingefühl inszeniert Regisseur Robert Schuster dieses Stück entlang der Pulssequenz der Figuren. Martin Rentzsch lotet den Vater in seiner jüdischen Indoktrination aus. Kein Jude zu sein, bedeutet den Exitus. Der tödliche Gehirnschlag wirkt sehr authentisch. Seine Frau zeichnet Kathrin Wehlisch mit der schneidenden Ironie einer hochqualifizierten, sehr eloquenten, schwarzhumorigen Psychotherapeutin, die um den Scherbenhaufen ihres eigenen Lebens weiß. Der Großmutter, ebenfalls verhärmt, gibt Naomi Krauss sehr überzeugend neue resolute Energie. Nur der Großvater hat mit Robert Spitz durch alle Tieflagen des Lebens seine Güte bewahrt. Dem jungen Paar geben Philine Schmölzer und Dennis Svensson eine treffsichere, etwas linkisch brave Aura. 

Die Protagonisten streiten, explodieren wie Granaten, finden aber auch ganz zarte Momente, akzentuiert durch einen subtilen Soundtrack, unterbrochen durch die Detonationen des Terrors. Vergangenheit, Gegenwart und Vision prallen aufeinander. Gemeinsamer Nenner ist der Krieg als Folge kultureller Unterschiede, die in dieser Inszenierung gerade durch die Sprachenvielfalt sehr authentisch und berührend wirken, wofür die SchauspielerInnen des Berliner Ensembles eigens Sprachunterricht nahmen und GastschauspielerInnen mit muttersprachlichen Wurzeln engagiert wurden. 

Das Ergebnis sind 3 Stunden lang packendes Theater. 

Künstlerisches Team: Robert Schuster (Regie), Sascha Gross (Bühne, Kostüme), Jörg Gollasch (Musik), Bahadir Hamdemir (Video), Benjamin Schwigon (Licht), Karolin Trachte (Dramaturgie)

Auf der Bühne: Philine Schmölzer (Wahida), Dennis Svensson (Eitan), Martin Rentzsch (Vater), Kathrin Wehlisch (Mutter), Robert Spitz (Großvater), Naomi Krauss (Großmutter, Soldatin), Rafat Alzakout (Al-Hasan Al Wazzan und Nebenrollen), Hadar Dimand (Nebenrollen).