"Kultur macht glücklich"


Berlin – Virginia Woolfs „Orlando“ in der Schaubühne

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Berlin – Virginia Woolfs „Orlando“ in der Schaubühne

©Schaubühne Berlin, Foto: Stephen Cummiskey

Damit schafft Regisseurin Katie Mitchell die Voraussetzungen genau die wilde satirische Atmosphäre, die Virginia Woolf bei diesem Buchprojekt vorschwebte zu vermitteln. Am 17. März 1927 schrieb Virginia Woolf in ihr Tagebuch „…ich spüre den Drang nach einer Eskapade… Ich möchte auf den Putz hauen…“. Sie wollte keine Charaktere entwickeln, sondern „all den unzähligen kleinen Einfällen & winzigen Geschichten…körperliche Gestalt geben.“ Das Ergebnis war „Orlando“, eine Zeitreise vom Jahr 1500 bis Anfang des 20. Jahrhunderts. 

Die Leistung dieser Produktion ist, dass die Genderdiskussion unter der Regie von Katie Mitchell von beiden Seiten herrlich parodiert wird. Entgegen dem historisch chronologischen, perfekt ausgestatteten Filmepos ironisiert das cinematische Format, indem sie die manipulierende Ästhetisierung des Bühnengeschehens über den Film transparent macht.

Der Zuschauer erlebt auf der Bühne mit Ess-, Schlaf-, Schreibzimmer und Maske Off-Stage-Geschehen darüber im Großformat den Film und das Tonstudio. Die Wechselwirkung ist famos, interessant die kritische Beobachtung der eigenen Wahrnehmung. Man kann sich den filmischen Bildern kaum entziehen, zumal sie über das Bühnengeschehen hinaus wunderbare Naturszenen einbringen und sogar die Klimaabkühlung im 18. Jahrhundert mittels vereister Winterimpressionen und kalbender Gletscher einspielen. Flug- und Autoszenen werden zu Sketchen, deren Humor man sich nicht entziehen kann. Sex in allen Variationen, wilde Partys konterkarieren höfisches Zeremoniell. Orlandos Faible für das Schreiben vernichtet ein Kritiker-Guru mit einem Satz.

Als zentrales Thema  kristallisiert sich immer mehr die Genderdiskussion heraus, als Orlando als wunderschöne Frau in Konstantinopel erwacht. Im Flugzeug schon im Outfit eine Orlanda von heute, zurück in England wieder mit Barockperücke und slapstickartig eingesetztem Minireifrock im Schloss.

Theaterkritik "Orlando" in der Schaubühne präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Schaubühne Berlin, Foto: Stephen Cummiskey

Endlich kann sich die queere Herzogin als das outen, was sie ist, ein Mann. In herrlich komischen Spiegelungen erlebt Orlanda ihr einstiges Machoverhalten, in Biedermeier-Optik immer mehr die Einengung der Frau als Schutzbefohlene des Mannes, was mit leicht Berliner Akzent konterkariert. Die Genderdiskussion wird peu a peu ad absurdum geführt. Ist nicht jeder Mensch Mann und Frau zugleich? Liegt die Kunst nicht darin, das eigene Geschlecht zu lieben, sich in jeder Rolle wohl zu fühlen? Geschlechtsneutral gibt sich Orlanda morgens ihrer Lieblingsbeschäftigung dem Schreiben hin, vor Gericht erscheint sie männlich und abends ist sie weiblich on Tour. Alles ist möglich, so die Botschaft. Die Inszenierung endet wie Virginia wollte, offen.

Künstlerisches Team: Katie Mitchell (Regie), Lily McLeish (Mitarbeit Regie), Alex Eales (Bühne), Sussie Juhlin-Wallén (Kostüme), Grant Gee (Bildgestaltung), Ingi Bekk (Video), Ellie Thompson (Mitarbeit Video), Melanie Wilson (Musik und Sounddesign), Nils Haarmann (Dramaturgie),  Anthony Doran (Licht) 

Mit: Ílkur Bahadir, Philip Dechamps, Cathlen Gawlich, Carolin Haupt, Jenny König, Alessa Llinares, Isabelle Redfern, Konrad Singer, Nadja Krüger, Sebastian Pircher (Kamera), Stefan Kessissoglou (Boom Operator)