Berlin – „Starke Frauen“ – Diana Anders und Barbara Kratz präsentieren großes Theater mit einfachsten Mitteln

Theater-Barbara Kratz

Probenszene aus der „Irrwischkönigin©Michaela Schabel

Kennengelernt haben sie sich im Theater Essen. Barbara Kratz war eine junge Schauspielerin aus Köln, die gerade von der freien Shakespeare Bühne in Bremen kam und noch viel zu lernen hatte. Heute noch will sie mit jedem Stück Neues lernen, klettern wie „Geierwally“, singen wie „Alexandra“ oder als Frau Luther für alle Theaterbesucher kochen. Letzteres „geht gar nicht“, war Diana Anders´ erster Kommentar. Dann entstand doch das wunderbare Stück „Frau Luther kocht“, in dem die vierte Wand völlig verschwindet. Das ist beiden sehr wichtig. 

Die vierte Wand

In der Commedia dell´Arte, später in den Hanswurstiaden herrschte immer ein direkter Kontakt zum Publikum, der mit dem bürgerlichen Trauerspiel aufgegeben wurde. Die vierte Wand hielt Einzug mit der Guckkastenbühne als  Spiel-und Erlebnisfläche für Schauspieler ohne Kontakt zum Publikum. Der ist aber für die Stücke von Diana Anders das A und O. Sie werden mitunter von ganz verschiedenen Personen erzählt, die Kratz in Windeseile verkörpert. „Die Geschichte wird nicht auf der Bühne erlebt, sondern vom Publikum.“ Das hat nichts mit Animationstheater zu tun, sondern mit Ausdruck und Sprache, wobei die Zuschauer direkt angesprochen und emotionalisiert werden.

Diana Anders ist mehr oder weniger im Theater aufgewachsen, weil ihre Mutter Maskenbildnerin war. Das Theater ließ Diana Anders nicht mehr los. Im Theater Meiningen und etlichen anderen Theatern lernte sie Dramaturgie und Regie. Selbstständig machte sie mit interessierten Schauspielern Straßentheater. Zu kritisch befand die Partei und verbot es. Diana Anders ging in den Westen und wurde Chefdramaturgin in Essen, wo sie Barbara Kratz kennen lernte. 

Theater-Barbara Kratz

Diana Anders schreibt den Text und führt Regie ©Michaela Schabel

Eine begeistert rezipierte, aber nur einmal aufgeführte Frühstücksmatinee wurde der Startpunkt für eine langjährige, intensive Zusammenarbeit. Inzwischen haben Diana Andres und Barbara Kratz 10 Stücke im Repertoire, die sie über Deutschland hinaus in der Schweiz, in Finnland und im Baltikum spielen. 

Geschichten über starke Frauen

Diana Anders und Barbara Kratz suchen keine Geschichten. „Wir machen, wozu wir Lust haben“, darin sind sich beide einig. Die Idee ist plötzlich da. Dann beginnen die Fragen, wie was dargestellt werden kann. Manchmal bekommt das Theater-Team auch Auftragsarbeiten wie ein Mozart-Stück für die Europäischen Wochen in Passau. Es wurde die erste Dramatisierung von  Mörikes Erzählung „Mozarts Reise nach Prag“. Diana Anders rückte allerdings nicht Mozart, sondern seine Frau Constanze in den Mittelpunkt, in den „Nibelungen“ nicht Siegfried, sondern die betrogene Brünhilde. „Wir machen immer Geschichten über sehr starke, selbstbestimmte Frauen mit eigenem Schicksal“, ist Diana Anders’ Maxime. 

„Während ich schreibe, wird darüber nicht gesprochen.“ Sie hat dabei die Dramaturgie, Regie, selbst die Umzüge im Kopf. „Es ist eine riesige Geschichte, dass eine Schauspielerin alles spielt“. Die Sprache muss dramatisch, einfach und vor allem gestisch sein. Ungefähr ein Jahr dauert der Schreibprozess. Dann wird am Text nichts mehr geändert. 

Da Diana Anders die Stärken ihrer Partnerin kennt, ist das Stück genau auf sie zugeschnitten. Doch die Stücke funktionieren nur, wenn Barbara Kratz einen intensiven Kontakt zum Publikum herstellen kann und die Zuschauer die Geschichte erleben. „Wissen Sie, da hat mir mein Vater zum ersten Mal einen Kuss gegeben“. Mit solchen Sätzen öffnet Barbara Kratz nicht nur in der „Geierwally“ die Herzen der Zuschauer. Solche Sätze emotionalisieren, haken sich fest, setzen persönliche Assoziationen her.

Eine besondere Herausforderung ist immer, wie die anderen Personen darzustellen sind oder aus welcher Perspektive. Bei „Orlando“ waren es Zeitgenossen, bei „Alexandra“ Personen aus dem Showbusiness von früher und heute, womit gleichzeitig der Wandel in der Musikbranche deutlich wurde, immer weniger Stimmqualität und dafür immer mehr Stimmtechnik und Ambiente.  Als „Die fromme Helena“ agiert Barbara Kratz als Erzähler und Teufel in der Rahmenhandlung und dazwischen in einem Dutzend weiterer Rollen.

"Starke Frauen" Diana Anders und Barbara Kratz präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

„Die fromme Helene“©Michaela Schabel

Originelle Bühnenbauten

In Sekundenschnelle muss sich Barbara Kratz in den meisten Stücken ständig verwandeln, zugleich das Bühnenbild umrangieren, weshalb sie selbst so weit wie möglich die Bühnenbauten konzipiert. Beim Seifenkistenbauen für den Kölner Fasching lernte sie schon in jungen Jahren das Bauen und Schrauben. Für die „Nibelungen“ kreierte sie ein Pferd, das nicht nur leuchtet und nicken konnte. Im Bauch war die gesamte Tonanlage versteckt, ausbaufähig und damit für andere Inszenierungen verwendbar. Einen ganzen Tag verbrachte sie im Baumarkt, bis sie alle Materialien beisammen hatte, damit das Pferd mit der entsprechenden Aura auf die Bühne kommen konnte. Während eines Urlaubs auf Hiddensee wurde eine mit Astgabeln gegen den Wind gesicherte Wäscheleine zur Initialzündung, wie man den Wald in der „Irrwischkönigin“ windbewegt gestalten konnte. Der Halbmond für eine Seiltänzerin in einer Roncalli-Vorstellung inspirierte zur Wiege in der „Geierwally“, gleichzeitig Gebirge, Alm, Höhle und Wirtshaus. Entsprechend stabil musste die Wippe sein, gleichzeitig leicht, damit sich Barbara Kratz während der Aufführung unterschiedlich positionieren kann.

Theaterkritik "Geierwally" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

„Geierwally“©Kammerspiele Landshut, Andreas Helle

Für so große Bühnenbauten und Puppenspiele wie für die blonde Bagage aus Burgund bei den „Nibelungen“ werden Fachleute hinzugezogen. Anders hat ein professionelles Netzwerk hinter sich. 

Geprobt wird im eigenen, 80 Quadratmeter großen Keller eines Berliner Gründerhauses. Er bietet Platz für eine Probebühne und ist gleichzeitig Fundus für alle zehn Bühnenstücke.

So kurz die Wege zur Probe sind, so lang sind sie quer durch Deutschland zu den Aufführungsstätten. Hinter jeder Theateraufführung stehen 30 Arbeitsstunden, ganz zu schweigen von der völligen Ausbremsung durch die Pandemie. Optimistisch blicken Sie trotzdem in die Zukunft. Mit ihrem vielseitigen Repertoire können sie flexibel sein und  noch viele Zuschauer erreichen.