Berlin – „Romeo & Julia – Liebe ist alles“ – Eine mitreißende Musicalproduktion im Theater des Westens

Musical "Romeo & Julia" in Berlin präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de.

©Stage Entertainment

Bühne und Kostüme entführen in vergangene Zeiten, grandiose Lichteffekte in kosmische Sphären. Die Einheitsbühne, eine Balustradenfront, kombiniert mit einem kreisrunden Schnurvorhang ermöglicht faszinierende Szenen- und Standortwechsel, ist Tanzsaal, Piazza, Schlafzimmer, Gruft und eingenebelt tänzerisch umgesetzter Alptraum. Der Stilmix der Kostüme gibt Raum, das Spektakel aus heutiger Perspektive zu parodieren. Kleine Halskrausen, gitterförmige Muster erinnern an die Einengungen der Renaissance, durch die Brokatboxerjacken gelingt der Spagat von aristokratischer Noblesse und modischem Outfit von heute. Pater Lorenzo wird zum asiatischen Guru, dessen Botschaften in den Klangschalenhüten seines Gefolges weiterschwingen. Durch bizarre Perücke und Haube werden Königin und Amme zu witzig schrillen Bilderbuchfiguren.

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Neu im Vergleich zum literarischen Original ist ein Todesengel, der als dramaturgische Steigerung höchstpersönlich Mercutio und Tybalt in sein Reich holt. Hoch über der Bühne wie ein Kutscher zügelt er die Toten an langen Bändern. Erst jetzt darf Mercutio in einer traumhaften Sequenz seine Liebe zu Romeo zum Ausdruck bringen. Poetisch bleiben im Grunde nur Shakespeares große Liebesszenen einer ersten Liebe.  

Diese originelle Mischung aus schrill expressiven und lyrisch-romantischen Szenen eingebettet in fetzige Tanz- und Kampfszenen nicht mit dem Degen, sondern mit Shaolin-Stöcken inklusive Stock-Perkussion kommt beim Publikum bestens an, noch mehr die Songs, die teilweise zum Mitklatschen, mitunter sogar zum Mitsingen animieren. Shakespeare kommt wie einst in seinem Londoner Globe Theatre ganz populär daher. Dazu passen ausgezeichnet die Anlehnungen an klassische Musik mit Höhen für Countertenor oder extrem langgehaltenen Tönen, womit Lind Rietdorff als Amme das Publikum euphorisiert. Nicht zuletzt durch ihr schauspielerisches Talent avanciert sie trotz Nebenrolle zum Star der Inszenierung. Konträr zu ihrem Song „In dieser Zeit / Wer will da jung sein?“ verkörpert sie schauspielerisch herrlich die Lust am Leben trotz fortgeschrittenen Alters. 

Im exaltierten Umfeld dürfen nur Romeo und Julia ihre Natürlichkeit behalten. Monika Schweighofer und Paul Csitkovics bezirzen mit jugendlichem Charme und temperamentvoller Liebeseuphorie, die allerdings der Song „Lass es Liebe sein“ hintergründig parodiert. Romeo überrascht durch Sportlichkeit, wenn er auf die Balustrade springt und wie ein Äffchen hängend seine Liebe gesteht. Julia besticht durch ihr atemberaubendes Tempo, mit dem sie immer über die Bühne fegt, um dann ganz lässig weiterzusingen. 

Einziges Manko der Inszenierung ist die Abmischung des Sounds, zumindest wenn man ganz vorn seitlich sitzt, wo alles viel zu laut dröhnt, die Texte nur passagenweise hörbar sind, Technik die Stimmfärbung überdeckt und das Geschmetter die Handlung musikalisch konterkariert.

Dafür überrascht die Applauschoreografie. Die Gewänder werden ausgezogen, auf die Kleiderbügel gehängt und entschwinden nach oben. Eine Geschichte war es nur, gespielt, getanzt und gesungen von Menschen wie von nebenan. Die Botschaft „Liebe ist alles“ nimmt das Publikum mit nach Hause.

Künstlerisches Team: Christoph Drewitz (Regie), Jonathan Huor (Choreografie), Andrew D. Edwards (Set & Kostüme, Co-Regisseur), Tim Deiling (Licht), Florentin Adolf (Sound) Anke Ludwig (Haare, Make-up), Shay Cohen (Musikalische Leitung) 

In der besuchten Vorstellung am 1. August: Monika Schweighofer (Julia), Paul Csitkovics (Romeo), Linda Rietdorff (Amme), Eward R. Serban (Mercutio), Samuel Franco (Tybalt), Edin Parzefall (Benvolio), Anthony Curtis Kirby (Pater Lorenzo), Lisa-Marie Sumner (Lady Capulet), Marius Bingel (Lord Capulet)