©Schaubühne Berlin, Foto: Armin von Smailovic
Jette Steckel beherrscht die Kunst einer packenden Aktualisierung und subtiler Emotionalisierung. Beherzt kürzt sie den Originaltext um die irrelevanten Kriegserläuterungen und ergänzt stattdessen Textstellen aus Kleists Briefen an Christian Ernst Martini, Ulrike von Kleist und Wilhelmine von Zenge, um konsequent auf den inneren Konflikt, der Unvereinbarkeit von politischem Gehorsam und menschlicher Freiheit zu fokussieren, die Kleist auf dem Höhepunkt seiner Kantschen Phase in diesem Drama verarbeitete.
Die Bühne verwandelt Florian Lösche in einen Schützengraben aus Sandsäcken, dahinter der Feuerschein des Gefechts, knallende Maschinengewehre, Flugangriffe, Maschinengetriebe eines vorbeifahrenden Panzers. Die schauspielerische Präsenz durch Lichteffekte (Erich Schneider) und Musik (Mark Madur) expressiv intensiviert gelingt eine vielschichtige Inszenierung zwischen Kriegsrealistik, menschlichen Traumata und poetischer Nähe, eingebettet in eine sehr innovative Bühnenästhetik.
In Endlosschleifen jagen die SchauspielerInnen den Schützengraben hinauf und hinunter und suggerieren via Lichtbahnen und Schattenspielen eine ganze Armee. Konträr zum Geknatter der Waffen entwickelt sich eine halluzinogene Leichtigkeit des Seins mit The Doors „Riders on the Storm“, dessen musikalische Dynamik ähnlich wie später Tschaikowkys „Tanz der Zuckerfee“ zunächst völlig irritiert, aber durch Videoprojektionen marschierender Schattensoldaten und Assoziationen zu Tschaikowskys Zinnsoldaten konterkariert wird.
Immer wieder legt Jette Steckel unter dem Kriegsgemetzel die subtilen Gefühle in verblüffender Symbolik frei. Im Lichtspot auf ihre berührenden Fingerspitzen fokussiert wird die Liebe zwischen dem Prinzen von Homburg und Natalie, der Nichte des Kurfürsten, spürbar. Live-Video-Zeichnungen (Zaza Rusadze) schwarz wie weißen Sand konturiert und immer wieder von Schwarz überlagert und ausgelöscht schaffen eine zusätzliche metaphorische Spielebene. Die Poesie hat in Kriegszeiten keine Chance. In diesem Kontext passt auch die weibliche Besetzung des Regimentchefs Kottwitz (Jule Böwe) als Symbol weiblicher Intuition, wenn sie die Begnadigungspetition der Offiziere an den Kurfürsten überbringt. Den spielt Axel Wandtke als souveränen Taktiker und Pragmatiker, dem die Ordnung des Staates über alles geht.
Roberto Schuch offeriert als Prinz von Homburg nicht den abgehobenen Träumer, sondern die malträtierte Seele, völlig verwirrt vom Bewusstsein getötet zu haben, noch verwirrter, dass er trotz des Sieges gefangen genommen und vor Gericht gestellt wird, weil er gegen die Order zu früh in das Kriegsgeschehen eingegriffen hat. Die Authentizität, mit der Roberto Schuch diese Transgressionen zwischen Schockzuständen, intuitiv richtigem Handeln und Infragestellung bislang gültiger Wahrheiten darstellt, berührt. Den Patronengurt des getöteten Feindes setzt er sich wie eine Dornenkrone auf den Kopf. An den Beinen aufgehängt, den Kopf nach unten wird er zum Symbol einer verkehrten Welt, in der es unmöglich ist „Offizier und Mensch zugleich zu sein“.
©Schaubühne Berlin, Foto: Armin von Smailovic
Im Gegensatz zum Original nimmt Jette Steckels Prinz von Homburg seine Begnadigung nicht an und erlöst sich selbst vom Leben. Kleists Satz „Ein Leben leben, um zu lernen, wie wir leben müssen, kann Gott von solchem Leben Verantwortung fordern?“ hallt als Quintessenz nach.
Kleist hätte sein Freude an dieser Interpretation, die seinerzeit noch zu gewagt gewesen wäre, suchte Kleist doch die Anerkennung des Hofes durch dieses Stück, die ihm allerdings verwehrt blieb. Das heutige Publikum ist zurecht begeistert.
Künstlerisches Team: Jette Steckel (Regie), Florian Lösche (Bühne), Pauline Hüners (Kostüme), Mark Badur (Musik), Dominika Knapik (Choreographie), Zaza Rusadze (Video), Erich Schneider (Licht), Bettina Ehrlich (Dramaturgie)
Mit Jule Böwe, Holger Bülow, Stephanie Eidt, Bastian Reiber, Renato Schuch, Alína Vimbai Strähler, Axel Wandtke