Berlin – Lorcas „Yerma“ wird unter der Regie von Simon Stone in der Schaubühne zum psychopathischen Gegenwarts-Albtraum

Theaterkritik "Yerma" Schaubühne Berlin präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Schaubühne Berlin, Foto: Thomas Aurin

Simon Stone holt Yerma aus dem spanischen Dorf in das Überall-Milieu heutiger urbaner Überflieger. Yerma und John sind durchgetaktete Menschen. Sie leben zusammen, um Spaß zu haben. Sie finden sich gegenseitig attraktiv, wohnen nun zusammen. Das Wort Liebe taucht kaum auf, umso mehr das Ficken. Man hat alles, warum nicht auch ein Kind, immerhin ist Yerma schon 38.

Aus Lorcas Drama in 3 Akten in fünf Bildern macht Stone eine kurzgetaktete Spielszenencollage, die bitzlichtartig das Geschehen im Zeitrafferformat aufleuchten lässt. Dazwischen werden in vollkommener Dunkelheit die Zeitabstände in Tagen, Wochen, Monaten und Jahren eingeblendet, unterlegt mit pulsierenden Sprechgesängen und später mit harten Technobeats. Die Zeit rast und Yerma mit ihr. Die Schwester jammert, dass schon wieder ein Kind unterwegs ist, Yerma weil sie keines bekommt. Sie steigert sich in eine derartige Hysterie, dass sie alles verliert, John, ihren Job, ihre Jugendliebe Victor, vor allem die Kontrolle über sich selbst. Nach zwei Jahren gerät das Projekt Baby trotz der Party-Hochzeit und einem „Gloria in excelsis Deo“ außer Balance. Yerma überdreht psychotisch. „Als wir noch wir waren“ ist nur noch eine Erinnerung. Yerma verschließt sich jedem logischen Argument und ist nicht mehr zum Aushalten. Bei Lorca erwürgt Yerma in ihrer Verzweiflung ihren Mann. Ihr Schicksal berührt, weil sie als kinderlose Frau im ländlich religiösen Umfeld vollkommen stigmatisiert wird und völlig der Willkür ihres autoritären Mannes ausgeliefert ist, worin schon der sich anbahnende Faschismus in Spanien spürbar wird. Simon Stones‘ Yerma ersticht sich, und trotzdem gewinnt sie keinerlei Sympathie. Zu sehr spiegelt sie den egozentrischen coolen Erfolgstyp unserer Zeit. Das gilt auch für John. Beiden fehlt es an Empathie und Mitgefühl. Beide, Yerma noch mehr als John können es nicht verkraften, etwas nicht haben zu können. John verlässt das sinkende Schiff. Yerma vertrocknet wie der stylische Baum auf der Dachterrasse.

 

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©Schaubühne Berlin, Foto: Thomas Aurin

Großartig von Caroline Peters und Christoph Gawenda gespielt zündet die Inszenierung als gnadenloses Beziehungsdrama ohne in pathetischen Kitsch zu verfallen, unterfüttert von der Problematik heutigen Prestigedenkens und medialer Manipulation einer sich selbst erhöhenden erfolgreichen Elite, die letztendlich nichts hinterlässt als Scherben und der es eben nicht gelingt, irrelevant zu sein. „Wir sind solche Klischees“, schreit sie und lässt diese Yerma grandios daran zerschellen. 

Den emotionalen Kontrast bildet Yermas kleinbürgerliche Schwester, von Jenny König sehr authentisch gespielt. Sie lernt mit dem Alkoholismus ihres Mannes umzugehen und kümmert sich  trotz ihrer Kinder als einzige noch um Yerma. Ilse Ritter als raubeinige Mutter und Abbild feministischen Selbstständigkeitsaktionismus der 1968er Bewegung gibt ihren beiden Töchtern keine Rückendeckung. Freiheit war wichtiger als das Muttersein. Jetzt steht banale Bedeutung- und Imagesgier im Vordergrund.

Obwohl die Story ziemlich konstruiert und reichlich übertrieben aus gegenwärtigen Klischees zusammengebaut ist,  entwickelt der Theaterabend durch die schauspielerische Expression eine mitreißende Faszination.

Künstlerisches Team: Simon Stone (Text und Regie), Lizzie Clachan (Bühne), Alice Babidge (Kostüme), Stefan Gregory, Licht: James Farncombe (Musik und Ton), Nils Haarmann Dramaturgie

Mit: Caroline Peters, Christoph Gawenda, Jenny König, Konrad Singer, Ilse Ritter, Carolin Haupt

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