Berlin – „Fremder als der Mond“ – eine Text- und Musikcollage als Suche nach Bertolt Brecht im Berliner Ensemble

Theaterkritik "Fremder als der Mond" am Berliner Ensemble präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©JR Berliner Ensemble

Knappe zwei Stunden ohne Pause agieren Katharine Mehrling und Paul Herwig als zwei Alter Egos Brechts, um die widersprüchlichen Seiten dieses Menschen zu fassen, der von sich behauptet. „Wen immer ihr sucht, ich bin es nicht.“ Oder doch? Zumindest in einigen Facetten soll Brecht greifbar werden, so die Intention.

In Augsburg und München scheint der junge Brecht in seiner rebellischen Natur noch sehr homogen. Beide tragen grüne Arbeiteroveralls, spielen Hand in Hand zwischen Klassenkampfparolen und Slapstickkomik. Das ändert sich, als er in Berlin über die „Dreigroschenoper“ über Nacht zum Star wird. Brecht entwickelt sich zum Kaleidoskop.

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©JR Berliner Ensemble

Gastschauspielerin Katharine Mehrling übernimmt seine heitere, lebensfrohe, sehr selbstbewusste Erfolgsseite mit bewusster Imagepflege. Über Brechtabende an der Komischen Oper bereits bestens eingestimmt zeigt sie dabei ihr charmant parodistisches Talent und ihre schauspielerische Vielseitigkeit. „Was aus mir wird, werden wir schon sehen.“ Als Clown, Diva, Schlagersängerin, Traumbraut, Mutter Courage sorgt sie für Amüsement und Glamour, ein verführerisches und auch sehr robustes Frauenbild aus Brechts Gedankenwelten. Paul Herwig offeriert mehr die Facetten des nachdenklichen Brechts. Optisch unauffällig, sichtbar alternd bleibt Paul Herwig allerdings allzu sehr im Schatten Katharine Mehrlings, wodurch die Facetten der Alter Egos außer Balance geraten.  

Magische Szenen gelingen durch das raffinierte Bühnenbild. Die graue Betonwand, Metapher zunächst gesellschaftspolitischer Borniertheit, dann nationalsozialistischer Macht und später der Mauer ist zunächst eine Tabula rasa, die durch atmosphärische und dokumentarische Projektionen Brechts rebellische Sozialisierung und deren literarische Verarbeitung gekonnt visualisiert. Die gesellschaftliche Unterdrückung durch die ausbeuterischen industriellen Produktionsbedingungen kombiniert mit dem „Lied vom 8. Elefanten“ aus dem „Guten Menschen von Sezuan“ ist einer der szenischen Höhepunkte, nicht minder die Mutter-Courage-Sequenz mit  Projektionen aus der legendären Inszenierung mit Helene Weigel. Brechts Facetten zwischen gelungener Showeinlage und existentiellem Tiefgang gewinnen in den kleinen, aufklappbaren Guckgastenbühnen der Mauer eine surreale Intensität. Das ist optisch und musikalisch bestens konzipiert, sehr unterhaltsam, bringt aber inhaltlich keinerlei neue Erkenntnisse für diejenigen, die Brecht kennen, eher Aha-Erlebnisse des Wiedererkennens.

Künstlerische Leitung: Oliver Reese (Texte, Regie), Adam Benzwi (Musikalische Leitung), Hansjörg Hartung (Bühne), Elina Schnizler (Kostüme), Andreas Deinert (Video), Steffen Heinke (Licht), Leslie Unger (Choreografie), Lucien Strauch (Dramaturgie)