Berlin – „Everywoman“ in der Schaubühne – die letzte Rolle ist für alle gleich

Theaterkritik "Everywoman" in der Schaubühne Berlin präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Schaubühne Berlin, Foto: Armin Smailovic

Die Frau auf der Bühne, eine erfolgreiche Schauspielerin, gespielt von Ursina Lardi, begegnete dem Tod auf der Rennbahn, als ein Pferd im Endspurt direkt vor ihr zusammenbrach und ihr im Todeskampf direkt in die Augen schaute. Dieser endzeitliche Blick wird zur Metapher und zum rotem Faden des Abends. Ein Brief einer begeisterten Theatergängerin lässt die Schauspielerin aufhorchen. Helga Bedau, 71 Jahre alt, unheilbar an Krebs erkrankt, ein einziges Mal in ihrem Leben als Statistin an der Freien Volksbühne Berlin aktiv, möchte angesichts ihres bevorstehenden Todes noch einmal auf der Bühne stehen. An der blumengeschmückten Festtafel für „Jedermann“ darf sie nun Platz nehmen, als Video zugeschaltet, um von der Schauspielerin von der Bühne aus befragt zu werden. Es sind ganz triviale Fragen und Antworten fern von „Jedermanns“ Seelengericht nicht vollbrachter guter Taten und von religiösen Teufelsphobien. Von den Festgästen verlassen sitzt Helga Bedau symbolisch ganz allein, vereinsamt am Tisch. Sie selbst ist von diesem Auftritt enttäuscht, statt zu spielen, beantwortet sie nur die Fragen Ursina Lardis, die eine taffe Frau offerieren, die ganz nüchtern, ohne Larmoyanz auf den Tod blickt und schon eine ganz genaue Vorstellungen hat, wie sie sterben möchte, im Sommer, im Bett, Musik von Bach hörend und draußen den Sommerregen. Das Begräbnis soll in Griechenland sein, wo ihr Sohn lebt. Im Hintergrund des Videos tropft das Wasser allegorisch für die Vergänglichkeit alles Zeitlichen. „Ich bin die, die stirbt. Alles andere geht weiter“, kommentiert sie unsentimental die Situation. Es ist ihre letzte Rolle. Ihr Gesicht wirkt sanft, lässt ein zufriedenes Leben ahnen. Sie schläft ein, unlesbar wird  ihr bereits „in Vergangenheit gekipptes Gesicht“, das schon die Schönheit nach dem Tod annimmt, während Ursina Lardi weiterphilosophiert und vom Leben Helga Bedaus erzählt. Konzentriert und empathisch erinnert sie an die 1968er Jahre in Berlin. Doch der Text mäandriert im Beliebigen, nur der nochmalige Vergleich mit dem sterbenden Pferd, mit der Lücke zwischen letztem Bewusstsein und dem Tod hakt sich fest. Die Deutung dieser Lücke ist entscheidend. Unfassbar  für jeden Menschen oder Glaubensoffenbarung wie im „Jedermann“? Währenddessen entschwindet Frau Bedau immer weiter nach hinten in die schwarze Unendlichkeit des Schattenreichs. Ursina Lardi spielt am Flügel Bach. Die Pfütze auf der Bühne erinnert an Helga Bedaus realen Tod.

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©Schaubühne Berlin, Foto: Armin Smailovic

Den Applaus bei der Premiere als Auftragsstück  für die Salzburger Sommerfestspiele  2021 konnte Helga Bedau noch erleben. 

Künstlerisches Team: Milo Rau (Text, Regie, Dramaturgie), Carmen Hornbostel (Dramaturgie), Anton Lukas (Bühne, Kostüme) Moritz von Dengern (Video), Jens Baudisch (Sound), Erich Schneider (Licht), Christian Tschirner (Dramaturgie)

Mit: Ursina Lardi, Helga Bedau (Video)

 

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