©Regina Brocke
Kein Gauthier-Programm ohne Ohad Naharin. Mit seiner Choreografie „Decadance“ beginnt „Classy Classics“ mit explosiver Beschwingtkeit und zündet genauso wie vor 20 Jahren, denn Naharin macht für jede Stadt und jede Company neue Version, wodurch sich die Urfassung von 2000 ständig verändert und dynamisiert. Sitzend, kniend, stehend werden Tänzerinnen und Tänzer zum Rhythmusblock mit expressiver Armgestik, Klatscheffekten. Sie lösen sich über die Bühnenfläche auf, finden sich mit komplexen Hochgeschwindigkeitsschritten, hohen Beinen in immer neue Figurationen, während die Musikcollage metallisch klirrt und flirrt. Aufgereiht an der Bühnenrampe entwickelt sich ein Feuerwerk solistischer Zuckungen und Drehungen der Selbstdarstellung, witzig durch unerotische wollbeige Bodys mit Handschuhen und über die Hüfte hinab die Oberschenkel spießig verhüllend. Ein Pärchen mit feuerroten Pumphosen, humorvoll weit nach vorne gezogen wie ein Tüte, suggeriert ganz konträr zu üblichen Pas des deux mit Schalk das erotische Spiel von Nähe und Distanz, sexuelle Lustbarkeiten auf Augenhöhe zwischen Mann und Frau, entfacht in Slow Motion lyrische Momente und in der Beschleunigung die fröhliche Seite der Erotik.
Nach der Pause präsentiert Gauthier sein Kult-Stück „Orchestra of Wolves“ (2009), wie „Dinner for One“ immer wieder unglaublich fröhlich und lustig. Hingebungsvoll geigen die Tänzer als Musiker unter der Knute ihrer Dirigenten Beethoven 5. Sinfonie, die „Schicksalssinfonie“. Doch ihre Wolfsmasken nehmen den Unmut ihres Musikerschicksals schon vorweg. Aus dem hündischen Gehorsam entwickelt sich offene Rebellion, als der Dirigent einen Musiker ausschließt. Das ist herzerfrischende Tanzsatire mit euphorischen Applaus honoriert.
William Forsythe darf natürlich bei einer Modern-Classic-Revue nicht fehlen. Sein „Schmerman-Duet“ zeigt seine klare, elegante Art des Choreografierens, Bruna Andrade in transparentem schwarzen Oberteil, Nicholas Losada mit nackten Oberkörper, beide in sandfarbenen Faltenröckchen und Spitzenschuhen werden zu Magneten erotischer Anziehung, tanzen Bewegungen wunderbar mit grazil präzisen Körperlinien aus, verwandeln sich dann in gelben Röckchen fröhlich ironisch zu turtelnden Schmetterlingen. Doch gerade an dieser Choreographie merkt man, wie stark sich Tempo und Gestus des modernen Tanzes in den letzten Jahren12 intensiviert haben, gerade im direkten Vergleich mit Marco Goeckes „Äffi“. In Jeans, den Oberkörper nackt tanzt Theophilus Veselý zu drei Johnny-Cash-Stücken den Machismo in allen seine Facetten und dynamisiert mit seinem Hochgeschwindigkeitstanzstil, bizarren Drehungen dessen lässige Country-Musik. Die Bühne abgedunkelt, meist mit dem Rücken zum Publikum werden Arm- und Schulterlinie gleichsam zur Landschaft und zum Energiefeld, die zuckenden Muskeln zum tänzerischem Statement, sein leises Pfeifen von „Morgen früh, wenn Gott will“ zum schicksalsergebenen, melancholisch hoffnungsvollem Statement nach einem anderen Leben.
Und doch wird diese atemlose Choreographie nochmals getoppt von Cayetano Sotos „Malasangre“ (2013). Wie hier afro-karibische Musik, gleichzeitig eine Hommage an die kubanische Sängerin La Lupe, mit tänzerischer Ausgelassenheit und Latino-Erotik aufeinandertreffen , entwickelt eine mitreißende, sehr parodistische Dynamik. Die Frauen haben Oberwasser, in ihrem Schlepptau die Männer. Mit hohen Beinen eifern sie den Frauen nach und sind doch durch flatternde Hahnenkamm-Gestik als Machos typisiert, mit Kniestrümpfen gegenüber den sexy Overknees der Tänzerinnen deutlich parodiert. Das ist Lebensgefühl wie in Cuba, Tanz und Erotik in der Endlosschleife einer „Guantanamera “-Interpretation.
„Classy Classics“ hält, was das witzige Wortspiel verspricht, ein stilvolle Klassiker mit Schalk und Humor, Rasanz und Erotik. hochartifiziell und nachhaltig. Das Berliner Publikum tobt vor Begeisterung. Zum dritten Mal sorgt die Gauthier Dance für Standing Ovations, worauf Gauthier beim nächstes Gastspiel sicher wieder ganz sehr charmant, wie es seine Art ist, anspielen wird.