Berlin – „Ek/Ekman“ – mitreißende Choreografien getanzt vom Berliner Staatsballett in der Deutschen Oper

Tanz "Ek/Ekman" Staatsballett Berlin präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Staatsballett Berlin, Yan Revazov

Die Bühne leuchtet atmosphärisch, lässt durch eine Tür mit Giebelspitz den Puls hektischen Hin-und Herlaufens hinter einer Mauer wahrnehmen, was in Berlin natürlich ganz ortsspezifische Interpretationen assoziieren lässt.

Ruhig und innig tanzt ein Paar davor, er, eine Sie im braunen Hosenanzug holt ihn bzw. sie im rosa Mantel direkt aus dem Publikum sozusagen als Einladung einen gemeinsamen Puls zu finden. Dabei geht ed nicht um gendermäßige Rolleninterpretation. Mats Eks Choreografie „A Sort of…“, ist eine Art menschlicher Annäherung. Mit sehr präzisen Vorstellungen kam er nach Berlin, aber während der Proben wurden die Ideen der TänzerInnen eingearbeitet, Abweichungen nicht als Fehler, sondern als Inspirationen weiterentwickelt, wodurch die Choreografie an individueller Authentizität und humorvollen Pointen gewinnt.

Das Vertrauen des Paares wird derart innig, dass sie sich von ihm in einen Koffer packen lässt und beide durch die Maueröffnung entschwinden. 

Die Mauer dreht ab zur mächtigen Diagonalen, gibt im existenziellen Schwarz der Nacht mit türkisen Lichtlinien Raum für 16 TänzerInnen, die sich gegenseitig bezirzen, zu turtelnden Paaren formieren, den Zustand des Verliebtseins mit all seinen Konsequenzen in immer neuen Bewegungsformen originell versinnbildlichen. Lang gestreckte Beine zirkeln Schritte und Sprünge voll kindlicher Lebensfreude wie in einem Bilderbuch, große, weite Armbewegungen signalisieren jauchzendes Willkommen, formieren sich zu kurzen wuchtig synchronen Sequenzen, um sich wieder individuell Bewegungsdetails hinzugeben. Freudenschreie, wackelnde Köpfe dazwischen und immer wieder ein Hip-Hopper als Ausdruck extravaganten Balzverhaltens.

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©Staatsballett Berlin, Yan Revazov

Konkurrenzen bauen sich auf. Sex wandelt sich zu Gewalt. TänzerInnen donnern gegen die Wand. Schwangerschaft zerplatzt. Doch die feinen leuchtenden Farbnuancierungen hellen die Stimmung wieder auf, modellieren die Körper der TänzerInnen und unterstreichen die ästhetische Energie ihrer Bewegungen. Paare tanzen zu zweit, eines Fingerspitze an Fingerspitze, sich gegenseitig mit den Köpfen umkreisend, in erotischen Umdrehungen das Einssein verkörpernd.

Am Ende spannt Mats Eks Choreografie den Bogen zum Anfang. Das Pärchen mit dem Koffer kehrt durch die schmale Tür zurück. Sie steigt aus dem Koffer und entflieht sofort der Enge wieder hinaus auf die Bühne des Lebens. Sehr poetisch zeigt „A Sort of…“, dass es auf die Art ankommt, wie man das Leben betrachtet, denkt, zu leben wagt und wie wichtig dabei die Kunst ist. Das Publikum jubelt vor Begeisterung.

Diese Begeisterung steigert Alexander Ekmann mit seinem Stück „Cacti“ in eine stomp-artige Bewegungseuphorie. Auf quadratischen elfenbeinweißen Platten einzeln positioniert fusionieren 27 TänzerInnen und MusikerInnen zu einer mitreißenden Performance, in der sie sich in höchster Konzentration gegenseitig und das Publikum endorphinisieren. Bewegung, Klatschen und Stampfen nach der Musik von Joseph Haydn, Ludwig van Beethoven, Franz Schubert kombiniert mit raffinierten Positionswechseln der Platten zuerst im Orchestergraben, dann nach hinten verschoben, intensiviert durch krasse Schwarz-Weiß-Lichteffekte kann man sich den schwingenden Vibrationen kaum entziehen. Wie in einem Orchester folgen die Bewegungen fulminanten Crescendi, wuchtigen Tutti und Soli. Präzise markieren sie Ritardandi und magische Generalpausen. Aus der Stille erhebt sich das nächste Beben. Tonale Variationen, fröhliche Triller, hurtige Oktavläufe, wuchtige Akkorde und Arpeggios setzen die TänzerInnen mit schnellen Schrittfolgen und kräftigen Sprüngen um. 

Die seitlich aufflackernden Buchstaben von „Cacti“ signalisieren den Eintritt in eine neue Welt mit melancholischen Decrescendi. In Nackt-Optik verwandeln sich die TänzerInnen samt Kakteenschalen in der Plattenlandschaft der Bühne zu beweglichen Skulpturen wie eine moderne Weiterführung der Antike in friedlicher Harmonie.

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©Staatsballett Berlin, Yan Revazov

Die aus dem Off gesprochenen Textbotschaften in Englisch sind allerdings ohne Übertitelung in Deutsch für viele Besucher nur fragmentarisch zu verstehen, doch der Sinn offeriert sich optisch durch die Symbolkraft der Kakteen. TänzerInnen und MusikerInnen sind nur Teil eines größeren organischen Ganzen. Wie die Kakteen, zeigen sie die Seiten des Lebens zwischen energetischem Überleben und Daseinsmöglichkeiten, die sie in der Phantasie der Zuschauer aufleben lassen. 

Künstlerisches Team von „A Sort of…“: Mats Ek (Choreografie), Henryk M. Górecki (Musik), Maria Geber (Bühne und Kostüme), Ellen Ruge (Licht), Margareta Lidström, Rafael Sady (Einstudierung)

Künstlerisches Team von „Cacti“: Alexander Ekman (Choreografie, Bühne, Kostüme, Licht), Tom Visser (Umsetzung Licht), Spenser Theberge (Text), Ève-Marie Dalcourt (Einstudierung)