München – Glucks „Alceste“ in der Staatsoper

Opernkritik "Alceste" Präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Wilfried Hösl

Die  Stimmung im Palast ist gedrückt. Der kranke König Admète muss einem Orakel gemäß sterben, wenn sich niemand an seiner Statt als Opfer bereit erklärt. Königin Alceste will für ihren geliebten Mann sterben. Doch Hercule holt sie aus dem Hades zurück und schützt Admète vor den Boten des Todes. Gemeinsam mit dem Volk feiern sie die Rettung.

Überirdisch jenseitig stimmt schon der Chor zu Beginn auf die Reinheit der Seelen ein. Admète ist ein guter Patriarch, der von seinem Volk geliebt sein will. Sein autoritärer Vorwurf, wie Alceste ohne seine Einwilligung das Recht habe, über sich zu verfügen, verliert durch seine Liebe an Schärfe. Wie tief verbunden beide sind, zeigen immer wieder die Tänzer. Sie fungieren als deren Alter Ego, tanzen deren Freuden und Ängste, verwandeln sich durch Lichteffekte in Schattenwesen und irrlichtern als Boten des Todes über die Bühne. Mit großen schwarzen  Tüchern umwickeln sie Alceste. Im Trauerkleid spiegelt sich ihre Zukunft schon im Vorfeld ihrer Entscheidung. Wieder entwickelt bleibt sie  durch den zum Kreis gewundenen schwarzen  Stoffes im Bann des Todes. Die Szene wiederholt sich als sie stirbt, mit blau durchwirkten Tüchern voller Hoffnung auf die Erlösung im Tod, der durch göttlichen Einfluss doch nicht wirksam wird.

Immer wieder gelingen Sidi  Larbi  Cherkaoui wunderbar leichte  Bewegungsmuster mit inhaltlichem Tiefgang. Seine Tänzer, jeder ganz individuell in weiten Hemden und Hosen luftig umhüllt (Kostüme: Jan-Jan Van Essche), entdecken in Glucks affektgeladener Musik mit vielen Anspielungen auf anmutige Eleganz der historischen Tänze die  kribbelige Erotik des Modern Dance mit wirbelnden Drehungen,  akrobatischen Hebefiguren, atemberaubenden Hiphop-Elementen und monumentalen Standbildern. In wahnsinnig schnellen Armbewegungen, sich drehenden Handgelenken und Flatterhänden spiegeln sich in exakter Präzision Artikulation und Rhythmik des Orchesters.

Umgekehrt dirigiert Antonello Manacorda, Mitbegründer des Mahler Chamber Orchestras, das Bayerische Staatsorchester mit tänzerischer Grandezza. Federleicht, irrsinnig schnell zeichnet er mit dem Tanzstock die Schwungdynamik der Musik in die Luft und akzentuiert mit der Linken die Tonlängen und Pausen. Man hört und sieht die vibrierende Energetik auf allen Ebenen.

Opernkritik "Alceste" Präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Wilfried Hösl

Bewusst statisch, majestätisch positioniert aufgrund ihres würdevollen Amtes und ihrer edlen Liebe bleiben König und Königin meist in räumlicher Distanz. Ihre Liebe beruht auf gegenseitiger Achtung, verbunden durch die Liebe zu den beiden Kindern, weniger auf leidenschaftlichen Umarmungen. Charles Castronovo zeichnet mit seinem kraftvollen Tenor einen sympathischen und ehrenhaften Herrscher, der mühelos und expressiv mit nötigem Stimmvolumen die Szenendramatik auslotet. Dorothea Röschmann verkörpert mit ihren voluminösen Höhen die kraftvolle herzensgute und pflichtbewusste Mutter, immer auf Augenhöhe ihres Gatten. Für abgründige Ängste fehlt in den tieferen Lagen die Ausdruckskraft. Sängerische und tänzerische Entdeckung dieses Abends ist Anna El-Kashem. In ihren kurzen Parts als Coryphée singt sie auch von den Tänzern getragen mit dem Kopf nach unten überaus klangschön und sie überrascht durch tänzerisches Temperament.

Opernkritik "Alceste" Präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Wilfried Hösl

Wermutstropfen allein ist der dritte Akt. Die Tänzer auf Stelzen, mit Stangen verlängerten Armen als riesige Höllenschatten agieren zu lassen  wirkt eher hölzern effekthascherisch als magisch und nimmt dieser wichtigen Passage die emotionale Dichte. Umso wirkungsvoller ist Michael Nagys durchdringender Bariton als rettender Hercule.