Landshut – Vivaldis „Herkules am Thermodon“ im Landestheater Niederbayern

Opernkritik "Herkules am Thermodon" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Landestheater Niederbayern, Peter Litvai

Schon in der Antike waren die emanzipierten Amazonen den Göttern ein Dorn im Auge. Deshalb wurde Herkules in seinem 9. Abenteuer ausgeschickt, den Gürtel ihrer Amazonenanführerin Antiope, Symbol der Keuschheit, als Machtprobe männlicher Überlegenheit zu erlangen. Vivaldi (1678-1740) komponierte zu dem antiken Mythos die Oper „Ercole su’l Termodonte“ (1723), eine von seinen noch etwa 25 erhaltenen Opern. Das künstlerische Team des Landestheater Niederbayern wagt die deutsche Erstaufführung von „Herkulus am Thermodon“ als erfrischend karikierende Macho-Oper, durch die Sängerinnen eine Hommage an die Frauen, die den Männern weit überlegen sind. 

Regisseur Urs Häberli macht daraus eine unterhaltsame Satire auf den Machismo der Männer, die schon im Mai vergangenen Jahres nach dem Lockdown für einen vergnüglichen Opernabend sorgte. Mit schweren Maschinen in Ledermontur kreuzt die Männerquadriga vor der Werkstatt der Amazonen auf und entführt Alcestes Tochter Martesia, wobei sich Ippolita in Teseo verliebt. Antiope, die Mutter, sinnt auf Rache, fackelt eine Herkules ab, als Video witzig zu Vivaldis Interludi eingespielt und nimmt Teseo gefangen. Schlussendlich finden sich die richtigen Paare. Auf gleicher Augenhöhe finden sich aber nur Ippolita und Teseo, bezeichnender Weise mit einer Frau besetzt, als inniges Liebespaar. Alceste kann die schlaue Martesia nur durch viele Drinks im beschwipsten Zustand erobern. Und Antiope wählt das ganz klassische Modell der männlichen Bewunderung und wedelt mit Herkules Fuchsschwanz. 

Die emanzipatorische Kraft verbrennt in wenigen Bühnenmomenten, aktualisiert nicht wirklich, sondern dekoriert nur mit gegenwärtigen Effekten. Allein die Sängerinnen wissen zu kolorieren, ihren Figuren Profil zu geben, allen voran Koloratursopranistin Ewelina Osowska. Als Martesia entwickelt sie eine wahres Koloraturfeuerwerk von lässiger Leichtigkeit und, beschwipst, mit witzig schrägen Tönen. Gleichzeitig überrascht sie durch schauspielerische Versiertheit und jugendliche Aura, womit sie mit jedem ihrer Auftritte die Inszenierung dynamisiert. Henrike Henoch koloriert als Ippolita heißblütig gefühlvoll zusammen mit Reinhild Buchmayer als Teseo innige Liebesszenen, die zielsicher in ein Happyend führen. Sabine Noack als Antiope zürnt voluminös, ohne trotz rabiat anvisierten Foltermethoden und usurpierter Selbsthinrichtung klamaukig zu wirken, was bei den Männern durchaus der Fall ist, aber zur Intension der Inszenierung passt. Mit aufgeblasenem Selbstbewusstsein und Machoallüren, in Viererreihe in tänzerischer Rhythmik mehr Tölpel als Helden degradieren sie sich selbst zu Clowns. Daniel Preis zeichnet Alceste als Partytiger mit wenig Volumen in hohen und tiefen Lagen. Peter Tilch (Telamone, Diana) glänzt durch schauspielerischen Charme und in sängerischer Mittellage. Jeffrey Nardone akzentuiert holzschnittartig statisch Herkules als muskulösen Rocker und Kraftkerl, allerdings beheimatet im italienischen Fach nicht im Barock ohne herkulisches Stimmcharisma. 

Unter dem Dirigat Basil H.E. Colemans findet die Niederbayerische Philharmonie einen harmonischen Farbklang, in dem die Streicher, wie könnte es bei Vivaldi anders sein, den Ton angeben. Nach historischer Aufführungspraxis setzen zwei Theorben immer wieder lyrische Akzente. Ouvertüre und Interludi sehr flott dirigiert, bleiben Parlando-Passagen etwas gemäßigter, lassen aber trotzdem klangliche Präzision im basso continuo am Cembalo und vor allem an der Truhenorgel vermissen.

Die klangschönsten Momente entstehen bei den Arien der Frauen, deren Gesangslinien die Solooboe zuweilen wunderbar weiterführt. 

Künstlerisches Team: Basil H. E. Coleman (Musikalische Leitung), Urs Häberli (Inszenierung) Marcel Zaba (Bühne, Kostüme), Swantje Schmidt-Bundschuh (Dramaturgie).

Auf der Bühne singen und spielen: Sabine Noack (Antiope, Anführerin der Amazonen) Henrike Henoch (ihre Schwester Ippolita), Ewelina Osowska (ihre Tochter Martesia), Jeffrey Nardone (Herkules), Daniel Preis (Alceste), Reinhild Buchmayer (Teseo), Peter Tilch (Telamone, Diana)