Landshut – „Die Walküre“ im Landestheater Niederbayern – Begeisterter Applaus für die beeindruckende Inszenierung

Opernkritik "Die Walküre" im Landestheater Niederbayern präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Landestheater Niederbayern, Peter Litvai

Mit Basil H. E. Coleman am Dirigentenpult übertrifft sich die Niederbayerische Philharmonie. Mit warmem Farbklang, rasanter Dynamik und präziser Artikulation ist Wagners innovative Musik mit ihren sphärischen Klangteppichen, sonoren Tonwalzen, romantischen Naturalismen zwischen wuchtigen Blitz- und Donnerakzenten und ihrer lyrischen Subtilität in spannender Plastizität zu hören, immer in Balance mit den großartigen Stimmen, die das inzwischen sehr altmodisch formuliert wirkende Libretto in den Hintergrund drängen. 

Schon die Ouvertüre betört durch die Durchdringung von Musik und Bühne. Rasant wie die Putzbewegungen Sieglindes ist das Tempo. Klar und rein bringt die Sologeige Poesie zum Leuchten. Die atmosphärische Polarität von dystopischer Wucht und lyrischen Augenblicken, spätromantischem Naturerleben und digitaler Realitätssatire macht den Reiz dieser Inszenierung aus.

Die Geschichte an sich, typisch für mythische Narrative, ist verquer. In einem verwundeten Gast erkennt Sieglinde, die unglücklich mit dem rüden Hunding in Waldeinsamkeit verheiratet ist, ihren Zwillingsbruder Siegmund. Es ist Liebe auf den ersten Blick. In einer Esche, nur ein paar zerzauste Äste, zeigt sie ihm Nothung, das unbesiegbare Schwert, das Vater Wotan für ihn dort versteckte und womit er sie aus dieser Ehe befreien kann. Doch Fricka, Wotans Frau, kann diese inzestuöse Leidenschaft nicht akzeptieren, zumal die Zwillinge aus einer außerehelichen Beziehung Wotans stammen. Als Sühne fordert sie den Tod Siegmunds, den Wotan seiner Tochter Brünnhilde aufträgt. Doch die hat Erbarmen mit den Liebenden. So tritt Wotan in Aktion. Siegmunds Schwert zerschellt an Wotans Stab und Hunding erschlägt Siegmund. Brünnhilde überredet Sieglinde, die eigentlich den Tod sucht, zur Flucht. „Lebe um der Liebe willen!“, denn Brünnhilde erwartet ein Kind. Es wird Siegfried, dritter Teil der Ring-Sage, in dem er Brünnhilde aus dem Feuerring erlöst, in den sie Wotan wegen ihres Ungehorsams verbannt. 

Stephan Bootz, der sich über die Produktion des Landshuter „Rings“ Wagners Rollenrepertoire erarbeitet, zeigte sich mit seinem Rollendebüt als Wotan als großartiger charismatischer Wagner-Bass, vom dem noch viel zu hören sein wird. In Beuys-Optik als Weltenwanderer und mit fulminanter Wucht, balsamischen Klangfarben in den Feinstrukturen der Tiefe offeriert er Wotan in seinem existenziellen Klagen „muss ich verlieren dich, die ich liebe“, nur weil Fricka, mit Mezzosopranistin Judith Gennrich als frustrierte, moraline Gattin treffsicher besetzt und ausstaffiert, eifersüchtig Rache fordert. 

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Landshut – „Die Walküre“ im Landestheater Niederbayern

Mit brachial patriarchalischer Strenge verbannt Wotan Brünnhilde, seine emanzipierteste und liebste Tochter, die eben genau das tut, was ihm versagt bleibt, nach dem Herzen, nicht nach dem göttlichen Befehl zu handeln, hinter dem ohnehin nur menschlicher Geist agiert. Und wenn Wotan seinen Bann abmildert, „einer nur freie die Braut, der freier als ich, der Gott!“ relativiert er selbst die göttliche Macht. Dieser Wotan ist alles andere als Beuys nicht einmal ein Lebenskünstler, nur ein von der Gier nach Gold Getriebener. 

Yamina Maamar, deren ursprünglicher Mezzosopran sich im Laufe der Jahre zu einem markanten dramatischen Sopran entwickelte, interpretiert Brünnhilde als lebensfrohe, mutige Amazone, als wahrhaft „kühnes herrliches Kind“ , das mit dem Vater spielerisch die Kräfte misst, kraftvoll mit Pfeil und Bogen elegant an ihm vorbeizielt, das Herz auf dem rechten Fleck hat und verzweifelt die anderen Walküren um Hilfe bittet, um sie dann doch lieber vor Wotans Zorn zu verschonen. 

Der Walkürenritt wird trotz des wuchtigen „Hojotoho“-Motivs mittels tänzerischer Revue mit Handy und projizierten Querdenker-Botschaften zur Parodie systemischer Fremdmanipulation. Wie genormte Marionetten agieren die Walküren.

 

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Nur Brünnhilde widersetzt sich in rasender Dynamik Wotan. Im naturalistisch apokalyptischen Gewitter-Klanginferno des Orchesters strahlt Yamina Maamars Stimme in reiner Unschuld. Die Bücherregale zum Podest umarrangiert, wechseln die Machtverhältnisse. Wotan steigt herab und Brünnhilde steht trotz des Feuerbanns siegreich obenauf.  

Nicht minder farbenreich, voluminös sind Peggy Steiner als Sieglinde und Aaron Cawley als Siegmund, der kurzfristig wegen einer positiven Coronatestung für Hans-Georg Wimmer einsprang. In jugendlich anmutender Verliebtheit, agieren sie in synchron expressiver Gestik, die Regisseur Stefan Tilch leitmotivisch immer wieder subtil als Sinnbild der harmonischen Wesensverwandtschaft von Mann und Frau in Szene setzt. Sieglinde in einem schönen schlichten Kleid in ihrer edlen Abstammung erkennbar wird wie ein Hund an langer Leine in ihrer Bewegungsfreiheit auf Haus und Hof eingeschränkt. Siegmund sprengt ihre Fessel. Doch durch Wotans Eingreifen zerbricht das Wunderschwert, hier sind es nur zwei Krallen, die Science Fiction-Helden assoziieren lassen. Schauspielerisch sehr versiert gibt dieses Liebespaar schon der ersten Szene sehr viel Kraft und Dynamik, die die Inszenierung musikalisch, sängerisch und darstellerisch bis zum Schluss tadellos auf diesem Niveau hält, in das sich die Sänger und Sängerinnen des Landestheater Niederbayern in den Nebenrollen klangschön integrieren. 

Künstlerisches Team: Stefan Tilch (Regie), Basil H. E. Coleman (Musikalische Leitung), Karlheinz Beer (Bühne), Ursula Beutler (Kostüme), Sunny Prasch (Choreographie), Florian Rödl (Video), Swantje Schmidt-Bundschuh (Dramaturgie) 

Es singen und spielen Aaron Cawley (Siegmund) Heeyun Choi (Hunding), Stephan Bootz (Wotan) Peggy Steiner (Sieglinde), Yamina Maamar (Brünnhilde), Judith Gennrich (Fricka) , Emily Fultz (Helmwige), Claudia Bauer (Gerhilde), Kathryn J. Brown (Ortlinde), Sabine Noack (Waltraute), Reinhild Buchmayer (Siegrune), Juliane Wenzel (Roßweiße), Christina Rehm (Grimgerde), Christina Blaschke (Schwertleite) und die Niederbayerische Philharmonie