Berliner Staatsoper – Uraufführung „Usher“

Opernkritik "Usher" in Berlin präsentiert MIchaela Schabel

Edgar Allan Poes berühmte, vielfach bearbeitete Horrorgeschichte „Der Untergang des Hauses Usher“ inspirierte Debussy zu einer Oper. Sie wurde aber nie vollendet. Im Auftrag der Staatsoper Berlin und der Folkoperan Stockholm schuf die belgische Komponistin Annelies Van Parys nach Debussys Unterlagen „Usher“ keine Rekonstruktion, sondern eine eigenständige Oper. Subtil übernimmt sie Musikstrukturen und wandelt sie in moderne Tonharmonien. Gaea Schoeters  zerschnitt die Textvorlagen, setzte sie neu zusammen und erweiterte den Part des Arztes, teilweise auch mit Trump-Zitaten. Durch die Figur des Arztes rückt nun die Frage in den Mittelpunkt, inwieweit ein Mensch so weit manipuliert werden kann, dass er tötet.

Unter der Regie von Philippe Quesne verdichtet sich die Uraufführung zum vielschichtigen Psychogramm einer Dreiecksgeschichte. Weniger der Horror als die Traumatisierung der Figuren steht im Mittelpunkt. Die Sänger bewegen sich lautlos, langsam wie in Trance. Rodericks lange fettig ungepflegten Haare lassen Ritterzeiten bis Althippiewelten assoziieren, gleichzeitig das lange Eingesperrtsein unter der Kuratel des Arztes. Völlig fremdgesteuert, hilflos und verzweifelt wirkt dieser Roderick, Madeline agiert wie ein willenloses Traumwesen, beide gesteuert von der ungeheuren Dominanz des Arztes. Nur langsam findet der eingeladene Freund  Orientierung.

Nebelschwaden verhüllen,  lichten sich nur langsam. Die Treppe wird zur geheimnisvoll symbolischen Brücke zwischen hierarchischem Oben und Unten, Realität und innerem Erleben.

©Martin Argyroglo

Wie in einem surrealen Traum öffnen sich Türen. Licht flutet kurz in die nebulöse Stimmung. Doch erst als die Situation in loderndem Feuer eskaliert, befreit sich die Wahrheit. Dann wird auch  Annelies Van Parys angestrebte Anspielung  auf politische Systeme  deutlich.

Das 14-köpfige Kammerorchester direkt in einer Ecke des Wohnzimmers platziert macht das Nervenkostüm der Protagonisten hörbar. Jede Figur hat ihr eigenes Motive und eine spezielle Klangfarbe. Schlagzeug, Perkussionsinstrumente, Blechbläser lassen die psychotische  Unruhe in langgezogenen Tönen, dumpfen Rollen immer wieder in schriller Aggressivität und  wuchtigen Disharmonien eskalieren, in der die wenigen lyrische Momente im Stil  Debussy aufleuchten. Ein eingespielter Chor vermittelt den Wahnsinn im Kopf.

Höchst ambitioniert bringt das junge Sängerensemble die angstgeprägten Stimmungsmomente der einzelnen Figuren zum Ausdruck. Latent im hohen Register versteckt vermittelt  Dominic Kraemer als Arzt dessen omnipräsente Dominanz. Martin Gerke durchschneidet  mit seiner viel klassischer angelegten Partie als Freund immer wieder das Netz dieses seltsamen Trios, ohne es wirklich durchbrechen zu können. Mit David Oštrek gelingt Roderick als völlig erschöpfter, angstgebeutelter Mensch. Ruth Rosenfeld entwickelt als Lady Madeline  eine geheimnisvoll somnambule  Aura, die ihr Faszination auf die Männer erklärt.

Das alles ist als Psychodrama stimmig konzipiert und in Szene gesetzt, wirkt aber musikalisch in der Wucht der Atonalitäten etwas monoton, geht nicht wirklich unter die Haut. „Usher“ beeindruckt ohne zu begeistern.

Michaela Schabel