Berlin – Deutsche Oper – Alban Bergs „Wozzeck“

Opernkritik "Wozzeck" in deutscher Oper präsentiert schabel-kultur-blog.de

Durch dieses Gesicht  erschließt sich das Regiekonzept aus der Perspektive Wozzecks, der  sich in dieser Inszenierung  seiner Bedeutungslosigkeit durchaus bewusst zu sein scheint.

Umgekehrt zur Musik, die in der Atonalität immer wieder traditionelle Harmonien aufleuchten lässt, beginnt Regisseur Ole Anders Tandberg mit parodistischen Momenten traditioneller bunter Klischees, um darin die Gegenwart in ihrer Vergnügungssucht und Manipulierbarkeit  zu karikieren und sie mit Wozzecks fragend wissenden Blick zu kontrastieren. So entpuppt sich manches, was zuweilen plakativ trivial erscheint  als konzeptioneller Schachzug  einer in sich stimmigen Bildsprache zur Musik.

Der Hauptmann posiert heroisch auf einer naturalistischen Pferdeskulptur statt in einer Schlacht in einem großen institutionellen Entre, durch Tisch und Stuhl als Wohnraum, Arztzimmer und Bar verwandelbar. Vor der Fenster- und Türfront ziehen Fähnchen schwingende Norweger am Nationalfeiertag vorbei, die politischen Nationalismus mit seinen manipulierbaren Begeisterungstrukturen aufleuchten lassen.

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©Marcus Lieberenz

Das schwelgt in satirischer Farbenpracht und konstrastiert zur reduzierten Leidensgeschichte Marie, Wozzecks und des Sohnes, der einsam, isoliert weit weg von der Mutter verloren im Raum sitzt. Ein vom Doktor sezierter Molch, dessen Blut das weiße Kreisrund der Projektionsfläche färbt, wird zum Vorboten des Unheils noch vor der dunkelrote Dämmerung und zur naturalistischen Metapher menschliche Grausamkeit an der Kreatur.

Die Personenregie bleibt im üblichen Rahmen zwischen expressiver Authentizität und parodistischer Aufgeblasenheit. Wozzeck, im Anzug eine Figur unserer Tage, ist unfähig, sein Schicksal in gute Bahnen zu lenken. Statt die Chance der Familie zu ergreifen, mordet er die Mutter seines Sohnes wegen eines simplen Seitensprungs. Marie wagt sich zu emanzipieren, nicht er, sie besteigt den feschen Tambourmajor, bereut aber, immer noch in der biblischen Welt gefangen. Hauptmann, Tambourmajor und Doktor degradieren zu großschneiderischen Karikaturen.

Die Stimmen intensivieren die Figurenzeichnung. Bass-Bariton Johan Reuter gibt Wozzeck ein ungewöhnlich stimmliches Durchsetzungsvermögen. Wuchtig begehrt Mezzosopranistin Elena Zhidkova  auf, überstimmt das die Fulminanz des Orchester und überzeugt in in gläubiger Demut.

Bewusst vulgär breit, extrem schrill in der Höhe zeichnet Charaktertenor Burkhard Ulrich den Hauptmann maximal unsympathisch. Balsamatisch  wirkt  die gepflegte Tiefe Seth Caricos als Doktor mit seinem wissenschaftlichen Unsterblichkeitsanspruch. Der Tambourmajor wird mit Thomas Blondelle zum angeberischen Hampelmann. Bestens eingebunden lassen die Chöre atmosphärische Stimmungen als Seelenzustände  aufleuchten.

Das Orchester der Deutschen Staatsoper offeriert unter der musikalischen Leitung Stephan Zilias (Vorstellung vom 13.10.) Alban Bergs abgründige Klangstrukturen mit voller Dynamik, überaus transparent in den einzelnen Instrumentalschwerpunkten, lässt die harmonischen Passagen als nostalgisch sanfte Erinnerungsmomente funkeln und gibt Raum für absolute Stille.

Michaela Schabel