Berlin – Wagners „Der fliegende Holländer“ als Wiederaufnahme an der Staatsoper

Opernkritik "Der fliegende Holländer" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Staatsoper Berlin, Foto: Jakob Tillmann

Ein überdimensioniertes Küstengemälde wird zur zweiten Bühne, öffnet mit cinematischer Expression den Blick auf das stürmische Meer, das Schiff und die wild romantische Welt, in die Senta sich durch ihre Lektüre auf der Suche nach dem Neuen hineinsteigert. Sie will dem vom Vater reglementierten Leben entfliehen, in dem Mädchen lieber spinnen als lesen sollen und mit selbstgefällig Zigarren paffenden Männern verheiratet werden. Selbst ihr glühender Verehrer Erik kommt gegen das Hirngespinst des verwegenen Holländers nicht an, in dessen Todessehnsucht sich Sentas Freiheitsstreben spiegelt, worin sich beide in innerer Seelenverwandtschaft verbunden fühlen. Während sich Senta auf der Bühne in eine dickliche Braut verwandelt, die sich mit Alkohol betäubt, schreitet ihr Double simultan als mädchenhafte Braut auf Holländers Schiff, wo die verflossenen untoten Frauen mit den Händen durch ein Verließgitter vergeblich nach Freiheit greifen, ein bizarres Spektakel, von dem sich diese Senta allerdings nicht abschrecken lässt. Philipp Stölzls großartige Genrebilder arrangiert wie Filmszenen haben nichts von ihrer Wirkung eingebüßt, entwickeln sich allerdings erst nach einem etwas arg langatmigen Beginn zu einer sich ständig steigenden Spannungskurve von Sturm zu Sturm, wobei die Welt des saturierten Bürgertums durch die Chorszenen aus der kritischen Sicht Sentas karikiert werden. 

Für die ambitionierte Wiederaufnahme hat die Staatsoper eigens großartige SängerInnen engagiert, die allerdings bisweilen im Schatten des Bühnenbildes bleiben. In der besuchten 19. Vorstellung gab Vida Miknevičiūtė Senta mit ihrem strahlenden und kraftvoll sicheren Sopran die Aura einer sehr selbstbewussten jungen Frau, die ganz genau weiß, was sie will und schon auf einer ganz anderen Bewusstseinsebene lebt als ihr Verehrer Erik, dessen verzweifelte Leidenschaft der französische Tenor Stanislas de Barbeyrac temperamentvoll hörbar machte. Mehr charismatische und mythische Expression hätte man sich von Bassbariton Gerald Finley gewünscht, der den dämonischen Mythos des Holländers noch nicht voll auslotete. Aus dem Ensemble brajjjchte Jan Martinik die behäbige Dominanz Dalands, Sentas Vaters, gut zum Ausdruck. Magnus Dietrich überzeugte temperamentvoll als Steuermann und Marina Prudenskaya glänzte als Mary. Gut choreografiert, aber gesanglich zuweilen sehr angestrengt wirkte der Chor.

Unter dem Dirigat von Matthias Pintscher setzte die Staatskapelle Berlin auf Laut-Leise-Effekte, immer im Einklang mit dem Ensemble. Doch trotz allen Temperaments fehlten die subtilen Facetten des Dämonischen, die den „Fliegenden Holländer“ ausmachen.