©Dumont Verlag, 2022
An 20 verschiedenen Bausteinen des Essens beweist Tim Spector, wie raffiniert Lobbyisten die Wahrnehmung von Lebensmitteln in der Öffentlichkeit manipulieren. Er räumt auf mit dem Kalorienzählen, der Verteufelung von Fetten, erklärt warum Vitamin- und Nahrungsergänzungspillen kaum wirksam sind, das Salz in der Suppe durchaus wichtig ist, man Zucker weitgehend meiden soll, Wasser viel besser als Mineralwasser ist. Bei Kaffee und Alkohol kommt es auf die Dosierung an, wobei bei den Empfehlungen einzelner Staaten und Kulturen extreme Unterschiede auffallen. Richtlinien und Subventionen bzw. Steuerermäßigungen für bestimmte Lebensmittel klaffen oft diametral auseinander. Rechtliche Konsequenzen gegen übermäßigen Konsum beispielsweise von Binge-Drinking fehlen weitgehend.
Tim Spector offeriert die Manipulationen ernährungstechnischer Trends von der Veganmania über die Allergie-Epidemie bis zum glutenfreien Hype. Ganz bewusst geben Großkonzerne wie Coca-Cola oder Nestle Forschungsarbeiten in Auftrag. Doch die Studien sind zum einem viel zu kurz angelegt, auf einen zu kleinen Probantenkreis ausgerichtet, um die Ergebnisse verallgemeinern zu können. Doch gut vermarktet, medial aufgebauscht, von gesponserten Ärzten empfohlen verändern diese Studien das Konsumverhalten, die Produktionsprozesse und führen die Lebensmittelkennzeichnung ad absurdum, weil immer mehr gesundheitsschädliche Stoffe in der Nahrung enthalten sind, die neu tituliert, nicht aufgeführt werden müssen. „Glutenfrei“ auf der Verpackung suggeriert ein gesundes Lebensmittel, wobei gerade in diesen Produkten oft viele schädliche, billig hergestellte Ersatzstoffe stecken. Industrielle Fertigprodukte fördern nicht die Gesundheit, sondern die Profitmargen.
Viel zu wenig wurde in der ernährungstechnischen Diskussion bislang auf die Bedeutung des Darms eingegangen, der das, was wir essen, durch Mikroben zerlegt, für Körper und Gehirn „verstoffwechselt“ und damit die körpereigenen Immunkräfte stärkt. Mit Blick auf die Darmtätigkeit verschieben sich deshalb die Bewertungen, was gesund bzw. ungesund ist. Um die Mikroben im Darm zu stärken sind probiotische und fermentierte Nahrungsmittel wie Joghurt und guter Käse aus nicht pasteurisierter Milch besonders wichtig.
Durch die ständigen Bezüge auf Studien liest sich „Die Wahrheit über unser Essen“ zwar sperrig und wer sich für Ernährung interessiert, weiß bereits um die Problematiken, aber durch die kurzen themengebundenen Artikel bekommt man doch einen sehr guten Überblick, was bezüglich der gesundheitlichen Bewertung einzelner Lebensmittel schief läuft. Es bedarf eines sehr mündigen Bürgers, der sich gegen den zunehmend industriellen Lebensmittelwahn und gegen die als wissenschaftlich deklarierten Manipulationen zur Wehr setzt, der Verführung industriell hergestellter Lebensmittel widersteht und Präferenzen setzt, indem er sein Geld für abwechslungsreiche, qualitative gute, möglichst regionale Lebensmittel im jahreszeitlichen Wechsel ausgibt.
Prof. Dr. Tim Spector ist Gründer und Direktor von TwinsUK, dem größten britischen Register für erwachsene Zwillinge mit 15.000 eineiigen und nicht eineiigen Zwillingen aus dem gesamten Vereinigten Königreich. Es bietet Wissenschaftlern aus aller Welt eine umfassende Plattform zur Erforschung von Gesundheit und Altern, womit Tausende von wissenschaftlichen Kooperationen ermöglicht wurden. Er lehrt genetische Epidemiologie am Kings`s College London, ist mehrfach preisgekrönter Experte für personalisierte Medizin und das Darmmikrobiom. Regelmäßig ist er im britischen Fernsehen und Radio zu Gast. Er schreibt u. a. für den „Guardian“.
Tim Spector „Die Wahrheit über unser Essen. Warum fast alles, was man uns über Ernährung erzählt, falsch ist“, Dumont Verlag, Köln 2022, 325 S.