Berlin – Puccinis „La Bohème“ in der Staatsoper 

Opernkritik "La Bohéme" in der Staatsoper Berlin präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Premierenbesetzung: Hanno Müller-Brachmann (»Schaunard«), Miroslav Dvorsky (»Rodolfo«), Roman Trekel (»Marcello«) und Kwangchul Youn (»Colline«)©Monika Rittershaus, 2001

Aus der leicht verwischten Optik kristallisieren sich die Szenenbilder klar heraus und fügen sich aus der Erinnerung des alten Rodolfos, der im Hintergrund immer wieder auftritt, verklärt aneinander mit Fokus auf lieb gewonnene Details. Die Bühne auf der Bühne demontiert zum Bruchstück aus der Vergangenheit wirkt verloren umrahmt vom existenziell schwarzen Nichts. Nach dem ersten Liebesduett von Rodolfo und Mimi brechen die maroden Wände weg, treibt der Boden grandios wie ein Floß in der Weite der Nacht dahin, wandelt sich zum schicken Nachtlokal, zu einer tristen Wartestelle im Niemandsland. Es ist schon um 10 vor 12 Uhr nach einer öffentlichen Uhr. Schnell dreht sich die Situation von der durchsonnten, schrägen Dachterrasse über eine Leiter durch leichte Bühnendrehung in ein weiträumiges, doch sehr armseliges Atelier, in der rote Graffities auf das tragische Ende verweisen. 

Vor allem die  Sängerinnen ließen in der besuchten 89. Vorstellung die Bühnenszenerien emotional aufleuchten. Anna Princeva gibt mit ihrem glühenden Timbre der kranken, geschwächten Mimi eine ungewöhnliche starke und leidenschaftliche Aura. Völlig unangestrengt kommen durch ihre balsamische Stimme und ihr großes Tonspektrum die tonalen Sprünge zur Wirkung. Obwohl gesundheitlich angeschlagen meistert Stefan Pop die Partie des Rodolfo selbst in den wuchtigen Fortissimi, die das Orchester unter dem Dirigat von Massimo Zanetti immer wieder vorgab. Sehr berührend gelang das hochemotionale Schlussduett mit musikalisch cinematischer Expression, wobei sich der rote Samtvorhang wie ein Deckmantel verblassender Erinnerung langsam schließt. 

Sängerisch und schauspielerisch sehr facettenreich interpretiert Narine Yeghiyan Musetta in ihrer egozentrisch narzisstischen Art bewusst schrill wie eine Revuediva zwischen Saxofonist und Cellist im Spotlight, um dann in schlichter Eleganz umso ausdrucksvoller und inniger in einer kurzen Passage ihre emotionale Betroffenheit von Mimis Schicksals zu besingen. An Musettas Seite wird Adam Kutny als Marcello vom Bohemien zum Biedermann. Nichts hasst sie so sehr „wie Liebhaber, die sich aufführen wie Ehemänner“. Carles Pachons Bariton lässt als Schaunard aufhorchen. Das hätte man sich noch öfter vom Orchester gewünscht.

Künstlerisches Team: Massimo Zanetti (Musikalische Leitung), Lindy Hume (Inszenierung), Dan Potra (Bühnenbild), Carl Friedrich Oberle (Kostüme), Franz Peter David (Licht), Gerhard Polifka (Einstudierung Chor), Vinzenz Weissenburger (Kinderchor)