© Searchlight Pictures
Dass der Film so gut ankommt, hat sicher mit der heruntergedimmten, vereinsamten Stimmung während der Pandemie zu tun, die sich in „Nomadland“ spiegelt, in erster Linie aber mit der großartigen Besetzung nicht nur in der Hauptrolle. Frances McDormand als Fern und die wenigen Menschen, die sie immer wieder als Wegbegleiter trifft, bestechen durch ihre schlichte Authentizität, insbesondere Charlene Swankie oder Linda May, die reale Nomaden sind und sich selbst spielen. Dass sie alle auf gleicher Augenhöhe agieren, liegt an der unglaublichen Professionalität und Empathie von Frances McDormand und an der exzellenten Personenregie Chloé Zhaos. Sie zeigt zwar in den Szenen von Ferns Jobs die menschenverachtenden Mechanismen des Turbokapitalismus, richtet aber den Fokus auf das menschliche Miteinander, die leisen Töne, die selbstverständliche Hilfsbereitschaft bei kleinen und großen Problemen, sehr subtil und poetisch untermalt von den Klavierkompositionen des italienischen Komponisten Ludovico Einaudi.
Diese Menschen sind weder Opfer noch Helden noch gescheiterte Drogensüchtige, denen sie von dem Wenigen, was sie haben, noch etwas abgeben. Es sind vielmehr Menschen, die sich um ihr Leben kümmern und sich im Spiegel anschauen können. „I live my lifestyle“, bekennt Fern. Man glaubt es ihr und man versteht den Film im Originalton auch ohne Untertitelung.
Egal mit welchen Jobs sich Fern über Wasser hält, sie bleibt lebensfroh. Ihre Falten erzählen Geschichten von einem freien geglückten und mutigen Leben, das der inneren Stimme nach Abenteuerlust folgt und sich nicht mit der Saturiertheit kleinbürgerlicher Idylle zufrieden gibt.
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Es ist ein Genuss in diesen ehrlichen Gesichtern zu lesen, allen voran in Ferns Gesicht, weil sie fast immer im Bild ist. Ihre Mimik verändert sich ständig, bringt ihr Innerstes zum Klingen. In ihren Augen spiegeln sich Freude und Heiterkeit, wenn sie Jobs macht mit Leuten, die sie kennt. Selbst dem Müllsammeln im Nationalpark gewinnt sie zusammen mit Linda fröhliche Aspekte ab. Ein liebenswürdiger Blick lässt die Hektik im Schnellrestaurant vergessen. Doch mitunter ist die Arbeit wie bei der Rübenernte knochenschwer und deprimierend. Da hilft nur Weiterfahren, auch wenn der nächste Stopp die sterile Monotonie bei Amazon wiederholt. Wer im 21. Jahrhundert überleben will, kommt diesen Arbeitsprozessen nicht aus.
Regisseurin Chloé Zhao arrangiert die Szenen mit größtem Fingerspitzengefühl zwischen Glücksmomenten und Melancholie, geselliger Freude bei gemeinsamen Feiern und der Einsamkeit als letzter Wagen in der Ödnis zu stehen.
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Sie lässt Fern bei strömendem Regen nicht ins Bodenlose stürzen, sondern mit den Wellen an der Steilküste tanzen und im Flug der Vögelschwärme die eigene Freiheit fühlen. Ein Abstecher in ihre Heimatstadt Empire, nach dem Gipsabbau zur Geisterstadt geworden, bestärkt Fern nur noch mehr diese Ödnis zu verlassen, die Schönheit der Natur in anderen Gegenden zu suchen.
Ohne Larmoyanz über den sozialen Abstieg bringt Chloé Zhao die vielen Facetten eines frei bestimmten Lebens zum Leuchten. Die, die nichts haben, teilen und tauschen großzügig, helfen sich, begegnen sich von Mensch zu Mensch. Wenn ein geliebter Teller versehentlich zu Bruch geht, wird er wieder geklebt. Wenn der Motor streikt, nimmt man auch die Hilfe der Familie an, das sind aber neben einer kleinen Romanze
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mit einem frisch gebackenen Opa (David Strathairn) in die Rolle einer Wahloma einzutauchen, auch schon die einzigen beiden rosaroten Erzählstränge, poetisch mit viel Feingefühl weniger über Worte als mit Blicken erzählt und berührend.
Fern kann nicht mehr in einem normalen Bett liegen, bevorzugt lieber die kurze Pritsche im Wohnwagen, wo sie die Beine beim Schlafen anwinkeln muss, sich dafür aber tagsüber unter Mammutbäumen recken und strecken kann. Ein Jahr später feiert Fern wieder Silvester alleine mit einer billigen kleinen Glitzerkrone im Haar. Die Einsamkeit bleibt die einzige Konstante in diesem Leben.
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Der Film ist wie eine Vision, frei von Konsum, im Einklang mit der Natur zu leben, und wenn man krank wird, kommt der Tod, ein Anhalten ist nicht möglich. Das Leben endet eben nicht mit einem Happyend.