München – „Ballet 102“ und „Im Wald“ als Video on Demand des Junior Ballets der Deutschen Staatsoper

Junior Ballett der Münchner Staatsoper "Ballet 102" und "Im Wald" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Paul Daniel Schneider

Ivan Liška, Künstlerischer Leiter der Company beschränkt sich auf ein kurzes Grußwort und lässt die TänzerInnen sprechen. Phoebe Schembri erzählt von ihrem Leben in der Company, vom Tagesablauf im Boarding House direkt neben den Tanzstudios und den gemeinsamen Warming Ups vor den intensiven Proben. 

Nahtlos geht es vom Trainingsraum auf die Bühne. Aus dem Off spricht Gauthiers Stimme. „Wie geht es euch? Seid ihr fertig für die Präsentation?“ Und schon hüpfen Phoebe Schembri und Hélian Potié vom Ensemble des Junior Ballett übermütig auf die Bühne und absolvieren Gauthiers „Ballet 102“ in artistischer Geschwindigkeit. Der Name ist Programm, 102 standardisierte Schritte und Haltungen rund um das Pas de deux, durch die sie Gauthiers Stimme aus dem Off jagt. Ab der 10. Pose mit beginnender Satire, bei der 30. mit akustischem Knirschen, bei der 60. eine Etage hinauf in luftige Höhe und bei der 70. idyllisch wie „Romeo und Julia“ vereint am Boden. Bei der Nummer 100 wird rauschender Beifall zugeschaltet. Aber das „Ballet 102“ ist noch nicht zu Ende, beginnt noch einmal, jetzt alles wild durcheinander, hippelig, sexy, parodistisch, in Wiederholungsschleife wie eine Schallplatte mit Kratzer, perkussiv immer wuchtiger von einer Geräuschkulisse untermalt, entworfen von Jens-Peter Abele, inklusive Verkehrsgeräuschen und eines akustischen Crashs, wobei das Pas abrupt endet. Es folgt ein witziger Epilog. Bei Nummer 101 zeigt Phoebe Schembri selbstbewusst den Stinkefinger, worauf bei 102 Hélian Poitié stolz den Kopf hebt und mit der Hand konsterniert zur Stirn greift. So herrlich satirisch präsentiert sich heute Ballett unter Gauthier. „Ballet 102“ als Begräbnis des Pas de deux hat beste Chancen zum Kultstück zu avancieren. 

Ganz anders entfaltet sich Xin Peng Wangs Choreografie „Im Wald“ zur experimentellen Musik der jungen französischen Komponistin Camille Pépin. Schon im Vorgespräch mit den Tänzern wird deutlich, wie sie gemeinsam den Atem der Musik in Bewegung umsetzen, sie aus dem Innersten durch das intensive Training neue Bewegungen und Ausdrucksweisen entdecken und  entwickeln.

"Ballet 102" und "Im Wald" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Wilfried Hösl

Die experimentelle Musik hilft, sich „Im Wald“ zu entspannen, Energie aufzubauen und sich in Bewegungen hineinzufühlen. Die Fransen an den Hosenbeinen unterstreichen die Verwandlungen der Tänzer ins Florale und Animalische. Körper zucken, krampfen vibrieren, wachsen in weit ausholenden Bewegungen zu synchron linearen Mustern, verselbstständigen sich in individuellen Soli und entwickeln energetische Spannung zwischen dystopischer Stimmung und flirrendem Aufbegehren. Ein Pas de deux, lianenhaft verschlungen mit Flatterhänden, unterbricht unter wuchtiger Tonalität das Erscheinen eines Alphatiers, um das sich die anderen scharen, als Vogelschwarm zur lyrischen Musik einen lyrischen Mainstream entwickeln und in wunderbaren Gruppenkonstellationen die Magie der Natur lebendig werden lassen. So werden in den Soli narzisstische Störquellen oder das balsamierende Erblühen von Pflanzen als Chiffren für die menschliche Existenz erlebbar, in den Ensembletableaus die Schwarmintelligenz von Vögeln und die Harmonie gemeinsamer Rhythmen.

Es tanzen in anspruchsvollen Gruppenkonstellationen  mit individuellem Ausdruck Joaquin Angelucci, Arnau Redorta, Daniel Robertson-Styles, Hélian Potié, Lucas Praetorius und Tobias de Gromoboy.

Im Spannungsfeld beider Choreografien zeigt die Heinz-Bosl-Stiftung ein hochprofessionelles Profil, in den Interviews die respektvolle Atmosphäre gegenüber den jungen Künstlern. Ein Glück, wer hier als TänzerIn einen Ausbildungsplatz bekommt. 

Bis Ende Juli sind „Ballet 102“ und „Im Wald“ als Video on Demand im Programm 2 des Junior Balletts zu sehen. Man darf sich bereits auf ein drittes digitales Programm freuen.