Werner Herzog „Jeder für sich und Gott gegen alle – Erinnerungen“

Buchrezension Werner Herzog "Jeder für sich und Gott gegen alle" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Hanser Verlag, 2022

„Familien sind seltsame Kreaturen“, resümiert Werner Herzog und doch bestimmten seine Großeltern, weniger die Generation danach, ein „Totalausfall“, sein Leben. Die Mutter mit ihrer klaglosen „pragmatischen Willensstärke“ prägte ihn, einen durchaus unberechenbaren Jungen, der den Bruder mit dem Messer attackierte und sich von klein auf für Dinge außerhalb des Mainstreams interessierte. Schon als Bub wurde er im Haus, in dem er wohnte, mit dem irrsinnigen Jähzorn Klaus Kinskis konfrontiert, so dass ihn dessen Wahnsinnsattacken später nicht mehr besonders überraschten.

Mit 14 Jahren entdeckte Werner Herzog seine Berufung zum Katholizismus, von dem er sich bald wieder abwandte, mit dessen „Heilsgewissheit“ er aber schon mit 15 beschloss eine eigene Filmproduktion zu gründen, nachdem er bei einer Bewerbung bei einer Filmgesellschaft wegen seiner Jugend nur einen Lachanfall erntete. Trotz aller lebensbedrohlichen Schwierigkeiten, die sich bei seinen Filmproduktionen ergaben, wurde er kein Psychofall, sondern ein großartiger Filmemacher, für den die Psychoanalyse „zu den schrecklichen Fehlern des 20. Jahrhunderts“ zählte, denn die Seele muss nicht bis in die letzten Ecken ausgeleuchtet werden. 

Die Bilder, die er in der Jugend verinnerlichte, tauchen später immer wieder in seinen Filmen auf. Er lernte autodidaktisch, vor allem von den Fehlern der schlechten Filme und durch seine ungewöhnlichen Erfahrungen, ein Leben wie ein „Tanz auf einem Drahtseil“ mit außergewöhnlichen Unfällen und Verletzungen, jeder Menge exotischer Krankheiten und Bekanntschaften. Die Autobiografie ist „Pura Vida“, wie eines der 36 Kapitel heißt, lakonisch erzählt, nicht chronologisch, sondern kreuz und quer immer wieder mit Bezug zu den wichtigsten Filmepen „Aguirre, der Zorn Gottes“ und „Fitzcarraldo“. Er rückt die aufgebauschten Narrative seitens der Presse ironisierend zurecht und blickt mit Distanz auf seine Filme, die er trotz aller kritischer Reflexion und Opfer, die sie forderten, nicht bereut. Es ging ihm immer darum den Weg von Fakten über die reale Verwertung in der Realität zu durchleuchten, um die sogenannten Wahrheiten, die letztendlich nicht stimmen, als lancierte Narrative zu offerieren. 

Alleine hätte er diese Herkulesarbeit nicht geschafft. Immer wieder blendet Werner Herzog ein, was er seinen beiden Brüder Tilbert und Lucki und seinen Freunden verdankt. „Mit den Besten der Besten“ habe er zusammengearbeitet, so Werner Herzog. Kameramann Thomas Mauch und Techniker Joe Koechlin gehörten dazu und natürlich Klaus Kinski trotz seiner irrlichternden Tobsuchtsanfälle. Manche Freundschaft war angesichts der rasant abenteuerlichen und gefährlichen Dreharbeiten harten Proben ausgesetzt. Walter Saxer, langjähriger Produktionsleiter, der bis zu 60 Stunden durcharbeiten konnte, ging nach „Fitzcarraldo“ schließlich eigene Wege. Drei Jahre dauerte die Filmproduktion unter unsäglichen Naturbedingungen und lebensgefährlichen Verletzungen. Mit der Kettensäge schnitt sich ein Waldarbeiter aus der Crew sein Bein ab, als ihn eine Giftschlange gebissen hatte. Die meisten gaben innerlich auf, Werner Herzog nicht. Das 340 Tonnen schwere Schiff wurde tatsächlich im Amazonas über einen Berg gesetzt. Doch für Werner Herzog folgte ein schwieriges Jahr von Anfechtungen.

Er machte dennoch weiter. Was er sich vornahm, realisierte er, auch wenn es unmöglich schien. Selbst Opern inszenierte er, ohne Noten lesen zu können. Seine Schauspielrollen bekam er ohne jegliche Eigeninitiative angeboten. Immer weiter könnte er erzählen. Man hört beim Lesen regelrecht seine milde gelassene Stimme, die selbst in den grausamsten Momenten einen freundlichen Erzählduktus ausstrahlt. 

Doch der Tod der Mutter, nur kurz beschrieben, nimmt ihm viel Kraft, und ihm folgt das letzte Kapitel als düstere Vision vom „Ende der Bilder“, eine Welt, ohne reale Gegenstände, nur noch virtuelle Welten. Seine Metapher von zwei parallel aufgestellten Spiegeln, in denen sich nur noch das eigene Selbst spiegelt, ist gar nicht so weit von manch irren Heroen entfernt.

Werner Herzog „Jeder für sich und Gott gegen alle – Erinnerungen“, Hanser Verlag, München 2022, 335 S.