1960 zog Sylvia Plath nach London. Sie schreibt unermüdlich, wird zweimal Mutter. „Es ist, als ob mein Herz ein Gesicht aufsetzte und in die Welt hinausginge.“ Zwischen Leben schenken und häuslichem Stillgang und Gedanken an die Vergänglichkeit entfaltet Sylvia Plath ganz eigenwillige rätselhafte Sprachbilder, die sich mitunter erst nach mehrmaligem Lesen und vor ihrem biografischen Hintergrund erschließen. „Totgeboren“, das erste Gedicht weist die Richtung ins Dunkle und Depressive. „Diese Gedichte leben nicht: eine traurige Diagnose./ Dabei wuchsen sie gut, alle Zehen-und Fingertriebe./ Ihre kleinen Stirnen schwollen vor Konzentration./ Wenn sie es versäumten herumzulaufen wie Menschen, /Lag´s nicht an einem Mangel an Mutterliebe…“
In den Erinnerungen weisen selbst schöne Naturbilder immer Richtung Tod. „… Ich erinnere mich/An den toten Geruch von Holzhütten in der Sonne,/Die Steifigkeit von Segeln, die langen salzigen Leichentücher…“ Diese Zeilen sind aus dem letzten Gedicht „Unerklärlich“, passend zu ihrem Denken über die Welt.
Dazwischen oszillieren die Gedichte zwischen der Hinfälligkeit und Vergänglichkeit des Lebens und der Illusion der Liebe, wenn sie wie in „Vorfall“ schreibt. „Eine Berührung: Sie brennt und macht krank./Ich kann deine Augen nicht sehen…Das Dunkel zerrinnt. Wir berühren uns wie Krüppel.“
Schwangerschaft und Gebähren sind wichtige Themen. Freude über das „Kind“ klingt an. „Dein klares Auge ist das einzig vollkommen Schöne.“ Aber so positive Stimmungen sind rar. Die Natur erscheint bedrohlich „das Meer explodiert“, allegorisch „die Wüste ist weiß wie das Auge eines Blinden“ und die „Winterbäume“ erscheinen in einer „Anderweltlichkeit“, in der „Die feuchten Dämmerungstinten vollführen ihre blaue Überblendung. Auf ihrem Nebellöschpapier schienen die Bäume/Eine botanische Zeichnung – Wachsende Erinnerungen, Ring um Ring,/Eine Folge von Vermählungen.“. Die Natur bietet Weite, aber genauso wenig wie der Mitmensch Geborgenheit.
Die originären Sprachbilder, der rhythmisierend treibende Sprachduktus, von Übersetzerin Judith Zander gekonnt und sehr subtil ins Deutsche übertragen, verleihen der Verknüpfung des real Erlebten mit imaginierten Innenwelten auch in der deutschen Übersetzung eine außergewöhnlich energetische Kraft. Leben wird hier poetisch sublimiert und damit über die Reduzierung auf Bekenntnisliteratur auf das latent Empfundene geweitet.
Sehr zutreffend fokussiert Übersetzerin Judith Zander (*1980 Anklam, ehemalige DDR) „Anstelle eines Nachworts“ auf die Transformationsprozesse des Schreibens. Man kann Sylvia Plaths Gedichte nicht vom Tod aus interpretieren, denn als sie diese schrieb, war sie noch am Leben und voller Energie. Letztendlich entsteht durch die Metamorphose des Realen ins Poetische etwas Neues, etwas, was bleibt. Judith Zander moniert zurecht die zeitliche Einteilung dieses Lyrikbands in „späte Gedichte“. Bei den drei letzten Schaffensjahren einer Dichterin, die nur 30 Jahre alt wurde, kann man nicht von einem Alterswerk sprechen, textintern korrigiert von der letzten Verszeile im letzten Gedicht „…Das Herz steht nicht still“. Nichts hat in diesen Gedichten mit „spät“ zu tun. Die konträren Stimmungen und Bilder sind von Anfang an die Basis von Sylvia Plaths Lyrik. Für die LeserInnen geht es letztendlich nicht darum, was die Gedichte für Sylvia Plath bedeuteten, sondern in welcher Art sie die Verse berühren. „Hier ist mein Sohn./Sein weites Auge hat das gewöhnliche, flache Blau./Er dreht sich zu mir wie eine kleine blinde, leuchtende Pflanze./Ein Schrei. Es ist der Haken, an dem ich hänge.“ Das sind schon sehr starke Bilder.
Sylvia Plath „Das Herz steht nicht still“, Suhrkamp Verlag 2022, 210 S.