Paul Mason „Faschismus – Und wie man ihn stoppt“ 

Buchrezension Paul Mason "Faschismus" präsentiert von ww

©edition suhrkamp, 2022

Unsere Generation kann sich nicht mehr herausreden nichts vom Faschismus zu wissen. Doch trotz der schrecklichen Erfahrungen im 20. Jahrhundert, flammt Rassismus allerorten auf. Durch die vernetzten Medien ohne gesetzliche Regelungen wird er schnell zum Flächenbrand.

Paul Masons Buch „Faschischmus – Und wie man ihn stoppt“ ist ein unbedingtes Muss, um die Strukturen und die Prozessentwicklung des Faschismus zu verstehen. Sehr klar und verständlich, präzise benannt und sehr vielseitig belegt deckt Paul Mason die Struktur des Faschismus auf. Er zeichnet dessen historische Entwicklung im 20. Jahrhundert nach und zeigt Widerstandsmöglichkeiten durch eine „Wehrhafte Demokratie 2.0“.

An aktuellen  Beispielen wie dem Hindunationalismus eines Narendra Modi, dem queerfeindlichen Kurs bestimmter osteuropäischer Regierungen oder den Lügen Donald Trumps und Jair Bolsenaros zeigt Paul Mason, dass immer noch die gleichen Muster wie zu Zeiten des Nationalsozialismus den Faschismus kennzeichnen. Zwar ist die Milizpartei nicht mehr von Bedeutung, aber faschistische Symbole, die oft nur Insider erkennen, die psychologische Angstmache vor sozialem Abstieg und vor Fremden, ethnische Überlegenheit und Mythosbildung sind mit dem Ziel derAnstiftung zur Gewalt immer noch präsent. Die Kommunikation ist heute nicht mehr hierarchisch von oben nach unten, sondern durch die anonyme mediale Vernetzung in alle Richtungen möglich, ohne dass jemand konkret in die Verantwortung genommen werden kann.   

Paul Mason enthüllt wie die faschistischen Thesen und Theorien Carl Schmitts immer noch wirken, wie Alain de Benoists „Manifest der europäischen Renaissance“, in der die Idee von der weißen paneuropäischen Vision wieder aufleuchten lässt, oder wie Nietzsche den Übermenschen propagiert und die Gewalt der Elite rechtfertigt. „Der Mann soll für den Krieg erzogen werden und das Weib zu seiner Erholung des Kriegers; alles andere wäre Torheit“. Alte und neue Mythen werden gepflegt wie „die Theorie vom großen Austausch“, bei dem Einwanderer die weiße Rasse ablösen, was einem Genozid der weißen Rasse gleichkommt. Hauptfeind Nummer Eins ist und bleibt der Liberalismus, aber auch der „Kulturmarxismus“ seitens der Linken, die Zuwanderung und sexuelle Diversifikation zulässt. Ideologien werden über Onlineportale verbreitet, eventuell über symbolische Gewalttaten oder Auftritte auf die Katastrophe „am Tag X“ zu warten, um das System endgültig zu ändern und eine ethnisch reine Gesellschaft zu etablieren. Alte Vorurteile bekamen durch die AfD eine neue logische Struktur, die man verstehen muss, um dagegen vorgehen zu können. Faschisten argumentieren nicht rational, sondern emotional über Mythen und kollektive Solidarität. Sie nutzen gegenwärtige Krisen, um die Unzufriedenen und Enttäuschten auf eine neue Heilsideologie einzuschwören und ihnen das Gefühl der schlagkräftigen Gemeinschaft zu geben. Faschismus ist ein Prozess des gesellschaftlichen Zusammenbruchs, der den Menschen durch Lügenmythen eine neue Heimat und Geborgenheit gibt, was Paul Mason nicht zu Unrecht mit dem „Redpilling“ aus dem Film „Matrix“ vergleicht. Die Wirklichkeit wird aus dem Bewusstsein verdrängt, eine neue Realität vorgeschoben. Fünf simultane globale Krisen befördern diesen Prozess,  das Versagen des kapitalistischen Wirtschaftssystems, Vertrauensverlust der Politik in die Gesellschaft, die digitalen Kontrollsysteme, Missbrauch der Macht und die Klimakatastrophe.

Der Neoliberalismus ist kaputt, was am deutlichsten an der Null-Verzinsung der Staatsanleihen sichtbar wird. In den 1960er und 1970er Jahren kam man durch Arbeit zu Wohlstand, später immer mehr durch Kredit-, Aktien-, Immobiliengeschäfte. Durch die exponentielle Entwicklung der Digitalisierung beschleunigten sich Tempo und Absplitterungen, entstanden Monopolisierungen und Kontrollsysteme durch Apps. Die Freiheit des Internets, Paradebeispiel ist der ägyptische Frühling, verwandelte sich in App-Gefängnisse mit Überwachungsstrukturen. Durch Desinformationen, Doxxing, Bots und Trolls wird die Demokratie immer stärker manipuliert einhergehend mit einem zunehmenden Vertrauensverlust durch rechtsextremistische Gruppierungen in den Medien. Der Kapitalismus muss, wie China beweist, nicht mit demokratischen Systemen korrelieren. Aber Tatsache ist, dass sich die Reichen im kapitalistischen Neoliberalismus nicht einschränken lassen wollen, sondern durch innerparteiliche Säuberungen und internationale Bündnisse wie im Rahmen der EU „vor demokratischen Anfeindungen schützen“. Trumps Aufstieg war ein Beispiel für raffiniert inszenierten medialen Populismus mit faschistischen Folgen. 

Die größte Bedrohung ist nach Paul Mason der Klimawandel. „Wir brauchen eine Demokratie, in der nicht der Markt alles bestimmt, sondern nach den Bedürfnissen der Menschen agiert wird.“ Allerdings geht er auf den Ökofaschismus, genährt von der Klimakrise, nicht näher ein und resümiert aber kühn. Der Mensch ist die Ursache und muss deshalb dezimiert werden. 

Am interessantesten ist Paul Masons tiefgründige Darstellung des Faschismus zwischen den beiden Weltkriegen in Europa. Ausgehend von der Weißen Armee in Russland zeigt er nicht nur Mussolinis und Hitlers Werdegang auf, die Unterschiede der französischen und spanischen Linken, sondern auch die Argumentationen und Bezüge zu den geistigen Theoretikern von Linz, Payne, Gentile bis Freud und Jung. Immer wieder resümiert Paul Mason, wie man den Faschismus hätte vermeiden können, stößt dabei ständig auf die Zerstrittenheit und das Klassendenken der Linken.

Zehn, sehr nachvollziehbare Prozessstufen des Faschismus entwickelt Paul Mason. Zunächst zersplittert die herrschende Elite. Es erfolgen Bedrohungszuweisungen und die Rebellion von Gruppierungen. Ein Kulturkrieg gegen Koalitionen entfacht. Die Parteien zersplittern ebenfalls. In der Mittelschicht bricht Panik aus. Die Rechtsstaatlichkeit beginnt sich aufzulösen. Durch das Festhalten an alten Konzepten fühlen sich Progressive wie gelähmt. Statt den Rechtspopulismus einzudämmen wird er zur Einstiegsdroge und schließlich protegiert die wirtschaftliche Elite die Faschisten. Nicht nur Trump und Bolsonaro machen es vor. Der Faschismus lauert überall, wo gesellschaftliche Schichten  bereits sehr fragmentiert, religiöse und ideologische Grundlagen zunehmend zerstört sind. Der Klimawandel wirkt zusätzlich als Zeitbombe. Statt Juden werden Identitäten People of Color, Frauen zur Zielscheide des Faschismus, der nach wie vor männliche Dominanz auf seine Fahnen geschrieben hat. 

Dagegen hilft nur eine breite Volksfront, die von unten nach oben aufgebaut Hoch- und Massenkultur verschmilzt, durch Kooperation aller Parteien, klare förmliche Vereinbarungen und allseitige Kompromissbereitschaft gegen die Faschisten agiert.

Für Paul Mason ist es höchste Zeit jetzt nach Corona die Demokratie neu zu konfigurieren. Seine „wehrhafte Demokratie 2.0“ muss den Mut haben durch Taktik in eine neue Ethik zu kommen, dazu gehören auch Verbote von Demonstrationen, die strafrechtliche Verfolgung von Faschisten und ein konsequentes, rechtlich abgestütztes Vorgehen in den Medien. Die Betreiber von Portalen sollten als Verleger eingestuft und damit für die Inhalte verantwortlich gemacht werden, um das „Ökosystem des Hasses auszumerzen“.

Buchrezension Paul Mason "Faschismus" präsentiert von ww

©edition suhrkamp, 2022

Paul Mson wurde 1960 im Nordwesten Englands geboren. Er ist Autor, Aktivist und vielfach ausgezeichneter Fernsehjournalist. Er arbeitete lange für die BBC und Channel 4 News. Er schreibt regelmäßig für den „Guardian“. Sein Buch „Postkapitalismus“ war weltweit ein Bestseller. „Klare, lichte Zukunft“ wurde 2020 mit dem Erich-Fromm-Preis ausgezeichnet.

Paul Mason „Faschismus – Und wie man ihn stoppt“ , editon Suhrkamp Sonderdruck Berlin 2022, 443 S.