©Michaela Schabel
Man braucht Zeit, um den Gehalt dieser Ausstellung zu erforschen. „Arbeit am Gedächtnis“ bedarf der Konzentration, zumal sich die Geräuschpegel von Videos und Musik überschneiden und bei einigen Projekten wie Eduardo Molinaris Vernetzung von Kolonialverbrechen, Landnahmen und Klimawandel in Patagonien die bereitgestellten Informationstexte Voraussetzung sind, um die beabsichtigten Zielsetzungen einordnen und reflektieren zu können. Das ist keine Ausstellung, von der man sich durch ein paar Blicke inspirieren lässt, sondern intellektuelle Arbeit.
Die Themenkreise, mit linearen Grafiken plakativ verbunden, strukturieren die unterschiedlichen Arbeiten in den einzelnen Räumen. Die Besucher empfängt Candice Breitz im ersten Raum mit 1001 versiegelten VHS-Kassetten mit einer Art Memento Mori. Wie Minisärge wirken sie, ordentlich aufbewahrt und sortiert auf schmalen Regalen, um bewusst zu machen, wie Kassetten versiegelt, dennoch lebendig, unser Bildgedächtnis beeinflussen.
Alexander Kluges Rauminstallation „Das Gedächtnis arbeitet an uns“ fokussiert über einen Panoramaturm auf sechs Videos, die jeweils über ein Guckloch zu sehen sind. Man muss ganz nahe herangehen, sich ganz darauf einlassen, um die vielseitigen Anspielungen und mediengelenkten Manipulationen erfassen zu können.
Der Besucher erlebt u.a. im Großformat dreier nebeneinander geschalteter Projektionsflächen Cemile Sahins essayistischer Filminstallation von Saddam Husseins Heroisierung über den monumentalen Triumpfbogen der 43 Meter langen „Schwerter von Kadesia“ bis zum Abstieg eines verfolgten, sich versteckenden Diktators.
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Die kurdische Künstlerin Cemile Sahin versucht mit „Bad People, Bad News“ den Blick auf die raffinierten Symbiosen von imperialistischer Machtbekämpfung zu lenken und gleichzeitig auf die Verwendung westlicher Methoden zur narzistischen Selbstdarstellung. Mit dem Resümee „Wenn es zu Ende geht, kehren wir nach Hause“ kombiniert mit Nietzsche Zitaten aus seinem berühmten Gedicht „Vereinsamt“ spürt sie dem melancholischen kollektiven Gedächtnis nach, das die eigene Unterdrückungsgeschichte sentimentalisiert, statt der Opfer den Täter heroisiert und damit historische Erinnerung manipuliert.
Sehr interessant ist die Erinnerung direkt über das Werk. Das Archiv wird dabei Ressource und Methode. In ausgewählten Objekten, Kunstwerken und Entwürfen kristallisieren 15 KünstlerInnen die „Arbeit am Gedächtnis“ zwischen individuellem und kollektivem Gedächtnis heraus, was sich zugleich als Triebfeder kreativen Schaffens entpuppt. Walter Benjamin schreibt in einem seiner Manuskripte über das Gespür vom „Ausgraben und Erinnern“. Es kommt gar nicht so sehr auf das Gefundene an, sondern vor allem auf den Kontext, die Schichten darüber und auf die direkte Verortung. Bertolt Brecht fordert bezüglich des Reichsadlers am Schiffsbauerdamm einfach „Den machen wir weg, indem wir ihn durchstreichen“. Der Schrecken der Reichskristallnacht 1938, „Eigentlich kann man das in Musik nicht ausdrücken“, lässt Ursula Mamloks Komposition für Altsaxophon und Piano dennoch in langgezogenen Tonharmonien, die plötzlich ins Dissonante abgleiten, erleben. Christa Wolf schreibt „Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen.“ Und Edgar Reitz, Filmregisseur von „Heimat – eine deutsche Chronik“, kommentiert „Wenn wir Filmmaterial montieren, leisten wir Erinnerungsarbeit“. Wie stark der Erinnerungswert ist, symbolisiert Heiner Müllers Unterschrift auf einem 10-Mark-Schein am Tag der Wende. Von einem Tag auf den anderen, war die Preisbindung verloren gegangen, beginnt eine ganz neue Art des Wettbewerbs. Erinnerung ist das, was im Nachhinein erzählenswert bleibt.
Zu den beeindruckendsten Arbeiten gehört Robert Wilsons Auftragsarbeit für diese Ausstellung, „Suzushi Hanayagi: Dancing in my Mind.“ In 8-fachen Spiegelungen in zwei dunklen Räumen rückt er die japanische Tänzerin und Choreografin, mit der er Jahrzehnte zusammenarbeitete, in den Mittelpunkt. Sie lebte inzwischen schwer an Alzheimer erkrankt in einem Altenheim in Osaka. Nur an das Tanzen kann sie sich noch erinnern und darüber noch etwas kommunizieren. „Ich tanze im Geiste “ flüsterte sie ihrem Lebensgefährten Robert Wilson beim Abschied ins Ohr. Er zeigt nur ihr altes, wissendes, traditionell weiß geschminktes Gesicht zur Musik von sich selbst und David Byrne, auch ihre Handbewegungen, über die sie gemeinsam kommunizierten. Immer wieder durchbrechen Schreie die Szenerie. Es könnte der Junge sein, der mit Verletzungen anfangs kurz eingeblendet wird. Diese Hommage an das Gedächtnis zwischen Elend und Glück vergisst man nie wieder.
©Michaela Schabel
Mitwirkende KünstlerInnen sind Miroslaw Bałka, Candice Breitz, Ulrike Draesner, Arnold Dreyblatt, Thomas Heise, Susann Maria Hempel, Alexander Kluge, Eduardo Molinari, Matana Roberts, Cemile Sahin, Cécile Wajsbrot, Jennifer Walshe und Robert Wilson.
Die KuratorInnen führen sonntags um 12 Uhr durch die Ausstellung. Weitere Führungen bieten wir dienstags und donnerstags um 17 Uhr an. „Arbeit am Gedächtnis – Transforming Archives“ in der Akademie der Künste am Pariser Platz ist noch bis 19. September zu sehen. Zur Ausstellung ist eine ausführliche Publikation mit 90 Abbildungen erschienen, die die „Arbeit am Gedächtnis“ archiviert.