Straubing – Musical „Doktor Schiwago“

Musicalkritik "Doktor Schiwago" präsentiert von schabel-kultur-blog.de

Nach der Deutschlandpremiere des „Doktor Schiwago“-Musical  2018 in der Neuen Oper Leipzig sorgt jetzt  Straubinger Crazy Musical Company e.V.  für Herzschmerz und Begeisterung. Wie bereits in der Regensburger Uraufführung der Opernversion rückt  im Gegensatz zu der berühmten David-Lean-Verfilmung mit Omar Sharif (1965), die Musicalversion (Buch Michael Weller)  unter der Regie von Andreas Wiedermann die politische Zeitenwende in den Vordergrund.

Doktor Schiwago heiratet Tonia, die Tochter seiner Pflegeeltern. Im Ersten Weltkrieg lernt er  die Krankenschwester Lara kennen, die Frau des Revolutionärs Pascha. Systeme brechen zusammen, doch die Liebe wächst. Zwischen den Fronten siegt die Hoffnung auf das menschlich Gute.

Die Musik der US-amerikanischen Komponistin Lucy Simon orientiert sich an Boris Pasternaks  25 Gedichten, die er während des Romanschreibens verfasste und die Basis für Michael Korie und Amy Powers  Songtexte bilden. Für sich gelesen bilden sie den Plot des Romans, gesungen verdichten in ihnen die emotionalen Entwicklungen.  Weisen die Melodien anfangs noch russisch folkloristische Akzente wandeln sie  sich mit den großen Gefühlen der Liebeskonstellation in allzu bekannten amerikanischen Musical-Sound. Allein in den Revolutionsszenen hämmern Trommeln und  Schlagwerke im Stil von Schostakowitsch  „Leningrader Sinfonie“, die unter dem schwungvoll dynamischen Dirigat Marin Wutz´ des 15-köpfigen Orchesters kraftvoll zur Wirkung kommen.

Für Tanz bleibt in diesem Balladen-Konzept wenig Raum, den Choreografin Elisabeth Margraf in erster Linie recht geschickt für expressive Revolutionsszenerien nützt. In der der Studentenkneipe klingt russische Folklore an, mit angedeuteten Kasatschockbewegungen flott vertanzt. Nur die Krankenschwestern dürfen bei Kriegende mit flatternden weißen Leinentüchern herumtanzen und Schiwago und Lara  in wenigen Tanzschritten ihre Liebe spüren. Ansonsten ist ausgetanzt. Das revolutionäre Marschieren dominiert die Minichoreographien, während die Frauen der neuen Arbeiterklasse rhythmisch die  Spitzhacke schwingen.

Unter der Regie von Andreas Wiedemann entwickelt Jürgen Bergbauer stimmungsvolle Bühnenbilder, durch historische Projektionen auf den Seitenflügeln erweitert und die Bühne zum historischen Guckkasten vertieft, in den durch die große Fensterscheiben im Hintergrund das Volk, ausgesperrt, auf die russische Hautevolee gafft, die Rotarmisten eindringen, um alles zu zerstören, die Lichtstimmungen fluten und die Schneeflocken an die sibirische Kälte fühlbar machen. In spannender Schnelligkeit  oszilliert die Bühne zwischen Palais und Revolution, brutalen Szenen der Macht und zarten Liebesbegegnungen. Unter der exakten, sehr bewegungsorientierten und ästhetischen positionierten Personenregie Andreas Wiedermanns leistet das Ensemble, bis auf Alen Hodzovic in der Titelrolle mit Laien besetzt, Großartiges. Lisa Montag (Lara) , Stephanie Lorenz (Tonia) und Daniel Edenhofer (Pascha) meistern die tragenden Rollen gesanglich und ausdrucksmäßig mit Bravour. Unter den Nebenrollen sticht Theresa Lukas durch ihre durchdringende Stimme, Bewegungstalent und charismatische Ausstrahlung hervor.