Berlin – Richard Strauss’ Oper „Intermezzo“ grandios inszeniert an der Deutschen Oper Berlin

Opernkritik Richard Strauss "Intermezzo" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Deutsche Oper Berlin, Foto: Monika Rittershaus

Die Geschichte ist in der Tat simpel, aber auch entsprechend zeitlos. Ein Ehestreit eskaliert, weil er, der Kapellmeister Storch, schon wieder zwei Monate auf Reisen geht und seine Frau sich vernachlässigt fühlt. Ihn nervt ihre übertriebene Fürsorglichkeit und Überbewertung ihrer häuslichen Aufgaben. Es zählt allein seine „Kopfarbeit“. Während er von Konzert zu Konzert reist, lacht sie sich einen jungen Baron an, von dem sie sich allerdings, als er sie um Geld bittet, schnell wieder distanziert. Als ihr dann noch der Brief von einer Mieze Maier an ihren Mann in die Hände fällt, liegen ihre Nerven blank, dann auch seine, als sie die Scheidung will. Der Brief erweist sich als Missverständnis. Er war an den Musikerkollegen Stroh gerichtet. Beide haben dazu gelernt und die Liebe flammt neu auf. Ein echtes Happyend! 

Diese Alltagsgeschichte in 13 Szenen mit musikalischen Intermezzi verwandelt Regisseur Tobias Kratzer in ein schickes, überaus flottes Querformat unserer Zeit. Wie in einem Designkatalog wechseln die Bühnenbilder in minimalistischer Optik, eingerahmt von einem warm leuchtenden Orangebraun. Fünf Stufen, ein Sofa und eine Garderobenstange genügen, um herrschaftliches Umfeld unserer Zeit zu suggerieren, mehr noch die seelischen Befindlichkeiten zwischen Einsamkeit und Suche nach emotionaler Nähe. Im Mittelpunkt stehen die Personen, grell überzeichnet als amüsant sympathische Typen angelegt. Parallel geben vorprojizierte Videos einen voyeuristischen Einblick, was den Ehemann tatsächlich umtreibt, seine jeweilige Partitur im Taxi und später das Damoklesschwert der Scheidung im Flieger gebeutelt vom Sturm und Gewitter.

Im minimalistischen Umfeld amüsieren groteske Übertreibungen. Christine, die frustrierte Ehefrau, kompensiert ihre Liebessehnsüchte als große Verführerin mit opulenten Kostümen, was ihre desolate Lage nur verschlimmert und erkämpft sich beim Notar mit einer Axt ihr Scheidungsrecht, durch mächtige Schlagschatten eine herrlich bizarre Slapstickszene.

Doch das absolute Novum ist, dass über zwei Live-Kameras Sir Donald Runnicles mit dem Orchester während der Intermezzi zu sehen ist, wodurch Strauss‘ sinfonisch sehr komplexe Komposition mit ihren Klangfinessen, zuweilen gegenläufigen Rhythmuswechseln und zahlreichen musikalischen Zitaten vom Tristan-Akkord bis zum Wiener Walzer noch viel intensiver erlebt werden kann.

Opernkritik Richard Strauss "Intermezzo" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Deutsche Oper Berlin, Foto: Monika Rittershaus

Und wenn zuweilen der Bühnenkapellmeister Storch, alias Philipp Jekal, das Orchester kurz dirigiert, gelingt eine Neudeutung der Oper weg von der autobiografischen Eifersuchtsgeschichte hin zum Künstlerporträt von Richard Strauss, der in „Intermezzo“ seinen schwierigen Standpunkt zwischen Beruf und Privatleben, musikalischer Leidenschaft und Verpflichtungen als Ehemann thematisiert, auch wenn seine Frau im Mittelpunkt des Librettos steht, die einzige tiefgründig angelegte Partie, deren Achterbahn der Gefühle das Orchester spiegelt.

Dass sich in dieser Inszenierung der Flirt mit dem Baron zur Affäre weitet ist dem heutigen Zeitgeist und nicht zuletzt der dramaturgischen Spannung geschuldet. Maria Bengtsson interpretiert Christine als Frau mit vielen Nuancen. Ob keifend, flirtend, verführerisch, gebieterisch, fürsorglich, mütterlich, realistisch oder grotesk, sie wirkt immer szenenauthentisch und sorgt durch ihre große Bühnenpräsenz für die dramaturgische Balance. Entsprechend chargiert sie je nach Situation zwischen schriller und weicher Artikulation. Nahtlos wechselt sie zwischen Arien und Parlando. Mühelos besingt sie in höchsten Tonlagen das Leid Christines als „verlassene arme Frau“. So öffnet sie den Blick auf den Archetypus einer sich ständig selbst bespiegelnden, unzufriedenen Frau, die im Grunde tut, was sie will, aber ihrem Mann dieselbe Handlungsfreiheit nicht zugesteht.

Philipp Jekal kontrastiert als Hofkapellmeister das Temperament seiner Frau mit gelassener Ruhe und setzt in seinem wesentlich kürzeren Part schöne Klangakzente. Thomas Blondelle macht aus dem Baron Lummer einen sympathischen Bon Vivant unserer Tage mit kräftigem Stimmvolumen und sehr guter Textverständlichkeit. 

Das Orchester brilliert rasant auf Augenhöhe. Unter der Leitung von Sir Donald Runnicles entfaltet es wunderbare, sehr konträre Klangräume mit lyrischen und apokalyptischen Passagen, in denen Schönklang an Dissonanzen zerschellt, subtile Intimität auf expressive Gewitterstürme trifft, jede psychische Reaktion des Bühnengeschehens sich in Musik verwandelt und Strauss‘ Zitate durch die Musikgeschichte sehr klar herauskristallisiert werden. 

Künstlerisches Team: Sir Donald Runnicles (Musikalische Leitung), Tobias Kratzer (Inszenierung), Rainer Sellmaier (Bühne, Kostüme), Stefan Woinke (Licht), Jonas Dahl, Janic Bebi (Video), Jörg Königsdorf (Dramaturgie)

Mit: Philipp Jekal (Hofkapellmeister Robert Storch), Maria Bengtsson (Christine, seine Frau), Elliot Woodruff (Franzl, ihr kleiner Sohn), Anna Schoeck (Anna, Kammerjungfer), Thomas Blondelle (Baron Lummer), Clemens Bieber (Kapellmeister Stroh), Markus Brück (Notar), Nadine Secunde (Frau des Notars), Joel Allison (Commerzienrat), Simon Pauly (Justizrat), Tobias Kehrer (Kammersänger) und dem Orchester der Deutschen Oper Berlin