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Mao Zedong schuf mit seiner kommunistischen Revolution die Basis für einen kompletten Systemumschwung und Neuanfang. Doch die kommunistischen Reformen, der„Große Sprung“ und später die „Kulturrevolution“ mutierten zur Schreckensherrschaft, verstärkt durch entsetzliche Hungerkatastrophen.
Unter der Öffnungspolitik seines Nachfolgers Deng Xiaoping gelangen Schritt für Schritt die ersten ökonomischen Erfolge. Über die Wirtschaftssonderzonen entwickelte er eine neue Reformstrategie, in der Sozialismus und Kapitalismus sich nicht gegnerisch gegenüberstanden, sondern synergetisch verbunden wurden. Ziel war ökonomische Effizienz. Kritische Stimmen wurden weiterhin rigide bekämpft. Den desaströsen 4. Juni 1989, als Hunderte von Demonstranten von Panzern niedergeschossen wurden, strich man aus dem kollektiven Gedächtnis. Viele Intellektuelle, in der konfuzianischen Tradition immer „das Gewissen der Nation“ mussten und müssen immer noch ins Ausland fliehen. Mit Xi Jinping wurde die Lage noch problematischer, als er sich per Gesetzesänderung zum Alleinherrscher kürte.
Er tritt nicht bescheiden wie sein Vorgänger auf, sondern ausgesprochen selbstbewusst und provokativ. Sein „Modell China“, eine Kombination von Wirtschaftswunder und politischer Stabilität, sieht er als interessantes Vorbild für andere Länder. Mit Flexibilität und erstaunlichem Erfolg zielt „Made in China“ 2025 auf die Weltposition von zehn wichtigen Schlüsselindustrien. Chinas smarte Kontrollsysteme sind Exportschlager, wurden durch die Pandemie noch mehr in der Gesellschaft verankert.
Naß gibt aber auch den Wundstellen Chinas viel Raum. Die kommunistische Indoktrination der Uiguren in Xinjiang enthüllt er als „chinesischen Gulag“, als „Labor des totalen Überwachungsstaates“. An der rigorosen Eingliederung Hongkongs wurde die Formel „Ein Staat zwei Systeme“ ad absurdum geführt und zu einer Warnung für Taiwan. Sie verhalf Staatspräsidentin Tsai Ing-wen durch ihre schlagkräftige Parole „Heute Hongkong, morgen Taiwan!“ zu einer Wiederwahl. Sie gilt als Bürgin von Taiwans Souveränität und beweist, dass Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und sozialer Fortschritt durchaus funktionieren. Wenn Taiwan demokratisch sein kann, wäre das für China genauso möglich. Stattdessen giert China nach Taiwan, um es sich einzuverleiben.
Wie imperialistisch China vorgeht, beweist die Seidenstraße. Sie ist Pekings Vision einer Globalisierung durch gigantische Infastrukturen mit chinesischen Vorzeichen. Die BRI, Belt and Road Initiative, ist bislang das größte diplomatische Großprojekt des 21. Jahrhunderts und wiederholt Englands „Gläubiger-Kolonialismus“ auf der Basis einer Schuldenfallen-Diplomatie. wodurch ärmere Länder bei Verschuldung gezwungen werden strategisch bedeutsame Standorte 99 Jahre lang China zu überlassen. Xi Jinping köderte EU-Länder, zuerst Griechenland, dann Ungarn und Italien und vertiefte die Spaltung Europas, deren einzige Konstante ihre Zaghaftigkeit ist. Erst 2020 begann die EU mit dem „Weißbuch für faire Wettbewerbsverhältnisse“ der einseitigen Wirtschaftspolitik Widerstand zu leisten.„Europa muss die Sprache der Macht lernen“, so Ursula von der Leyen.
Genauso kritisch skizziert Naß die deutsche Chinapolitik in ihrer “Menschenrechts-Wurstigkeit“. Erst nach dem Verkauf von Kuka, dem weltweit führenden Roboterunternehmen, stoppte man den Ausverkauf weiterer deutscher Schlüsselindustrien und Kanzlerin Merkel musste sich „von ihrem überhöhten China-Bild verabschieden und sich der Realität stellen“.
„Eine politische Abwendung Deutschlands von Amerika zugunsten Chinas wird es nicht geben“, resümiert Naß, trotz der „Rivalität mit Amerika“, die er im vorletzten Kapitel parallel zu Chinas Aufstieg aus Sicht der Amerikaner darlegt. Er beginnt mit der spürbaren Entfremdung Chinas während der 56. Münchner Sicherheitskonferenz 2020 und lässt dann die Geschichte der Annäherung Amerikas passieren, die zu diplomatischen und ökonomischen Beziehungen führte, ohne dass die Waffenlieferungen nach Taiwan bzw. Chinas Menschenrechtsverletzungen gestoppt wurden. Amerikas Strategie „Einbindung statt Eindämmung“ änderte sich mit Xi Jinping. Die Vision „Chimerika“ wich einem Tech Cold War und einem Wettrennen um die digitale Weltherrschaft. Die USA sorgen durch ihre Präsenz im Pazifikraum für die Aufrechterhaltung der Machbalance der beiden ideologischen Systeme.
Die Rechnung des Westens, China werde mit zunehmendem Wohlstand sich in die liberale Weltordnung einfügen ging nicht auf. China wurde mächtig, ist aber alles andere als ein Sehnsuchtsort. „Amerika hat Verbündete, China nur Kunden“, so Naß. Der Fortschritt ist groß, doch 100 Millionen Menschen leben immer noch in Armut und das rigide System ist politisch eine Rückwärtsbewegung. Xi Jinpings Alleinherrschaft ist für Naß ein Irrweg. Gleichzeitig räumt er ein, dass China immer wieder durch flexible Kurskorrekturen erstaunt hat.Die Entwicklung Chinas wird uns jedenfalls weiterhin staunen lassen. Wie abhängig wir inzwischen von China sind, zeigen die wirtschaftlichen Verflechtungen nicht nur in der Autoindustrie.
Dass Chinas Hegemonialstreben nicht auf Weltherrschaft, sondern nur auf den asiatisch-pazifischen Raum zielt, wie Naß schreibt, erscheint fragwürdig. Wer künftig die digitale Macht in den Händen hat, verfügt über die absolute Daten-, Kommunikations- und soziale Kontrolle, beherrscht Wissenschaft und Forschung. Kombiniert mit einem didaktorischen System sind Huxley-Visionen assoziierbar.
Matthias Naß, 1952 in Bad Bevensen geboren, studierte Geschichte, Sinologie und Politologie in Göttingen, Honolulu und Hamburg.
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Nach der Ausbildung zum Journalisten in der Henri-Nannen-Schule arbeitete er für die Wochenzeitung „Die Zeit“ im Ressort Politik. 1990 wurde er stellvertretender Ressortleiter der Politikredaktion, von 1994 bis 1997 Redaktionsdirektor, von 1998 bis 2010 stellvertretender Chefredakteur, dann internationaler Korrespondent und Mitbegründer, später wissenschaftlicher Leiter der „Zeit Akademie“.
Naß war von 1978 bis 1982 Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Asien und Herausgeber der Zeitschrift „Asien“. Er ist Vizepräsident des Deutsch-Japanischen Zentrums Berlin.
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Matthias Naß „Drachentanz – Chinas Aufstieg zur Weltmacht und was er für uns bedeutet“, C. H. Beck Verlag, München 2021, 320 S.