©S. Fischer Verlag, 2023
Für Lea Bonasera ist der friedliche Widerstand „die wichtigste Entwicklung des 20. Jahrhunderts.“ Als Wissenschaftlerin und Teilnehmerin an vielen Protestaktionen kennt sie Theorie und Praxis. Sie weiß, wie man sich fühlt bespuckt, beschimpft, diffamiert und kriminalisiert zu werden. Trotzdem ließ und lässt sie sich nicht einschüchtern. Die Basis für ihr Selbstbewusstsein bilden die Erkenntnisse, die sie als Wissenschafterin bei ihrer Doktorarbeit über den friedlichen Widerstand gewann. Durch 67 Länder ist belegt, dass friedlicher Widerstand maßgeblich hilft Diktaturen zu stürzen, Demokratien zu stabilisieren, zu stärken und Transformationen schneller anzustoßen.
Die Kombination von globalen Forschungsergebnissen und praktischen Erfahrungen machten sie zu einer überzeugten Anhängerin des friedlichen Widerstands. Ein grundlegendes Problem der heutigen Demokratie sieht sie in der ungleichen Einflussnahme bei politischen Entscheidungen. Über 6000 Lobbyisten in Berlin haben mehr Einfluss als viele bürgerliche Initiativen. Dazu kommen die oft einseitigen Berichterstattungen der Medien und die Diffamierung durch die sozialen Netzwerke.
Mit dem Wissen einen globalen Wissenschaftsbereich hinter sich zu haben, fühlt sich Lea Bonasera als „Zwergin“, wie sie sich im Buch nennt, aber trotzdem so sicher, dass sie glaubt, gegen die politisch Mächtigen etwas bewirken zu können. Sie beschreibt sich als „ehrlich“ und „gründlich“, was ihr Buch auch vermittelt. Sie gibt Einblick, wie „Lost Generation“ Projekte plant, die TeilnehmerInnen durch Friedenstraining geschult werden in schwierigen Situationen ruhig zu bleiben, verständnisvoll, vielleicht sogar humorvoll statt aggressiv zu reagieren und dadurch den zivilen Widerstand als Methode verstehen lernen. Durch friedliches Verhalten wird ganz gezielt politische Gewalt provoziert, um die Machtträger bloßzustellen. Analog zur asiatischen Kampfsportart spricht Lea Bonasera von einem „politischen Jiu Jitsu“ und verweist immer wieder auf die historischen Vorbilder im Friedenskampf wie Ghandi, King, Mandela und den friedlichen Widerstand auf Helgoland nach dem Zweiten Weltkrieg, die Anti-Atom-Demonstrationen der 70er Jahre und die Montagsmärsche in der DDR Ende der 80er Jahre.
Für Lea Bonasera sind „die Säulen der Unterstützung“ sehr wichtig, sprich die Kommunikation mit den Glaubensgemeinschaften, Gewerkschaften, Schulen, Universitäten und Polizei, was aber im Spannungsfeld von Dialog und Widerstand, gemeinsamem Wollen und Sich-nicht-vereinnahmen-lassen sehr schwierig ist. Nicht minder wichtig ist die Beteiligung möglichst vieler unterschiedlicher Menschen. Das Thema Ohnmacht, das sie bezüglich der Klimakrise in den Griff bekommen hat, holt sie beim Thema der Gleichberechtigung wieder ein, denn Frauen leisteten viel in den Bewegungen friedlichen Widerstands. Sie sichtbar zu machen ist Lea Bonaseras Ziel.
Das klingt alles durchaus vernünftig, doch die wirklich brenzligen Sachverhalte wie Verkehrschaos durch Kleber oder die Sachbeschädigungen in den Museen blendet sie aus. Längst ist die Lost Generation auf das Niveau politischer Aktivisten degradiert, einen Begriff den Lea Bonasera als negativ besetzt ablehnt. Doch friedlicher Widerstand ist nicht mit Schädigung der Bürger und Zerstörung fremden Eigentums vereinbar. Kein Wort verliert sie über die Finanzierung der Lost Generation und die mögliche Unterwanderung durch andere Ideologien.
Lea Bonasera „Die Zeit für Mut ist jetzt. Wie uns ziviler Widerstand aus Krisen führt“, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2023, 219 Seiten