"Kultur macht glücklich"


Giuseppe Tornatore – „Ennio Morricone – der Maestro“ – eine ausgezeichnete Dokumentation

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Giuseppe Tornatore – „Ennio Morricone – der Maestro“ – eine ausgezeichnete Dokumentation

©Moviepilot, 2021

Schon der Vorspann ist eine einmalige Hommage. Laudatio über Laudatio, „Er war ein Genie“, „Ennio Morricone war ein Wunder“, „mit ihm zu arbeiten war eine Auszeichnung“. Jetzt ist er eine Legende. aber „Ennios Welt ist noch nicht völlig erforscht“. Das letzte Statement leitet elegant über zu Morricone in seinem Arbeitszimmer über der Partitur und überblendet im Orchester. 

Anhand von Fotografien und Filmen wird der steinige Weg Morricones zum Dirigentenpult chronologisch nachvollzogen. Er stammte aus armen Verhältnissen. Mit Trompetenspielen ernährte der Vater die Familie und deshalb durfte Ennio nicht Arzt werden. Er sollte in die Fußstapfen des Vaters treten und musste deshalb schon mit sechs Jahren Trompete lernen. Mit 17 machte er den Abschluss. Als der Vater krank wurde, musste er durch Auftritte in Bars und Varietés die Familie versorgen. Parallel setzte er sich im Konservatorium mit Bachs Kontrapunkt auseinander. Ein Festival für neue Musik in Darmstadt wurde zum einschneidenden Erlebnis mit Musik zu experimentieren. Sein Lehrer Goffredo Petrassi, ganz der klassischen Musik verpflichtet, erkannte Morricones Talent nicht und empfand Filmmusik als Prostitution. Das war auch der Grund, warum Morricone die ersten Westernmusiken unter Psyeudonym veröffentlichte.

Jetzt rückt er als Komponist in den Mittelpunkt. Mit Hornbrille und immer demselben roten Hemd in einem Sessel spricht er bescheiden über seine Zielsetzungen, deren Wirkung gleichzeitig durch Filmsequenzen hör- und sichtbar werden.

Ohne Noten aufzuschreiben, ohne am Klavier zu spielen, konnte er komponieren, beim Komponieren telefonieren und beim Dirigieren Schach spielen. Gedanklich war er immer hoch konzentriert, entsprechend abwesend und eine sehr ernste Persönlichkeit. 

Die Melodien waren in ihm. Von der minimalistischen Musik inspiriert kreierte er charismatische Filmmelodien nur aus drei Tönen oder Geräuschen, dem legendären Kyotonruf oder einfach mit der Mundharmonika. Mit Schreibmaschinen- oder Dosengeklapper, mit Spülmittel im Wasser erzeugte er ganz verblüffende Effekte. Er übertrug klassische Motive von Beethoven und Bach, Schönbergs 12-Ton-System auf die Filmmusik. Drei Noten im Viervierteltakt rhythmisch immer neu gesetzt revolutionierte die Filmmusik. Morricone  konnte Motive wiederholen ohne zu langweilen. Er erschuf ein ganz neues Genre für Filme der A-Klasse, wurde Inbegriff des Italo-Westerns, wo er mit „Spiel mir das Lied vom Tod“ oder „Zwei glorreiche Halunken“ den Durchbruch schaffte. Seine Tonalität packt vom ersten Moment an. Man weiß sofort, ob es sich um eine Morricone-Musik handelt, auch wenn der Film längst vergessen ist, bleiben seine Melodien im Kopf.

Immer berühmtere Regisseure suchten seine Nähe, ließen sich von ihm inspirieren, zuweilen war zuerst die Musik da, dann der Film. Morricone untermalte nicht, er schuf eine Parallelwelt, machte aus Figuren Klänge, die psychischen Prozesse hörbar. 

Mit ungewöhnlicher Empathie konnte er selbst in weltberühmten Persönlichkeiten wie Joan Baez Stimmexpressionen entdecken, von denen sie gar nicht wussten, dass sie sie in sich trugen. Kein Wunder, dass über zwei Dutzend renommierte Regisseure und SängerInnen begeisterte Statements zu Morricone abgeben. 

Der experimentelle Komponist wird leider nur am Rande ins Bild geholt, z. B. durch seine Symphonie für die Opfer des 11. Septembers. Morricone selbst bereut es nicht Filmmusik geschrieben zu haben. Beide „färben aufeinander ab.“

Filmkritik "Ennio Morricone - der Maestro" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Moviepilot, 2021

Das Großartige an dieser Filmdokumentation ist, dass Morricones musikalische Finessen an Filmsequenzen immer erklärt werden und man seine kompositorischen Effekte hören und verstehen lernt. Gleichzeitig erlebt man einen Querschnitt durch die großen Filmproduktionen der letzten Jahrzehnte. Der rote Faden durch den Film ist die Hommage an diesen Komponisten, dem schließlich nach vielen Jahren der Enttäuschung, gleichsam als Entschuldigung der Akademie, 2007 der Oscar für sein Lebenswerk verliehen wurde. 2016 erhielt er den Filmmusik-Oscar für den Score zum Film „Hateful Eight“.