München – Yasmina Reza „Anne-Marie – Die Schönheit“ im Residenztheater

Theaterkritik "Anne-Marie- Die Schönheit" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Residenztheater München, Foto: Birgit Hupfeld

Madame Anne-Marie, alias Robert Dülle, kommt mit Perücke und kleinen vorsichtigen Schritten auf die Bühne. Mit seiner tiefen melodischen Stimme suggeriert er eine charmante französische Seniorin. Sie nimmt auf einer Bank Platz und beginnt zu erzählen, weniger mit sich selbst als immer wieder mit direkter Anrede an das Publikum. Aus ihren lakonischen Assoziationen puzzelt sich Schritt für Schritt ein Leben zusammen, das unter der schön geredeten Oberfläche die Frustrationen der Realität aufleuchten lässt. 

Enthusiastisch schwärmt Madame Anne-Marie von ihrem großen Vorbild Giselle, einer schönen, talentierten, lässigen Schauspielerin, Geliebte von Filmstars, die alles vom Bett und ihrer Chaiselongue aus machte, ein Lebensstil, der Anne-Marie nur am Rande streifte. Zu wenig schön, zu wenig musikalisch, wie es ihre Mutter klar formulierte, blieb ihr eine Karriere als Schauspielerin verwehrt. Giselle bekam die großen Rollen, Anne-Marie die Nebenrollen.

Sie erkennt die Untiefen ihres Lebens, ihre biedere, langweilige Ehe mit einem „tumben“ Mann und einem „Arschloch“ als Sohn. Doch ihr Lebensoptimismus ist unerschütterlich. Munter plaudert sie aus dem Nähkästchen ihre Weisheiten. „Aber Sie wissen ja, Langeweile gehört zur Liebe dazu“ und „die glücklichsten Leben sind diejenigen, in denen nicht viel passiert .“ Anne-Marie ist nicht zuletzt durch ihr Faible für das Theater Meisterin des Sich-schön-Redens, zumindest in der Version von Robert Dülle.

Sie sitzt zwar schon in Beckettscher Manier auf der Wartebank Richtung Tod, aber die Erinnerungen lassen im milden Licht des Badezimmerspiegels durchaus ihre vergangene Schönheit aufleuchten. Ähnlich wie Blanche in Tennessee Williams’ „Endstation Sehnsucht“ findet Anne-Marie in ihrer selbst gezimmerten Scheinwelt neue Hoffnung. Die Erinnerung an das Theater gibt ihr Lebensfreude, auch wenn das Schicksalsrad, kaum oben schon wieder unten, zu einem anderen Ergebnis kommt. Damit bindet Jasmina Reza geschickt den Diskurs über Sinn und Zweck der Kunst mit ein. Ein Stück über Tod und Leben des Menschen soll es sein, unabhängig von Mann oder Frau, so die Autorin. „Aus Gründen der Distanz und Allgemeingültigkeit soll ein Mann Anne-Marie spielen. Bei der Uraufführung war es André Marcon, den sie Text widmete.

Diese Intension der Allgemeingültigkeit wird durch Robert Dülles weibliche Verpackung und sehr gelungene feminine Umsetzung mit subtiler Gestik, charmantem Lächeln und französischem Flair ausgespart. Statt androgyner Verdichtung und lakonischer Ironie rückt amüsantes Rollenspiel wie ein Flirt mit der Erinnerung in den Vordergrund. Eine alte Dame hat endlich die Bühne, die sie immer vermisste. So plätschert der Theaterabend vor sich hin, ohne die Abgründe des Nicht-mehr-Könnens fühlen zu lassen. Doch das Inszenierungsteam sorgt final für eine Überraschung, wenn Madame hurtig und fidel von der Bühne spaziert. Ob von der Theatersituation reanimiert als Hommage an die Bühne oder direkt in Jenseits nach einem schönen Leben, entscheidet das Publikum, das die schauspielerische Leistung mit begeistertem Applaus honoriert.

Künstlerisches Team: Nora Schlocker (Regie), Lisa Käppler (Bühne), Lovis Hauser (Kostüme), Alexander Vićar (Musik), Markus Schadel (Licht), Constanze Kargl (Dramaturgie)

Mit: Robert Dülle

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