München – Thomas Manns „Buddenbrooks“ als spannendes Kammerspiel im Residenztheater

Theaterkritik "Buddenbrooks" im Residenztheater präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Residenztheater, Foto: Sarah Then

Bastian Krafts Bearbeitung und Inszenierung für das Residenztheater knüpft über die theatrale Rückblende aus der Perspektive Hannos an die Prosastruktur an und provoziert aus der erzählerischen Distanz zur Reflexion über die unterschiedlichen Charaktere dieser desaströsen Familiengeschichte bedingt durch familiäre Prägung und Sozialisation, ökonomischen Druck und sich wandelnde gesellschaftliche Verhältnisse. In diesem Sinne geht es Bastian Kraft um die innere Entwicklung der Personen, um die Enthüllung der menschlichen Konflikte hinter den harmonischen Familienfotografien, gelenkt von Hannos Erinnerungen. Sie entscheiden, welches Familienmitglied, welche Familiensituation eingeblendet und ausgeleuchtet wird, welcher Bilderrahmen als Handlungsrahmen in den Mittelpunkt des Geschehens rückt, ohne dass Hanno  (Nicola Mastroberardino) sich selbst einmischt, sondern nur staunend beobachtet oder am Rahmen gelehnt neugierig den Gesprächen lauscht.

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©Residenztheater, Foto: Sarah Then

Erst als Hanno geboren wird, stellt er sich hinter das Kind (Joshua Lohmann, Elion Thaller), das zu seinem Sprachrohr wird. Die Handlung ist ähnlich wie bei der Buddenbrookverfilmung (2008) auf die wichtigsten Handlungsstränge gekürzt, die Inszenierung sehr reduziert konzipiert, durch grelle Licht- und subtil pulsierende Soundeffekte spannend inszeniert. Durch kleinkarierte Anzugsmuster bühnenweit projiziert und vergrößert wird das Stück symbol-parodistisch oder gerahmt vor schwarzem Hintergrund existentialistisch interpretiert.

Unter Krafts präziser Personenregie gelingt ein hochkonzentriertes, spannendes Kammerspiel, das jede Figur in ihren Handlungsmustern verständlich macht. Es sind die eigenen Erwartungshaltungen geprägt von der familiären Sozialisation und von außen die herangetragenen Herausforderungen, die das Verhalten bestimmen, zementieren oder auch verändern ganz nach der Denkweise des Konsuls „Wir wären, so wie wir sind, nicht denkbar ohne die Reihe derjenigen, die uns vorangingen und uns die Wege wiesen.“ Die väterliche Autorität führt in jeder Generation zu Gegenreaktionen und baut Sublimierungen auf, die an die nächste Generation weitergegeben werden und letztendlich den Niedergang der Familiendynastie bedingen. Bestens besetzt entwickelt sich aus dem zunächst heiteren Spiel mit poetischen Momenten und grotesker Übertreibung eine in ihren Bann ziehende Ernsthaftigkeit und Melancholie, wie man sie sonst in Tschechow-Inszenierungen findet. 

Das fröhliche Geschwistertrio der Jugend driftet auseinander. Thomas, von Michael Wächter mit rigoroser Selbstdisziplin und Strenge gespielt, versucht das sinkende Schiff noch zu retten, erfolglos, die ökonomischen Fehlspekulationen in Kombination mit der Entfremdung von Frau und Kind führen zu seinem Zusammenbruch. Tony, Liliane Amuat spielt sie als pragmatische Frohnatur, folgt nicht ihrer Herzensliebe, sondern der Autorität des Vaters. Nach zwei gescheiterten Ehen, erheiternd grotesk mit Thomas Reisinger als Mitgiftjäger Grünlich und derb-bayerischer Permaneder in Szene gesetzt, bleibt ihr nichts anderes übrig als der Status eine Buddenbrook zu sein. Als krasses Gegenbild präsentiert Thiemo Strutzenberger den jüngsten Bruder Christian, den er durch textliche Wiederholungschleifen, noch mehr durch seine balsamische Intonation als nervigen Hypochonder interpretiert und ihn zum absoluten Außenseiter in der Familie macht, mit der auch Thomas’ Frau Gerda große Probleme hat. Nicola Kirsch spielt sie als extravagant laszive Dame mit kontemplativem Lebensmodell, die sich elegant den Buddenbrookschen Lebensmaximen zu entziehen weiß und ihren Sohn Hanno andere Lebensqualitäten zu vermitteln sucht. Robert Dölle gibt dem Konsul eine patriachalisch sympathische Aura, der das Wohl der Menschen um ihn herum im Auge hat. Katja Jung entdeckt in der Konsulin konträre Charakterzüge, zeigt ihr herrisches Verhalten gegenüber dem Diener, aber auch ihr Reflexionsvermögen, dass Situationen sich verändern können. Allerdings sind die Perspektiven nicht rosig, womit die Buddenbrooks im Heute ankommen. 

Künstlerisches Team: Bastian Kraft (Regie), Peter Baur (Bühne), Jelena Miletić,(Kostüme), Jonathan Emilian Heck (Musik), Sophie Lux (Video), Verena Mayr (Licht), Ilja Mirsky (Dramaturgie)

Mit: Nicola Mastroberardino, Robert Dölle, Katja Jung, Michael Wächter, Liliane Amuat, Thiemo Strutzenberger, Nicola Kirsch, Thomas Reisinger, Pujan Sadri, Joshua Lohmann, Elion Thaller

 

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