München – Christopher Rüpings „Dionysos Stadt“ beim Berliner Theatertreffen

Theaterkritik "Dionysos Stadt" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Die Konzeption, die ganze Orestie mit drei ineinander verwobenen, doch meist getrennt inszenierten Stücken und einem abschließenden Satyrspiel in Erinnerung an die kultischen mehrtägigen Dionysosspiele  auf die Bühne zu bringen,  zeugt von Mut und Kreativität der Regie und großem Enthusiasmus des jungen Ensembles.

Die Konzeption überzeugt, ist in sich stimmig, arbeitet sich aus der halbstündigen Anmoderation  heutiger Tage, überraschenderweise schon Teil der Inszenierung,  zurück in die Götterwelt und landet über die Inszenierung wieder in der Gegenwart. Die Unmengen von Textvorlagen reduzierten sich während der dreimonatigen Probenarbeit zu einem Destillat leitmotivischer Kerngedanken, die teilweise in recht originellen Bildmetaphern auf die Bühne gebracht(?) (werden) und musikalisch intensiviert werden.

Ein Stahlgerüst im Hintergrund, Treppen,  ein frei schwebender Käfig genügen, die Welt der Götter und der Menschen in immer neuen Varianten von Rache und Schuld darzustellen (Bühne Jonathan Mertz). Dabei gewinnt jede Tragödie ihre eigene Atmosphäre.

„Prometheus“ , fokussiert auf die Sprache, weniger auf antikes Versmaß als auf zeitgenössische Expression und Vielfalt. Prometheus,  Benjamin  Radjaipour, schwebt über der Bühne in einem Käfig als Sinnbild seines Angeschmiedetseins am Kaukasus, immer wieder beworfen mit weißer Farbe als Metapher für den Kot des Adlers. Unten blöken die Schafe in zeitlosen Rufen, wie nur die Natur sie kennt.  „Why?“ hat Prometheus den Menschen das Feuer gebracht. Dieses „Why?“ ironisieren Zigaretten rauchend die Menschen auf der Wartebank und Zeus, alias Majd Feddah, nur Arabisch und Englisch sprechend, lässt den Bombenkrieg im Nahen Osten assoziieren. Am Ende spannt  Wiebke Mollenhauer noch einmal mit(?) Heiner Müllers Aischylos´ „Prometheus“-Version den Bogen von der Antike zur Gegenwart.

Der zweite Teil fokussiert auf die Nacherzählung der  „Trojanischen Kriege“. Die Kriegsverhandlungen  werden in Mikrophone geschrien, aufgepeitscht von Matze Prölloch am Schlagzeug, visualisiert über  Videoprojektionen. Dem folgt mit Maja Beckmann, Gro Swantje Kohlhof und Wiebke Mollenhauer  der Kampf der „Frauen gegen den Krieg“.

Die „Orestie“ präsentiert Christopher Rüping als Selfie-Selbstbespiegelung unserer Tage. Untermalt vom Kitschsong „Griechischer Wein“ erstarrt das Bühnengeschehen mit Blickrichtung auf die voyeuristischen Live-Projektionen  hinter die Badetüre, wo  Klytaimnestra (Maja Beckmann) und ihr Liebhaber gemordet werden.

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©Julian Baumann

Tatort Badewanne und Hochzeits-Party degenerieren zu TV-Horror-Bildern, in denen Todesnachrichten nur noch belacht werden, sich Menschen, Nils Kahnwald als Orest in völliger Nacktheit outen und  ständig von außen bejubelt und beklatscht werden wollen. Den Part übernimmt das Publikum. Und wenn Pylades, Elektras Bräutigam, stöhnt: “Ihr seid echt ’ne richtig schwierige Familie“ mutiert die „Orestie“ gekonnte zur Soap-Comedy.

Die alten Helden sind nichts mehr Wert. Altstar Menelaos, mit Jochen Noch, immer noch mit Playboyaura, ist inzwischen ohne irgendeinen Einfluss in die hinteren Reihen verwiesen. Erst durch die Einmischung hört die Endlos-Kette von Rache und Bestrafung auf. Elektra und Orest werden freigesprochen. Die Götter entschweben. Das Zeitalter des Menschen beginnt. Jetzt geht jeder seinen Weg in Eigenverantwortung. „Jetzt wird alles gut enden.“

Doch das von Christopher Rüping und dem Ensemble anvisierte optimistische  Ende voller Entspannung mit Sport als neuem Gott und Meditation statt Glauben  wirkt eher als das krasse Gegenteil. Statt munterer Heiterkeit eines  Satyrspiels und Theaterflow  stellt sich beim  3:3-Fußballspiel auf dem Rasen und den anschließenden Yoga-Übungen über eineinhalb Stunden hinweg eine einschläfernde Müdigkeit bei aufsteigender Morgensonne ein. Das überzeugt als  Spiegelung einer auf Sportkonsum dressierten bewusstlosen Gesellschaft, die meditativ nach neuen Horizonten sucht, weniger als ernstgemeinte Vision.

„Dionysos Stadt“ ist ein interessantes Theaterexperiment, nicht frei von eitler Selbstdarstellung des Theaterbetriebs in Superlativmanier.  Wir leben nicht mehr in der Antike, in der Dionysosspiele den kulturell rauschhaften Höhepunkt bildeten und das Publikum liegt auch nicht, wie Christopher Rüping im Pressegespräch  erklärte, „nach der Hälfte der Spielzeit besoffen herum“.  Qualität und Flow entstehen nicht per se durch Länge.