Leipzig – Tennessee Williams „Süßer Vogel Jugend“ online beim „Berliner Theatertreffen“ 

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©Rolf Arnold

Ihr neuester Gigolo Chance Wayne, ein gescheiterter Schauspieler, der sich mit Frauen über Wasser hält, ist diesbezüglich Spezialist und befriedigt alle Frauenwünsche und hat doch ganz andere Pläne. Er fährt sie mit ihrem Cadillac in das Kaff seiner Jugend, um seine Jugendliebe zu beleben. In einem alten Grandhotel entfaltet Tennessee Williams die brutale US-Realität egomanischer Loser zwischen Illusionswelten und Scheinwerten, moralischer Verlogenheit und rassistischer Intoleranz. Durch und durch Opfer ist Heavenly im rosa Tutu und Spitzbusencorsage wie Altstar Alexandra del Lago Figur von der traurigen Gestalt als tragische Kindfrauversion. Mit 15 Jahren unterband der Vater ihre Jugendliebe zu Chance Wayne und verkuppelte sie stattdessen an ältere reiche Schwerenöter. Inzwischen sind sie alle alt geworden, der „Süße Vogel Jugend“ ist längst entschwunden. 

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Diese Williams-Loser-Tristesse hysterisiert und exaltiert Regisseurin Claudia Bauer als parodistisches US-TV-Schrei-Format fern normaler Kommunikation. Hauptsache laut, extrem, explosiv. Düster die Bühne, schräg die Kostüme, extreme Rock´n´Roll-Schmachtrollen und der Live-Sound am Klavier, zeitweise gespielt in der Maske des Todes, fetzt die Inszenierung entlang an Klischees und ihrer exaltierten Übertreibungen. Vier über der Bühne kreisende Video-Scheiben verweisen auf die knallharten Realitäten der Großaufnahmen, verdeutlichen zu luftigen Kugeln verwandelt und umnebelt Karrieren als imaginäre Drogentrips. 

Williams sozialkritisches  Stück verträgt die parodistische Malträtierung. Denn trotz schrill platter Personenzeichnung offenbaren Williams Figuren schicksalshafte Tragik. Das gesellschaftliche System, das nur die Gier nach Erfolg und Geld kennt, macht die Menschen kaputt, zu Marionetten des Materialismus, manipuliert von selbst ernannten Scharlatanen wie Heavenlys Vater als von Gott befugter Big Boss mit politischem Sendungsbewusstsein. Humane Werte fungieren nur als Trittleiter der Karriere und offerieren  sich als leere Luftblasen. Wenn dann zwischendurch noch deutsche Marschmusik anklingt und rassistische Parolen hörbar werden, gewinnt die Inszenierung plötzlich  eine irritierende Aktualisierung.

Allein Anita Vulesica legt die inneren Facetten der deprimierten Altdiva-Figur frei. Sie weiß um ihre Schwächen, ist einen Moment lang glücklich, als es ihr gelingt, die Bestie, die sie geworden ist, zu zerstören. Doch die aufkeimende Menschlichkeit im Elend wird bei der nächsten Karrierechance sofort wieder ad acta gelegt. Nur der Stärkere gewinnt, ist die Devise.

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Exzellent gespielt, zweifelsohne spannend inszeniert wirkt die Streaming-Version doch etwas steril, vor allem anfangs  wie eine banale trashige Seifenoper-Karikatur. Die sensiblen Augenblicke sind kaum spürbar, aber genau die machen den Tiefgang von Williams Stücken aus. 

Gespielt in den Hauptrollen von Florian Steffens (Chance Wayne), Anita Vulesica (Prinzessin Kosmonopolis/Alexandra del Lago) Julias Preuß (Heavenly Finley), Michael Pempelforth (Boss Finley), in den Nebenrollen Christin Nichols, Annett Sawallisch, Andreas Dyszewski, Thomas Braungardt, Brian Völkner

Andreas Auerbach (Bühne), Vanessa Rust (Kostüme) Roman Kanonik (Musik) Kai Schadeberg (Video), Veit-Rüdiger Griess (Licht) ,Katja Herlemann (Dramaturgie)