Landshut – Serhij Zhadans „Waffenstillstand im Donbas“ als deutsche Erstaufführung in einer spannenden, hoch emotionalen Inszenierung von Markus Bartl & Philipp Kiefer

Serhij Zhadan "Waffenstillstand im Donbass" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©josephaundmarkus

Wer könnte all das besser darstellen als Schauspieler aus der Ukraine? Sie spielen nicht, sie durchleben Zhadans Stück. Unter der Regie von Markus Bartl in Kooperation mit Bühnenausstatter Philipp Kiefer gelingt eine Inszenierung, die unter die Haut geht, weil sie die Verwaisung und Traumatisierung der Menschen durch den Krieg in den Mittelpunkt stellt, Zhadans tragisch-komische Pointen knallen lässt und durch slapstickartige Effekte immer wieder die Falltiefe ins Tragische vergrößert. Das alles in Ukrainisch zu erleben, möglich durch die Simultanübersetzung von Anna Kolomiitseva und Tobias Ulrich, vermittelt noch mehr Authentizität.

Ein paar Stühle, ein Haufen Klamotten, ein Kühlschrank mit Bier genügen. Der Krieg hat nicht viel übrig gelassen. Toliks Mutter ist gestorben. Sein Bruder Anton kommt deshalb nach Hause. Sie könnten nicht unterschiedlicher sein, Andreii Vanieiev als Tolik, fast kahl geschoren, mit exotisch buntem Hemd, Sebastian Anton als Bruder, schon als Kind ein einsamer Wolf, der sich immer alles erarbeiten musste und es zum smarten Manager im Anzug geschafft hat. Er möchte duschen, mangels Wasser bleibt er halb angezogen und läuft in Boxershorts und Jacket herum. Jeder für sich ist wie eine Granate, hochgradig explosiv. Sie schreien ihr Leid hinaus, kämpfen und trösten sich gegenseitig, durchwirkt von tragischer Komik, doch das Lachen bleibt im Halse stecken, zu sehr fühlt man ihr Leid, das keinerlei Perspektive lindert. Tolik ist ein Pulverfass. Er hat seine Gefühle nicht mehr unter Kontrolle, eskaliert, grimassiert, doch blickt man in seine blauen Augen entdeckt man die Verzweiflung eines Kindes, das das Wichtigste verloren hat, die menschliche Wärme.

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Regisseur Bartl gibt den Schauspielern viel Raum und spitzt gleichzeitig die Charaktere in ihren Traumata zu. Jede Person entwickelt einen eigenen Tick als Aufschrei der Seele. Der alte Pelzmantel der Mutter avanciert zum Symbol mütterlicher Wärme. Wer ihn trägt, vermittelt diese Aura, aber eben nur für wenige Augenblicke. Als Tante Schura mit zwei jüngeren Frauen kommt, um sich um die Tote kümmern, verdreifacht das nervöse Kopfwackeln die skurrile Situation in blanke Satire göttlicher Dreieinigkeit zwischen ukrainischer Volksseele, raffinierten Ausspionieren und zunehmenden Misstrauen. Katja (Daria Melnyk) emotionalisiert durch wunderschön gesungene ukrainische Volkslieder. Walitschka (Marina Klimova) bringt Erotik mit ins Spiel, aber auch Misstrauen, weil sie gar nicht so taubstumm ist, wie behauptet wird, und von den Lippen lesen kann. Alina Kostyukova parodiert auf eine sehr subtile Weise den undurchschaubaren Opportunismus Tante Schuras. Dennoch scheint genau sie genau zu wissen scheint, worauf es ankommt, auf Herzenswärme.

Noch bizarrer wird die Situation, als Kolja, der Bauer, nachts mit seiner hochschwangeren Frau Mascha auftaucht. Konstantin Skyba steigert Koljas peinigende Verzweiflung in ein parkinsonhaftes Zittern bis zur amokhaften Selbstzerstörung in mitreißender Authentizität. Seine Felder werden bald brennen, noch mehr brennt seine Seele. Während sich die Verzweiflung der Männer immer mehr hochschaukelt, beruhigen die Frauen Mascha, der Yulia Yermakova eine ironische Optik zwischen blonder Loreley und verwöhnter ukrainischer Kindfrau verleiht. Unter diesen Umständen will sie kein Kind gebären. Geschrei kontra leisem Summen und Beruhigen, gerade mit dieser Szene lässt Markus Bartl über Zhadan hinaus aufleuchten, wie unterschiedlich Männer und Frauen in existenzieller Not umgehen.

Doch die Konsequenzen sind für alle gleich. Als  Rinat (Nikita Petrosian), der arbeitslose Postbote dazu stößt, angelegt als gläubiger Jude, der nur allzu gut weiß, was sich draußen abspielt. Ohne Strom, ohne Wasser, durch die zerstörte Brücke ohne Verbindung nach außen, in Zeiten, wo alle Schulkameraden auf Toliks Klassenfoto schon tot sind, niemand mehr weiß, „wer wie ist“, bleibt nur ein Weg offen. Hinter dem hell leuchtenden Vorhang, hinter dem die Mutter verstarb, finden sie als finales Symbol die Erlösung von der irdischen Verwaisung. Selten geht eine Inszenierung so nahe wie diese.